6895633-1980_09_28.jpg
Digital In Arbeit

Nichts als Vernichten

Werbung
Werbung
Werbung

Und es begab sich, daß die große Staatliche Vernichtungs-Anlage fertiggestellt und vom Regierungschef feierlich eröffnet wurde.

Die Finanzierung war denkbar einfach: Der Einzelhandel bezahlte, was er an der Verpackung ersparte. So amortisierte sich das gewaltige Vorhaben innerhalb weniger Jahre.

Jeder Laden verfügte über eine entsprechende Öffnung, in welche man alles, was vernichtet werden sollte, ohne Schwierigkeit verschwinden ließ. Man ging in ein einschlägiges Geschäft, bezahlte, nahm die Ware in Empfang und vernichtete sie.

Alles atmete auf, strahlte und jubelte. Man mußte nichts mehr mit nach Hause nehmen, auspacken, kurze Zeit benützen und dann wegwerfen. Die Zeit des Benützens war von Jahr zu Jahr immer rasanter geschrumpft und schließlich unerheblich geworden. Das hatte damit begonnen, daß alle Apparate ununterbrochen vollkommener wurden.

Die Autoindustrie brachte zum Beispiel das neue Modell LM Super 391 heraus, den besten, unüberbietbarsten Wagen des Jahrtausends. Dieses Modell verfügte über eine eingebaute Mixmaschine, drei Fernsehprogramme zur Auswahl, einen elektronischen Reifenwechsler und eine Polaroid-Leselampe. Wer auf sich hielt, tauschte seinen bisherigen LL 390 Prinzeß gegen den LM Super ein, hatte ihn eben eingefahren, da erschien der LN Senior 392 und war der einzig denkbare, noch bessere und noch unüberbietbarere Wagen der Welt mit allem, was sein Vorgänger gehabt hatte, dazu aber auch noch mit Duftorgel, Einspritzwischer, Düsenwinker, Servoheck und Saugdämpfer. Der Super war hiermit ein alter Kasten und mußte schleunigst abgestoßen werden.

Es folgte dem besten Trockenrasierer mit unerreichter Scherkraft der noch viel bessere mit noch unerreichterer Scherkraft. Dem Farbfernseher mit Spektralaktivität folgte der Farbfernseher mit Spektraltotalreziprozität auf dem Fuß, die Kühlschränke jagten einander und wurden ihrerseits von den Tiefkühlern gejagt, die Kleidungsstücke weiblichen Geschlechts wurden so schnell länger und kürzer, daß man ihnen dabei mit freiem Auge zusehen konnte. Wenn man neue Möbel in den neunten Stock eines Neubaus transportierte, waren sie, oben angekommen, bereits überholt.

Wer ein Kaffee-Service kaufte, beim Auspacken Teller zerbrach und sofort in das Geschäft stürzte, um Teller nachzukaufen, bekam sie nicht, denn das betreffende Service war längst aus dem Verkauf gezogen. Wer eine Ware in einem Fenster sah und dachte: „Die kaufe ich, ich gehe nur vorher noch schnell etwas trinken", kam von der Kneipe, suchte die Ware vergeblich im Fenster, und wenn er im Laden darauf hinwies, daß er vor kurzer Zeit dies oder jenesim Fenster gesehen hatte, blickte man mitleidig lächelnd auf ihn und wußte nicht, was er meinte.

Die Geschäftsleute hatten keine Muße, sich um ihr Warenlager zu kümmern, denn sie mußten sich auf die Verpackung konzentrieren. Erbittert machten sie einander Konkurrenz mit Papieren, Kartons, Tragtaschen, Schnüren und vielfachen Verzierungen, mit der Modernisierung und Bereicherung und immer neuen Formen und Materialien der Verpak-kung. Man veranstaltete Meisterkurse für diplomierte Verpacker; die Konsumenten erhielten mit jeder Ware eine Broschüre: leicht faßliche Anleitungen zur Vernichtung der meist unzerreißbaren und nicht verbrennbaren Emballage.

Das Wirtschaftswachstum wuchs, die Produktion schwoll, die Konjunktur kletterte empor. Es fehlte nur an Platz für alles, was überholt, was gestern hui und heute pfui war, was man nicht mehr gebrauchte, also nicht mehr brauchen konnte.

Endlich kam die erlösende Idee: Jeder Konsument mußte nachweisen, was er im Durchschnitt der letzten drei Jahre an Konsumgütern bezogen hatte. In diesem Rahmen sollten sich seine Anschaffungen weiterbewegen. Aber er mußte die Konsumgüter nur noch kaufen und nicht mehr konsumieren. Er kam, bezahlte und ließ die Ware vernichten. Das weltweite Problem der wachsenden Umweltüberfüllung war gelöst.

Bald ging die einfallsreiche Menschheit noch einen segensreichen Schritt weiter: Der Kleinhändler mußte die Waren gleichfalls nur noch bezahlen und nicht mehr beziehen. Sie wurden schon vom Hersteller vernichtet. Und die Zeit ist nicht mehr fern, da wird man den letzten Schritt tun und die Waren gar nicht mehr erzeugen, nur noch berechnen. Die Arbeitslöhne bleiben gleich, aber durch den Ausfall der Rohstoffe werden die Preise vermutlich erheblich gesenkt werden können.

Ein einziges Problem harrt noch der Lösung: Was wird aus den arbeitslos gewordenen Verpackern? Da und dort beginnt man schon, sie umzuschulen und in einer neuen, längst vergessenen Fertigkeit auszubilden: sie erlernen das Reparieren von Gegenständen und Apparaten.

Aus der Sammlung von Satiren, Attacken und Parodien von Hans Weigel, die demnächst unter dem Titel „Ad absurdum" im Verlag Styria, Graz, erscheinen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung