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Nichts blieb vom Erbe Dubčeks

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Die Machtübernahme des Jahres 1969 durch Husäk paßte keineswegs in den politischen Generationswechsel, den auch kommunistische Länder nicht umgehen können. Für Tschechen und Slowaken war es ein „pervertierter Generationswechsel”, denn Husäk war, als er Parteichef wurde, um neun Jahre älter als Dubček beim Antritt an der Parteispitze. Aber auch gut zehn Jahre trennen ihn von dem so gehaßten vorletzten Vorgänger, KP-Chef und Präsident Novotny. Bedeutete also für die Tschechoslowakei die Entfernung Dubčeks, vom Politischen abgesehen, auch gleichzeitig so etwas wie ein Zurückdrängen der jungen Generation, so war Husäk im internationalen kommunistischen Bereich eher ein „junger Mann”; der um 21 Jahre jünger als Tito, genau um 20 Jahre jünger als Ulbricht und immerhin noch um 8 Jahre jünger als Gomulka und um 7 Jahre jünger als Breschnjew ist

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Die Machtübernahme des Jahres 1969 durch Husäk paßte keineswegs in den politischen Generationswechsel, den auch kommunistische Länder nicht umgehen können. Für Tschechen und Slowaken war es ein „pervertierter Generationswechsel”, denn Husäk war, als er Parteichef wurde, um neun Jahre älter als Dubček beim Antritt an der Parteispitze. Aber auch gut zehn Jahre trennen ihn von dem so gehaßten vorletzten Vorgänger, KP-Chef und Präsident Novotny. Bedeutete also für die Tschechoslowakei die Entfernung Dubčeks, vom Politischen abgesehen, auch gleichzeitig so etwas wie ein Zurückdrängen der jungen Generation, so war Husäk im internationalen kommunistischen Bereich eher ein „junger Mann”; der um 21 Jahre jünger als Tito, genau um 20 Jahre jünger als Ulbricht und immerhin noch um 8 Jahre jünger als Gomulka und um 7 Jahre jünger als Breschnjew ist

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Die Vorleistung an Moskau

Husäks Hauptaufgabe bestand darin, das gestörte Vertrauensverhältnis zur Sowjetunion wiederherzustellen. Das gelang ihm um so leichter und ohne übermäßigen Gewissenskonflikt, als er nie Sympathien für den Liberalisierungsprozeß des Jahres 1968, die bescheidene Redemokrati- sierung und schon klar ausgeprägte Pressefreiheit hatte. Immerhin hatte Husäk keine Bedenken geäußert, als ihn die Männer des Prager Frühlings zum Stellvertretenden Ministerpräsident machten, eine Funktion, die er übrigens bis zuletzt innehatte. Diese Normalisierung der Beziehungen zu Moskau war übrigens ein einseitiger tschechischer Akt, erkauft durch einen völligen Wechsel der Prager Führungsgarnitur, ohne daß Moskau als Gegengabe irgendeine Konzession gemacht hätte, weder auf dem Gebiet einer Zurücknahme oder Beschränkung der sowjetischen Besatzungstruppen noch auf dem wirtschaftlichen oder finanziellen Gebiet.

Der etappenweise erfolgte Wechsel in der Prager Führungsgamitur, der übrigens schon lange vor dem Sturze Dubčeks einsetzte und so richtig erst Ende 1970 mit dem Abschluß der Parteisäuberungen beendet war, brachte auch Husäk in die Gefahrenzone. Kaum war nämlich die radikale Säuberung sämtlicher Reformer abgeschlossen — als beiläufiger Schlußpunkt muß der Parteiausschluß Dubčeks vom 26. Juni 1970 beziehungsweise seine Entfernung als Abgeordneter am 8. Juli 1970 gewertet werden — als bereits die nicht weniger radikale der sogenannten „Realisten!” eingesetzt hatte; Höhepunkt war hier das Ausscheiden des prominentesten Mannes der Realisten, von Oidrich Cernik als Regierungschef am 28. Jänner 1970, seine Entfernung als Minister am 23. Juni 1970 und sein Parteiausschluß am 12. Dezember 1970.

Eine gewisse Pikanterie stellt es zweifellos dar, daß gerade Cernik den ersten tschechoslowakischsowjetischen Vertrag zur Normalisierung der Verhältnisse im Jahre 1969 unterzeichnet hatte.

