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Nichts geht ohne die Roten Khmer

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In einem Monat wird die UNO aus Kambodscha abziehen. Dann ist das Land wieder sich selbst überlassen. Sich selbst, das heißt: seiner tiefen inneren Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit, seinem politischen Hader und der grassierenden Gewalttätigkeit. Sich selbst, das heißt auch: seinen vier ehemaligen Bürgerkriegsparteien.

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In einem Monat wird die UNO aus Kambodscha abziehen. Dann ist das Land wieder sich selbst überlassen. Sich selbst, das heißt: seiner tiefen inneren Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit, seinem politischen Hader und der grassierenden Gewalttätigkeit. Sich selbst, das heißt auch: seinen vier ehemaligen Bürgerkriegsparteien.

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Kambodscha ist ein Land, dem seine Seele geraubt worden ist. Hin- und hergerissen zwischen den Interessen seiner übermächtigen und begehrlichen Nachbarn, hineingezogen in deren Kriege und schließlich geschlagen vom Wahn seiner eigenen mörderischen Jakobiner, ist das Land in einem Zustand der Erschöpfung und Ausgebranntheit.

Noch nie zuvor hatte die UNO eine so komplizierte, umfassende und kostspielige Aufgabe gestellt bekommen, wie sie die 22.000 Mann zivilen und militärischen Personals in den zwei Jahren in Kambodscha zu erfüllen hatten. Die UNTAC - die „Übergangsverwaltung für Kambodscha” hatte nicht nur die Rolle der Friedenssicherung, sondern sie mußte faktisch ein nahezu unregierbares Land regieren.

Die UNO kann den Erfolg der Wahlen vom Mai auf ihre Fahnen schreiben. Sie sind weitgehend friedlich abgelaufen, die Wahlbeteiligung war enorm, die demokratische und faire Durchführung über jeden Zweifel erhaben, das Ergebnis überraschend. Die spätkommunistische Staatspartei CPP, die von den ehemaligen vietnamesischen Okkupanten gestützte Regierungspartei, war sich ihres Sieges sicher gewesen und fiel aus allen Wolken, daß sie von der nomarchistischen FUNCINPEC geschlagen wurde.

Dir erster Reflex war denn auch, die Wahlen als irregulär abzulehnen und sich dem Protektor Vietnam an die Brust zu werfen. Die UNO darf es sich zugute halten, daß es nur ihrer Anwesenheit zuzuschreiben ist, daß die CPP die Wahlen dann doch anerkannt, und sich mit der FUNCINPEC an einen Tisch gesetzt hat, und der Bürgerkrieg nicht sofort wieder ausgebrochen ist.

Die Wahlen haben dem UNO-Ein-satz seine Rechtfertigung verliehen, aber auch die vielen Sünden und Fahrlässigkeiten der UNO in Kambodscha zugedeckt. Das schwerste Versäumnis war, daß der miltärische Arm der UNO nicht einmal den Versuch unternommen hat, die Bürgerkriegsparteien zu entwaffnen.

Die Kambodschaner haben buchstäblich mit den Füßen für den Frieden und einen neuen Anfang gestimmt, sie ließen sich weder vom Terror der Roten Khmer noch von den offenen und versteckten Pressionen und Gewalttaten der CPP abschrecken, zu den Urnen zu strömen und zu wählen, wen sie wollten. Die zutiefst korrupte Staatspartei, deren Funktionäre sich schamlos bereichert und das ohnehin arme Land noch weiter ausgebeutet haben, ist von den Wählern durchschaut worden.

Bittere Realitäten

Die S ieger sind aber nun wieder mit den bitteren Realitäten des Landes konfrontiert. Dazu gehört ein nahezu nicht existierendes Staatswesen; dazu gehört auch, daß das von den Vietnamesen 1979 installierte kommunistisch-totalitäre Regime den gesamten Staatsapparat weiter kontrolliert.

Wohl oder übel mußte der Führer der FUNCINPEC, Prinz Pannaridh, als Preis für die Kooperation der CPP ihre Gleichrangigkeit in der Regierung akzeptieren. Er und der bisherige Regierungschef Hun Sen leiten in der Übergangsregierung gemeinsam die wichtigen Ministerien für Inneres und Militär. Ohne die CPP ist auch die neue Verfassung nicht zu beschließen.

Die zweite Realität Kambodschas, an der die Wahlsieger nicht vorbeikommen, sind die Roten Khmer und die von ihnen ungebrochen ausgehende Gefahr für jede Friedenslösung. Rannariddh steht vor der Wahl, die Roten Khmer in die künftige politische Struktur einzubeziehen oder sie draußen zu lassen, wie es vor allem die USA fordern. Am schwierigsten ist die Einbindung der Roten-Khmer-Kämpfer in eine nationale Armee.

Das Problem ist vor allem, daß niemand wirklich weiß, wer bei den Roten Khmer tatsächlich den Kurs bestimmt. Sind es die Schergen der siebziger Jahre und mörderische Ideologien vom Schlage eines Pol Pot und Ieng Sary? Oder sind es Leute wie Khieu Samphan, der einzige der Spitzenleute, der nach außen auftritt und auch als Emissär in Phnom Phen verhandelt?

Kambodscha hat nach der fürchterlichen Tragödie der letzten zwei Jahrzehnte zumindest wieder Grund zur Hoffnung. Aber der Weg zum Frieden wird lang und schwierig sein und niemand weiß zu sagen, ob die Gespenster der Vergangenheit nicht schnell wieder auftauchen, wenn die UNO abgezogen ist.

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