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Niemand wird als Terrorist geboren

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FURCHE: Seit dem 2. März 1975 ist die CDU die größte Partei in Westberlin. Während der langen Geschichte dieser Stadt wurde die SPD zum ersten Mal ausgestochen. Wodurch ist das geglückt, und wie haben Sie als Spitzenkandidat der CDU den SPD-Lan-desvorsitzenden Klaus Schütz um seinen Regierenden Bürgermeister-Bonus — abgewandelt von Kanzlerbonus — gebracht?

LORENZ: Nach langen Jahren ist es uns geglückt, die Vorstellung abzubauen, unsere CDU sei eine Partei, die von Kirchen oder Unternehmen gesteuert wird. Heute gilt sie als wirkliche Alternative zur SPD. Nach dem Tief von 1963 wurde ständig aufgeholt. Allerdings ist erst jetzt der große Durchbruch geglückt. Mit der Bevölkerung erreichten wir einen besseren Kontakt als die SPD und gewannen sogar viele ihrer bisherigen Stammwähler aus den Arbeitnehmern hinzu. Fernerhin mußte die CDU natürlich nicht für alle möglichen Nachteile und Fehlschläge des Senats und der Regierungspartei geradestehen. Nicht zuletzt spiegelten unsere offensiven Wahlkampfthemen die Meinung der Berliner Bevölkerung wieder.

FURCHE: Trug zu diesem Sieg aber nicht vor allem die Welle der Sympathie bei, die Ihnen als Geisel der 2.-Juni-Terroristen entgegenschlug?

LORENZ: Ob die ja erst drei Tage vor den Wahlen erfolgte Entführung dazu beigetragen hat, daß wir die SPD überholen konnten, ist eine reine Spekulation. Vielleicht waren einige Sympathiestimmen für mich dabei. Anderseits hatte sich der Sozialdemokrat Klaus Schütz in dieser Zeit ausgezeichnet verhalten. Möglicherweise wurden dadurch wieder Wähler veranlaßt, der SPD ihre Stimme zu geben. Eines hätte also das andere ausgeglichen.

FURCHE: Die Berliner SPD wird als weiter rechts stehend als die SPD der Bundesrepublik beurteilt. Haben deswegen nicht manche Wähler die Entscheidung getroffen: dann lieber gleich CDU?

LORENZ: Da mag schon etwas dran sein. Vergessen Sie aber auch nicht, daß eine linke Gruppe der Berliner SPD überfällige energische Maßnahmen des Senats verhindern konnte. Beispielsweise mußte die rechte Mehrheit dieser Partei, als es um die Radikalen im öffentlichen Dienst und die Situation an den Universitäten und Schulen ging, klein beigeben. Nun, das paßte sehr vielen Berlinern nicht. Vielmehr wollten sie eine unzweideutige Politik des Senats bei der Zurückdrängung der Radikalen und

FURCHE: Sind Ihnen als Opposition durch die besondere Lage Berlins nicht oft die Hände gebunden?

LORENZ: Ja, hier ist es immer notwendig, ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten. Alle demokratischen Kräfte in dieser Stadt bindet natürlich die gemeinsame Abwehr kommunistischer Einflüsse und das immer noch vorhandene Begehren der DDR, Westberlin eines Tages doch einzugliedern. Und man ließ ja auch auf einem ganz wichtigen Gebiet der Entspannung unsere Stadt unberücksichtigt. Die Bindungen Berlins an den Bund werden trotz des Viermächte-Abkommens, trotz Helsinki und eben allen rhetorischen Entspan-nungsbeteuerungen, bisher im Detail immer noch bestritten und bekämpft.

Sehen Sie, man will den Berlinern die deutsche Staatsbürgerschaft absprechen, diese Sadt in bestimmte Verträge mit der Sowjetunion nicht einbeziehen und sie zu einer besonderen politischen, ja darüber hinaus, einer besonderen gesellschaftlichen Einheit machen. Es gibt immer wieder Vertragsbrüche, aber auf der anderen Seite ein sehr bemerkenswertes Nachgeben der deutschen Bundesregierung, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet. Ich denke nur an die unerhörten Kredite, die wir im innerdeutschen Handel der DDR gewähren. Bei den jetzigen Verkehrsvereinbarungen, mögen sie Berlin auch unbestreitbare Vorteile bringen, wird das, was die DDR gewährte, doppelt bezahlt oder wieder maßlos- überbezahlt, und man verlangt von ihr nicht einmal ein entsprechendes vertragsgemäßes Verhalten.

FURCHE: Zuletzt: Welche Konsequenzen hat Ihre Entführung für Sie in der Gegenwart und möglicherweise auch in der Zukunft?

LORENZ: Zunächst war das eine wesentliche Zäsur in meinem Leben — diese Erfahrung, innerhalb unserer Ordnung nicht sicher zu sein. Durch die Begegnung und Gespräche mit meinen Entführern ist die schon vorher vorhandene Erkenntnis, daß eine möglichst große Solidarität der Demokraten gegen Terror und Gewalt hergestellt werden muß, noch erhärtet worden. Aber man muß auch die geistigen Grundlagen dieses Terrorismus erforschen, um ihm erfolgreicher begegnen zu können und die zahlreichen Sympathisanten solcher Gruppen davon zu überzeugen, auf welch falschem Weg sie sich befinden. Niemand ist ja als Terrorist geboren worden. Viele sind gebildet und kommen aus gutbürgerlichen Familien. Selbstredend sollte man sich die Frage stellen, wie das in einer Demokratie, mit der freiesten Gesellschaft, die es auf unserem Boden je gegeben hat, entstehen und wachsen konnte.

Mit dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Peter Lorenz sprach FURCHE-Mitar-beiter Alfred Joachim Fischer.

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