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Nichts als Gnosis!

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Pierre Teilhard de Chardin: noch immer wogt das Pro und Kontra, das auch auf dieser Seite zum A usdruck kommt. Unbestritten bleibt die ungewöhnlich starke A usstrahlungskraft dieses Mannes und die Dringlichkeit seines Anliegens: Glaube und Wissenschaft miteinander zu versöhnen. (Dazu auch S. 14)

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Pierre Teilhard de Chardin: noch immer wogt das Pro und Kontra, das auch auf dieser Seite zum A usdruck kommt. Unbestritten bleibt die ungewöhnlich starke A usstrahlungskraft dieses Mannes und die Dringlichkeit seines Anliegens: Glaube und Wissenschaft miteinander zu versöhnen. (Dazu auch S. 14)

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Das hervorstechendste Kennzeichen der heutigen Naturwissenschaft ist ihre Verstrickung in eine reduzierte Sprache, welche Beherrschung der Natur mit totalem Verlust alternativen Sprachen entstammender Möglichkeit von Naturbegegnung und Gotteserfahrung erkauft. Diesem Verfall sich als ein Katechon („Aufhalten“) entgegenzustellen, wäre die Wissenschaft geeignet, die das höchstgestaltete Wort und aus ihm stammende Schöpfung „doxologisch“ zu deuten verpflichtet ist, die Theologie.

Statt dessen erscheint auch sie in schwere Erschütterung geworfen, die noch nicht überwunden ist und für die der am 1. Mai 1881 geborene Teilhard de Chardin als verantwortlich zu gelten hat. Zwar muß eine Theologie schon großer Konzeptionen unfähig gewesen sein, daß sie der wohlgemeinte, aber verfehlte Versuch ihrer Versöhnung mit ( der Naturwissenschaft des Markes berauben und in das Schlepptau von mit dem Begriff „Evolution“ verbundenen Vorstellungen nehmen konnte. Doch unterlag sie dem Zuge der Zeit.

Die Tendenz der Naturwissenschaft, die unerschöpfliche Ausdrucksfülle der Sprache durch ein operativ verwendbares Formelkonstrukt einzuschränken und auf Exaktheit und Eindeutigkeit zu bringen, entspringt dem Zwang, durch Korrektheit der Darstellung dem nicht Wißbaren den Charakter des Zugänglichen zu verleihen. Bei Übertragung solcher Mentalität auf andere Wissenschaft, wie Theologie, kann Begeisterung über die Gefügigkeit einer entkernten Sprache über schon eingetretene Verarmung des Gegenstandes hinwegtäuschen und jeden noch bestehenden Widerstand schnell hinwegräumen.

Der Wähler einer solchen Sprache wird in unangestrengtem Vielschreiben Opfer seiner eigenen Glattheit, die vor Sprachfallen und Denkfehlern errichtete Warnschilder mißachtet. Teilhard ist es so ergangen; sein „outburst“ an einprägsam verführerischen Neologismen spricht eine eigene „Sprache“.

Es müßte die Geistesgeschichte klären, wie in einem in höchster dichterischer und literarischer Blüte stehenden Frankreich eines Claudel, Bernanos, Valery oder Peguy, das mit Maurice Blondei einen leuchtenden Gipfel des Denkens erklimmt und in der rührend zarten Simone Weil der Welt eine Mystikerin von hohen Gnaden beschert, das „evolutive Denken“ mit Henri Bergsons geschliffener rhetorischer

Brillianz eine solche Gewalt bekommt, daß es viele Bereiche pervadiert und schließlich, unter den Händen eines vielgereisten Jesuiten, die bisher von ihm unberührt gebliebene Theologie „modernisiert“.

Sicher handelt Teilhard aus Bewegtheit durch ein echtes Anliegen. Als Paläontologe gerät er jedoch völlig unter den Einfluß von die Biologie beherrschenden Anschauungen, mag sein Ausgangspunkt zunächst das Erschrek- ken über die Diskrepanz gewesen sein, die sich zwischen Kirche und Wissenschaft auftut, wenn erstere von „Evolution“ keine Notiz nimmt.

