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Niederlage an der Verteilungsfront

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Jahrelang prägte der britische Nationalökonom Keynes die Wirtschaftspolitik der westlichen Länder. Warum wurde dieses Experiment - auch in Österreich - abgebrochen?

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Jahrelang prägte der britische Nationalökonom Keynes die Wirtschaftspolitik der westlichen Länder. Warum wurde dieses Experiment - auch in Österreich - abgebrochen?

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Noch zu Beginn der siebziger Jahre war der Rahmen der Wirtschaftspolitik in den westlichen Industrieländern von den - wenn auch etwas uminterpretierten — Lehren des britischen Nationalökonomen Keynes geprägt. Diese gipfelten vereinfacht gesagt darin, daß in einer Situation, in der die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht mehr ausreicht, um das verfügbare Produktionspotential auszulasten und die Arbeitswilligen zu beschäftigen, der Staat zusätzlich Nachfrage und damit zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen müßte (und auch könne), indem er mehr Geld ausgibt als er einnimmt.

Zu Beginn der achtziger Jahre hingegen war die wirtschaftspolitische Praxis in diesen Ländern mit wenigen Ausnahmen von dieser monetaristischen Kritik und der zehn Jahre davor so gut wie unbekannten „Angebotsökonomie“ beherrscht. Während dieser Zeit hatten auch die amtierenden Regierungen eine teils dramatische, teils subtile Wende in der Gewichtung der wirtschaftspolitischen Ziele vollzogen.

Während vor 18 Jahren die Aussage des bundesdeutschen Kanzlers Helmut Schmidt, fünf Prozent Inflation seien immer noch besser als fünf Prozent Arbeitslosigkeit (eine Variante zu diesem Spruch wurde ja auch in Österreich geradezu legendär), auf fast ungeteilte Zustimmung unter den westlichen Regierungen gestoßen wäre, hätte sie anfangs der achtziger Jahre bereits mehrheitlich Kopfschütteln ausgelöst: Zu diesem Zeitpunkt hatte die Wieder-erringung und Erhaltung der Preisstabilität schon Priorität vor der Vollbeschäftigung erlangt.

Auch hierzulande ist die Frage viel diskutiert, ob, wann und warum die alpenländische Ausprägung des Keynesianismus, der sogenannte „Austro-Keynesia-nismus“, bereits aufgegeben wurde oder nicht.

Wie es dazu gekommen ist und warum „das keynesianische Experiment abgebrochen“ wurde, dazu liefert der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Fritz Scharpf in seinem Buch1 über „Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa“ eine Fülle von interessanten Denkanstößen.

Zu diesem Zweck werden die Wirtschaftspolitiken der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, Schwedens und Großbritanniens verglichen. Diese vier Länder hatten zumindest über weite Strecken Sozialdemokratische Regierungen, die Anfang der siebziger Jahre vor ähnlichen Problemen standen. ' Interessant ist nun, daß die Krisenbewältigung ganz unterschiedliche Formen annahm und daher auch der Erfolg recht unterschiedlich war. Man darf feststellen, daß Osterreich bei einem solchen Vergleich sehr gut abschneidet: Wie auch in Schweden gelang es, entgegen dem allgemeinen Trend, einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in dieser Phase zu vermeiden und sogar noch die Beschäftigungen zu erhöhen — in Österreich aber auch bei Inflationsraten, die klar unter dem internationalen Durchschnitt lagen. Noch bessere Ergebnisse bei der Inflationsbekämpfung erzielte zwar die Bundesrepublik, aber auf Kosten einer rasch steigenden Arbeitslosigkeit.

Die rote Laterne der Erfolglosigkeit haben die britischen Labour-Regierungen zu tragen, die weder Massenarbeitslosigkeit noch hohe Inflation zu verhindern vermochten.

Das beweist nach Scharpf zweierlei: Erstens, daß Massenarbeitslosigkeit auch in diesen krisenhaften Jahren offenbar kein unentrinnbares Schicksal war und daß der Erfolg einer Wirtschaftspolitik auch von den innenpolitischen Besonderheiten und Institutionen abhängt.

So lief es in Osterreich gut, weil die politischen Akteure zusammenarbeiteten: Die Finanzpolitik war expansiv, begleitet von einer Währungspolitik, die den Inflationsimport minimierte, die Gewerkschaften verzichteten auf eine offensive Umverteilungspolitik und akzeptierten um der Stabilität, des Wachstums und des sozialen Friedens willen die Notwendigkeit ausreichender Unternehmensgewinne.

Die Gründe, warum diese Strategien etwa ab Mitte der siebziger Jahre (in Osterreich wahrscheinlich später) immer weniger durchgehalten werden konnten, liegen nach Scharpf in der immer stärker werdenden Liberalisierung und Globalisierung der Kapitalmärkte, die eine Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf die rein inländischen Ziele - Wachstum, Inflation und Beschäftigung — immer schwieriger machten.

Dies führte dazu, daß beispielsweise arbeitsplatzschaffende Investitionen nur noch dann getätigt wurden, wenn damit eine höhere Rendite zu erreichen war als im globalen Kapitalmarkt.

Nach Scharpf haben nun Gewerkschaft und Sozialdemokratie diese „Niederlage an der Verteilungsfront“, also die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Kapitalseite, fürs erste wohl zur Kenntnis zu nehmen.

Die Rezepte, die er aber dann für die Zukunft anzubieten hat, werden Sozialdemokraten nicht begeistern können. „Vollbeschäftigung, steigende Arbeitseinkommen, steigende Sozialtransfers und bessere Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen und Diensten sind derzeit nicht zugleich erreichbar“, schreibt Scharpf. Er empfiehlt die Entwicklung einer „sozialdemokratischen Angebotspolitik“, die neue Produktionsverfahren und neue Produkte fördern soll. Die schwedischen Sozialdemokraten haben diese Idee in Form von Arbeitnehmerfonds bereits aufgegriffen. In Osterreich existieren bekanntlich noch viele Vorbehalte gegen eine solche „Verteilung des Produk-tiwermögens“.

'SOZIALDEMOKRATISCHE KRISEN-POLITIK IN EUROPA. Von Fritz Scharpf. Verlas Campus, Frankfurt/Main 1987. PPP. DM?

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