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Nie Richter über den Wert des Lebens

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Drei alltägliche klinische Beispiele für die Problematik von Krankheit, Leiden und therapeutischem Verhalten.

Die Vielschichtigkeit der Thematik ist freilich viel umfassender; aber die immer wiederkehrende, unausweichliche Grundfrage für Arzt und Gesellschaft läßt sich stets auf den gleichen Nenner bringen: Wie ist die Einstellung zum Leben?

Ein klares Ja oder Nein ist gefordert, denn ein „Jein" kann es nicht geben. Ja zum Leben sagen, bedeutet einen unteilbaren Positivismus ohne Einschränkung in allen Situationen und Ebenen, ein Mittragen aller inhärenten Schattenseiten einschließlich des Leidens: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, aber bis zu einem gewissen Grad auch auf Leiden, das für ihn durchaus läuternde Chance sein kann.

Kein Mensch hat das Recht, dem anderen das Leben zu nehmen. Der Arzt ist kraft seines Eides und Berufes im Gewissen verpflichtet, Krankheiten zu heilen, zu bessern und Leiden zu lindern. Er hat die Aufgabe, aufgrund seines Wissens und Könnens die für den Patienten individuell jeweils optimale Behandlung durchzuführen und wenigstens Symptome zu bekämpfen, Schäden zu begrenzen oder den Status quo zu behaupten, wenn schon die Ursache nicht therapierbar ist.

Ein absoluter Therapieverzicht ist weder fachlich noch ethisch vertretbar, weil man hiermit dem Patienten eine Chance vorenthalten und eine mögliche weitere Verschlechterung der Lebens- und Pflegequalität (mit noch größeren Folgekosten!) widerstandslos hinnehmen würde. Ein „per-missives" therapeutisches Vorgehen ist nur dann legitim, wenn die Behandlung wirklich sinnlos oder mit unzumutbaren Belastungen und Risken verbunden wäre. Die jeweilige Entscheidung erfordert freilich oftmals große Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Niemals aber darf man den Patienten gänzlich ohne Therapie seinem

Schicksal überlassen; denn selbst wenn vitale Medikationen nicht mehr zielführend sind, muß die Analgesie, die Grundpflege und vor allem die psychische Betreuung als Behandlungsmethode bis zuletzt gewährleistet bleiben. Der Arzt ist auch dann noch Therapeut, wenn er dem Patienten „nur" die Hand hält, und er muß auch diese Herausforderung annehmen: Krankheit, Leiden und Mißerfolge wohnen dem Leben quasi als Naturgesetze inne.

Die Mehrzahl der Ärzte - und auch der Großteil des Pflegepersonals -denkt und handelt nach diesen Maximen, aufopfernd, unspektakulär, oftmals unbedankt und unverstanden. Aktive Euthanasie, Tötung auf Verlangen sind für sie in noch so schwierigen Situationen eine Bankrotterklärung und keine Alternative, von juristischen Bedenken ganz abgesehen.

Ihre ethische Position ist mit der christlichen Auffassung weithin kongruent. Es geht um die vollinhaltliche und vorbehaltslose Akzeptanz des fünften Gebots und das Freisein von der Anmaßung, Richter über den Wert oder „Unwert" des Lebens und des Leidens spielen zu wollen, konkret: Kreative Leidenstherapie statt Lebensverkürzung durch Tötung zu betreiben, nicht den unbesiegbaren Tod, sondern das Leiden überwinden zu helfen. Auch an die Adresse der Wissenschaft ergeht der Ruf nach ständigen Verbesserungen in dieser Hinsicht.

Nicht zuletzt liegt in der „Sozialenergie", der therapeutischen, pflegerischen und menschlichen Zuwendung zum homo patiens auch eine Chance für die Betreuer selbst, für ihre Persönlichkeitsreifung, für die Weiterentwicklung ihres Könnens und ihrer Erfahrung und für die reale Ausübung der Nächstenliebe.

Das Leben kann auch im Leiden große Reichtümer für den bereithalten, der sich dem Wagnis der konsequenten Bejahung und Problembewältigung unterwirft.

Motivation statt Frustration!

Agieren des Menschen als zoön politikön, als Gemeinschaftswesen, nicht als lupus, als Wolf seiner selbst.

Wir müssen aus unserem Leben und Leiden das Beste zu machen versuchen.

Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Klein ist Vorstand der 3. Internen Abteilung am Pflegeheim der Stadt Wien Baumgarten.

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