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Niemals hassen

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„Wir erkennen nun, daß viele, viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen bedeckt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, daß das Kainszeichen auf unserer Stirne steht. Jahrhundertelang hat Abel darniedergelegen in Blut und Tränen, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns die Verfluchung, die wir zu Unrecht aussprachen über den Namen der Juden. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fluche zum zweiten Male kreuzigten. Denn wir wußten nicht, was wir taten ...“

Dieses von Johannes XXIII. verfaßte Bußgebet drückte mir vor einigen Tagen ein jüdischer Freund in die Hand, als wir im Kaffeehaus saßen und darüber sprachen, was wir tun könnten und tun sollten, um ein Wiederausbrechen der gräßlichen Seuche Antisemitismus zu verhindern.

Aber es war keine Mahnung, die mir mein Freund da vielleicht zukommen lassen wollte, nein, er wollte mit diesen zu Herzen gehenden Worten des großen Papstes mich trösten, sozusagen; verzweifle nicht, es gibt die christliche Abbitte an die Juden für das, was an bitterem Unrecht in Gedanken, Worten und Werken geschehen ist, es gibt die christliche Absage an den Antisemitismus.

Mein Freund, „nicht nur“ Jude, sondern auch engagierter Kämpfer für die Unabhängigkeit Österreichs, hatte 1938 sofort mit seiner hochschwangeren Frau vor den Nazis flüchten müssen, wurde von ihnen auf ihren Eroberungen eingeholt, eingesperrt, bis ihm neuerlich die Flucht gelang. Seine Frau hat alle ihre Verwandten in den Nazi-KZs verloren, er nicht alle...

Nach dem Krieg kam er aus Israel mit seiner Frau nach Österreich zurück. Auch darüber sprachen wir wieder. Er erzählte mir dazu nur, was ihm sein seliger Vater für die Rückkehr in ein Land, das mit soviel Erinnerungen an Verfolgungen verbunden war, als Rat mitgegeben hatte: „Vergessen darfst Du nie, hassen darfst Du nie!“

An die zwei großen Worte, an das Abbittegebet von Johannes XXIII. und an den Rat eines frommen Juden an seinen in das Land, für das er sich eingesetzt hatte und in dem er verfolgt worden war, zurückkehrenden Sohn, muß ich seither immer wieder denken. Haben wir Christen und „Nachchristen“ (Friedrich Heer) in Österreich begriffen, was Johannes XXIII. weniger den Juden als uns mit seinem Bußgebet sagen wollte? Können wir nur im entfernten die gleiche Seelengröße aufbringen wie jener fromme alte Jude, der angesichts der eben erst geschehenen Barbarei, die man seinem Volk und unmittelbar auch vielen seiner Verwandten und Freunde angetan hatte, sagen konnte: „Hassen sollst Du nie“?

Oder taucht das Kainszeichen auf unserer Stirn wieder auf, wird Christus wiederum in der Verfluchung, die über den Namen der Juden ausgesprochen wird, gekreuzigt? Daß Johannes Paul II. in diesen Tagen den historischen Schritt in eine Synagoge gesetzt hat, erscheint mir in diesem Zusammenhang als geradezu glückliche Fügung.

Ubertreibe ich nicht maßlos? Die Konferenz aller maßgebenden Meinungsforscher Österreichs hat doch erst vor wenigen Tagen festgestellt, es gebe keine Zunahme des Antisemitismus in Österreich, es werde nur der vorhandene latente manifester, und auch das werde sich nach dem

4. Mai wieder geben. Eine beruhigende und eine beunruhigende Botschaft zugleich. Warum gelingt es nicht, diesen latenten Antisemitismus auszumerzen? Ich rede jetzt bewußt nicht von seinen aktuellen Manifestationen, ebensowenig von aktuellen Vorwürfen des angeblichen Ausspielens antisemitischer Emotionen, die ebenso irrational, oder wie im Falle der — weil gelben, angeblich gleich auch antisemitischen - Plakate geradezu lächerlich sind.

Nein, die Tatsache, daß Angriffe auf einen Präsidentschaftskandidaten für manche, auch solche, die nicht im Traum daran denken, diesen Kandidaten zu unterstützen oder zu wählen, einen willkommenen Vorwand bieten, ihr antisemitisches Repertoire hervorzuholen, unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem längst bekannten Phänomen, wie Antisemitismus unter dem Tarnmäntelchen des Antizionismus wieder salonfähig wurde. Vor allem in manchen linken Kreisen wurde der antizionistische Strohhalm gerne aufgegriffen, um scheinbar unverdächtig die Brühe des Antisemitismus zu schlürfen.

Aber vielleicht sollten wir alle, die wir uns auch mit einem latenten Antisemitismus einiger Prozente unserer Mitbürger (siehe Seite 5) nicht abfinden wollen, gerade auch diese Gelegenheit beim Schopf ergreifen: Etwas, das manifest wird, läßt sich leichter bekämpfen als ein unsichtbarer Gegner. Gerade jetzt heißt es Farbe bekennen, Kleinmut und Opportunismus zu überwinden, und vor allem im Alltag antisemitischen Äußerungen entgegenzutreten und gleich die Chance zu nützen, für eine humane, christliche Gesinnung zu werben, in der es keinen Platz für Antisemitismus gibt. „Hassen sollst Du nie“, sagte unser erstgeborener Bruder.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft

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