Im Bemühen, hier Abhilfe zu schaffen, krönt er das „evolutive Denken“ mit einer Zielgerichtetheit, die ihm sonst abgeht, indem er „Evolution“ auf einen „universalen Christus“ sich hinbewegen sieht, in den sie schließlich mündet.

Eine alte kirchliche Lehre wird auf diese Weise „dynamisiert“, aber auch banalisiert; es ist die auf dem Boden der Logos-Christologie vom hl. Irenäus erwogene „recapitulatio“-Idee, derzu- folge alles geschaffene Sein als zu seinem Urbild analoges Abbild in Christus als seinem Haupt und Ursprung zusammengefaßt erscheint.

Vielleicht ist Teilhard vom Restbestand der Erinnerung an diese Lehre bestimmt gewesen, als er den Zusammenhang Christi mit der Welt „evolutiv“ interpretierte. Da er jedoch in vager philosophischer Unbekümmertheit Leben mit Hilfe von „geplantem Zufall“ aus hochentwickelter Materie hervorgehen und durch deren Komplexitätszunahme Bewußtsein als ihre „Innenseite“ entstehen läßt, entwertet er den Ansatz, der sich in harter Konsequenz aus dem Kollaps eines großen Gedankens nirgends mehr auf die Höhe expliziter Anerkennung der Präzedenz Christi (und alles durch ihn Geschaffenen) von einer „Evolution“ zu erheben vermag.

Auch beachtet er Christi Menschwerdung nicht, und der „universale Christus“, auf den die „Evolution“ zusteuern soll, wird zugleich von ihr abhängig, dadurch zu einem innerweltlichen Prinzip. Gestaltet sich die Verschmelzung des „evolutiven“ Geschehens mit Christus am „Punkt Omega“ gar zu einem unvermeidlichen Ereignis - dessen Herannahen Teilhard in kindlicher Naivität aus der Bildung von UN-Organisationen vorhersieht dann vernachlässigt dies sträflich die an jeden einzelnen gerichtete Forderung nach Vorbereitung auf Christi plötzliches Kommen zum Gericht, der nicht durch Überantwortung an einen kollektiven Prozeß Genüge getan wird, sondern allein durch persönliche Entscheidung.

Vermittelt eine kurzatmige „Theologie der Hoffnung“ der Menschheit in der apokalyptischen Endphase ihrer Geschichte bloß Aussicht auf soziale „Verbesserung“, fällt radikale Anders- heit der Transzendenz schon vom Sprachgebrauch her der Verwischung anheim und der Charakter von „Evolution“ als ausschließlicher Erscheinungsweise - was sie unter Anführungszeichen zu setzen nötigt - der Verschleierung zum Opfer, dann verliert das Zeugnis von Kirche und Theologie an Überzeugungskraft. Denn beide müssen im Heiligen Geiste den Mut aufbringen, Einspruch wider die „Welt“ zu erheben.

Nicht auf Hingerissenheit durch „kosmische Vision“ kommt es an, sondern auf Kommendes vergegenwärtigende Bereitschaft. Glaube hat den unmittelbaren Gottesbezug jedes einzelnen zu leisten, seinen „Ausstieg“ aus dem Hier und Jetzt. Für die Gefallen- heit seiner Natur ist der Mensch selber verantwortlich, nicht, wie uns Teilhard weismachen möchte, die Unvollkommenheit der „Evolution“.

Möge sich die Theologie von gnostischem Evolutionismus durch Rückgriff auf ihre wahre Quelle freimachen, denn bloß diese schenkt ihr die Kraft, sich der „Welt“ und ihrer Wissenschaft zu stellen!

Der Autor ist Professor der Theoretischen Biophysik an der Technischen Universität Wien.

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