Jetzt aber, Ende 1970, nach der völligen Abhalfterung der Reformer wie der Realisten, saß Husäk allein mit den Konservativen, unter denen sich zahlreiche „Kollaboranten”, wie sie 1968 bezeichnet wurden, befanden; er war nicht ohne weiteres einer von ihnen, und vor allem, sie wollten in Husäk nicht einen von ihnen sehen. Immerhin: Namen wie Vasil Bilak, Antonin Kapek, Emil Rigo hatten nichts allzu Anziehendes, und so blieb Husäk für Moskau noch der attraktivste und verläßlichste Mann.

Kollektive Ausrede

In diesem Spiel mit Karten und Köpfen spielte ein Mann keine Rolle mehr, dessen einstige Anhänger sich im neuen Parteipräsidium sehr wohl etabliert hatten: der langjährige

Parteisekretär und Staatspräsident Novotny, der nicht nur ‘ unter Dubček, sondern auch unter seinem Nachfolger Husäk zum Buh-Mawn geworden war. Husäks gelegentliche bissige Ausfälle gegen seinen vorletzten Vorgänger Novotny scheinen nicht nur auf persönliche Reminiszenzen wegen seiner Haft und Nicht- Rehabilitierung zurückzuführen zu sein, sondern auf die überhandnehmende öffentliche Meinung, daß es in den letzten Novotny-Jahren im politischen Bereich liberaler und im wirtschaftlichen günstiger gewesen sei als in den ersten Husäk-Jahren.

Nun kann man Novotny vorwerfen, daß er noch aus der stalinistischen Zeit hervorgegangen war, daß sein alter Mauthausen-Kreis den Ton angab, daß es gelegentlich Begnadigungen, nie aber richtige Rehabilitierungen gab. Immerhin versuchte Novotny auf wirtschaftlichem Gebiet Reformen und zog Ota Sik heran (ohne ihm Rückendeckung zu geben oder gar die Reformen durchzuboxen); der Ministerpräsident während des Prager Frühlings, Cernik, war unter Novotny viele Jahre Minister und Stellvertretender Ministerpräsident, und der später so bekämpfte Smrkovsky war schon unter Novotny wieder Minister geworden. Es war also in Prag längst ein liberales Lüftlein zu spüren, das den meisten zwar zu schwach war, das sich aber von der Situation der Jahre 1969 und 1970 ©her angenehm abhob.

Nun gab es für die Männer, die auf Dubček folgten, voran für Husäk, vor allem eine stereotype Antwort: daß alle Mängel auf wirtschaftlichem und alle Sorgen auf politischem Gebiet, die sowjetischen Besatzungstruppen und die neuerlichen Grenzsperren und Auslandsreiseverbote, daß all das eine Folge Dubčeks und des „Prager Frühlings” gewesen sei. Das konnte man ein, vielleicht sogar zwei Jahre lang tun. Nun aber ist es die wirkliche „Ära Husäk”, nun trägt er die Mare Verantwortung für die Politik und deren Folgen, und was sich hier darbietet, ist dürftig genug. Außenpolitisch und militärisch ist die Tschechoslowakei längst in die alte Problemlosigkeit und Gesichts- losigkeit eingependelt; kein Schimmer einer selbständigen Außenpolitik ist sichtbar, wie wir sie vor allem von Rumänien her kennen; der Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion umfaßt ganz selbstverständlich die Bestandteile der Breschnjew-Doktrin, was bei dem ein wenig später abgeschlossenen rumänisch-sowjetischen Freundschaftsvertrag keineswegs der Fall ist. Im Rahmen einer neuen deutschen Ostpolitik hat das Prager Czernin-Palais ganz natürlich Moskau und Warschau — von Bukarest gar nicht zu reden — den Vorrang gelassen und damit die klarerweise verbundenen Nachteile dieser Situation in Kauf genommen. Militärisch muß von einer Dauerbesetzung durch die Sowjets gesprochen werden, eine Tatsache, die übrigens auch noch von offizieller Prager Seite begrüßt und mit ähnlichen NATO- Maßnahmen in Westeuropa begründet werden mußte.

Auf dem manchen so unwichtig er scheinenden Gebiet der Künste und der Wissenschaft erfolgte unter Husäk ein derartiger Kahlschlag, wie dies nicht einmal in der stalinistischen Zeit in der Tschechoslowakei üblich war, ob man nun das Gebiet der Presse, des Rundfunks und Fernsehens, der Wissenschaft und Hochschulen, des Films hernimmt — derart, daß sogar Breschnjew Husäk zu einem Einlenken aufgefordert haben soll. Gerade hier hat der einstige Hilfsarbeiter Dubček fast spielend Kontakte und Vertrauen bei den Künstlern gefunden, während

Doktor Husäk wenig Kontakt suchte und noch weit radikaler vorging, als seinerzeit Novotny und sein Ideologe Hendrych, dessen ideologischer Kampf fast ausschließlich auf die Schriftsteller beschränkt war.

Das gewiß schwierigste und sorgenvollste Kapitel — vor allem auch unter Berücksichtigung der bedrohlichen Entwicklung in Polen — war das des wirtschaftlichen Bereiches. Hier suchte man des Rätsels Lösung bei denselben Maßnahmen, die schon Novotny angewandt hatte: bei halben Maßnahmen und durch Zuwarten, wie die Wirtschaftsreformen in anderen Volksdemokratien funktionierten. Inflationistische Tendenzen, wie sie vor allem 1969 in der Tschechoslowakei sichtbar wurden, hat man durch ein simples und rücksichtsloses Lohn-Preis-Moratorium abzustellen versucht; die Einrichtung der gewählten Betriebsdirektoren hat man rücksichtslos abgeschafft; eine Maßnahme in Richtung des geringsten Widerstandes schien es, zur zentralen Lenkung der Wirtschaftsplanung zurückzukehren, aber auch zu dem neuerlich gelenkten Einsatz der Arbeitskräfte — durchaus Maßnahmen, die sehr wohl das persönliche Geschick der einzelnen Staatsbürger, und zwar meist unerfreulich — berühren.

Die Technokraten warten

In dieser Situation mehren sich die Gerüchte, daß diese „Ära Husäk” nicht mehr allzulange dauern werde. Staatspräsident General Svoboda, der lange Zeit auf der Woge des Ansehens im Prager Frühling mitschwamm, hat neuerlich einen Tiefpunkt im Ansehen der Bevölkerung erreicht, der seinen Rücktritt nicht unwahrscheinlich erscheinen läßt. Zumindest läuft die fünfjährige Periode der Präsidentenamtszeit im Frühjahr 1973 aus — also genau in zwei Jahren, und das ist eine kurze Zeit; bis dahin wäre der gewiß noch gesund und agil wirkende Ludwig Svoboda 78 Jahre alt und Gustav Husäk genau 60 Jahre, ein gutes Alter, um als aktiver Politiker abzutreten und Staatspräsident zu werden. Ein oder zwei Kronprinzen nach Husäk sind übrigens längst aufgebaut — nüchterne Technokraten, wie sich das für eine etablierte kommunistische Führung gehört, und beide Tschechen, nachdem die letzten beiden, Dubček und Husäk, Slowaken waren. Es ist dies der heute 47jährige Dr. Lübomir Strougal, der vor allem 1969 und 1970 einen rake- tenhaften Aufstieg machte (obwohl er auch schon während des Prager Frühlings stellvertretender Regierungschef war) und seit 28. Jänner 1970 als Chef der Bundesregierung zweitwichtigster Mann im Staate ist. Gleichzeitig hat aber auch Josef Kempny (51) einen kaum weniger rapiden Aufstieg mitgemacht; 1969 ist er Chef der tschechischen Regierung und Stellvertretender Ministerpräsident der Bundesregierung geworden. Seit Anfang 1970 ist er Chef des tschechischen Büros der KPTsch und sitzt somit auf keinem unbedeutenderen Schalthebel. Wird man, falls Strougal oder Kempny als Parteichef an die Macht und Husäk auf die Prager Burg kommt, die „Ära Husäk” als Übergang, als notwendiges Übel, als von den Sowjets oktroyiert, als Beginn einer Normalisierung, als Neo-Stalinismus oder als zweite realistische Phase bezeichnen? Noch kann es niemand, sagen. Als Höhepunkt in der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte wird die Zeit unter Husäk gewiß nicht bezeichnet werden können.

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