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Nigeria: Ausländer als Sündenböcke

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Der Erlaß kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Am 17. Jänner forderte Nigerias Innenminister über zwei Millionen „illegale" Gastarbeiter auf, das Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen.

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Der Erlaß kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Am 17. Jänner forderte Nigerias Innenminister über zwei Millionen „illegale" Gastarbeiter auf, das Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen.

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Das Deportationsdekret war eine Überraschung für jedermann. Doch noch überraschender war die Reaktion der Betroffenen: Augenblicklich waren die Transportmittel in die Nachbarstaaten Nigerias überflutet von Hunderttausenden Gastarbeitern, die das Land eilig zu verlassen versuchten. Die Kais des Apapa-Hafens von Lagos wurden zu einer Art Flüchtlingslager weiterer Tau-

sender, die gleichfalls auf den Transport aus Nigeria warteten.

Aufgrund einer einzigen Verordnung waren plötzlich über zwei Millionen Menschen heimatlos geworden, ohne Arbeit oder Beschäftigung, auf die Straße in eine unsichere Zukunft ausgesetzt.

Die Hast, mit der die Ghanesen, aber auch Tausende Zuwanderer aus dem Tschad, Kamerun, Togo, Benin, Niger, Obervolta und Mali ihre Wahlheimat Nigeria zu verlassen versuchten, läßt sich indessen nicht nur mit dem Erlaß von Innenminister Alhaji Ali Baba erklären. Aber wenn man die Gründe für die überstürzte Flucht aus Nigeria untersucht, kann man auch die Hintergründe des Ausweisungsdekrets besser verstehen; gleichzeitig spiegeln sie die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Situation des Landes wider.

Die Einwanderung nach Nigeria erfolgte in den letzten zehn, fünfzehn Jahren auf einer Nord- Süd-Basis: Im Norden waren es die Hausa-sprechenden Muslime aus Niger, Kamerun und dem Tschad, die nach Nigeria fluteten, ohne sich viel um die Formalitäten ordentlicher Einreise-Papiere zu kümmern.

Als in den siebziger Jahren der Wirtschafts-Boom durch das Erdöl in Nigeria voll zum Tragen kam, die wirtschaftliche Situation in den anderen westafrikanischen Staaten sich aber verschlimmerte, verstärkte sich dieser Strom der Einwanderer noch. Sie konzentrierten sich vor allem um die wichtigsten nördlichen Städte Kaduna, Kano und Maidu- guri.

In den letzten eineinhalb Jahren aber brachen religiöse Unruhen in diesen Städten aus, angefacht — wie erklärt wurde — vor allem von Nicht-Nigerianern, die den islamischen Fundamentalismus ins Land gebracht hätten.

Auch im Süden waren es wirtschaftliche Gründe, die Ausländer nach Nigeria lockten. Hier sammelten sie sich hauptsächlich in und um die Hauptstadt Lagos. Die meisten davon stammten aus Ghana — einem Land mit einer katastrophalen Wirtschaftslage.

Nigeria mit seinem auf Erdöl schwimmenden Reichtum war ein Land der Möglichkeiten für die Ghanesen; geschätzte ein bis zwei Millionen von ihnen strömten deshalb nach Lagos.

Konsequenterweise wurden die Leute aus Ghana zu einem wichtigen Faktor in der nigerianischen Arbeitswelt. Die Textil- und Bauwirtschaft stützte sich auf diese Arbeitskräfte, man konnte in Lagos aber auch aus Ghana stammende Ärzte, Lehrer, Beamte sowie Facharbeiter antreffen. Und in Straßen der Hauptstadt sah man geschickte Händler ihre Waren anbieten — viele darunter ebenfalls Ghanesen.

Aber Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre begann man auch in Nigeria allmählich aus dem Traum zu erwachen: Die Erdölpreise fielen, die Ölproduktion Nigerias auch - von 2J2 Millionen Faß am Tag (Jänner 1981) auf weit unter eine Million, das Land

schlitterte in die Krise. Die Folge: steigende Arbeitslosenzahlen. Und wie im Norden gewann die Ausländerfeindlichkeit rasch an Boden, als arbeitslose Nigerianer auf den Straßen standen und beobachten konnten, wie die Ghanesen zu ihren Arbeitsplätzen eilten.

Insofern spiegelt der Ali-Baba- Erlaß die Ausländer-Ressentiments eines großen Teils der nigerianischen Bevölkerung wider. Die Zeitungen bejubelten denn auch die Verordnung des Innenministers. Und flüchtende Ghanesen erklärten die hastige Befolgung des Erlasses damit, daß sie die Selbstjustiz der Nigerianer gegen alle jene befürchteten, die das Land nicht schnell genug verlassen würden.

Die Beziehungen zwischen Nigeria und Ghana sind schon die längste Zeit angespannt. 1969 erließ die ghanesische Regierung unter Kofia Busią eine überraschende Verordnung — ähnlich

der jetzigen aus Lagos - die die sofortige Ausweisung Tausender Nigerianer zur Folge hatte. Das war unmittelbar nach dem Biafra- Krieg, als in Nigeria noch das Chaos herrschte.

Jetzt ist der Spieß umgedreht: Auch wenn Nigeria in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation steckt, ist es im Vergleich zu Ghana immer noch reich.

Zum Klub der 25 ärmsten Länder der Welt gehörend, kann die Wirtschaft Ghanas niemals die Wiedereingliederung von einer Million Rückwanderer bewerkstelligen. Wirtschaftswissenschafter streichen heraus, daß die in Nigeria arbeitenden Ghanesen nicht nur die Wirtschaft in ihrem eigenen Land entlasteten, sondern die Probleme Ghanas mit ihren Devisen-Uberweisungen sogar erheblich erleichterten.

Aber nicht nur wirtschaftliche Aspekte spielen in dieser ganzen Angelegenheit eine Rolle: Was Alhaji Ali Baba bei der Begründung für seine Deportations-Verordnung verschwieg, war, daß in Nigeria im August allgemeine Wahlen fällig sind. Politische Beobachter werten den „Ausländer- raus!“-Erlaß denn auch als Versuch der Regierung unter Präsident Shehu Shagari, eine Politik der starken Hand zu zeigen — insbesondere auch deshalb, weil andere wirtschaftliche Reformversuche zur Krisenbekämpfung alles andere als Erfolge zeitigten.

Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach viele Ghanesen mit jener Oppositionspartei sympathisierten, die Shagari seine Wiederwahl im August versalzen will. Daß bei der Ausweisungsverordnung politische Motive mit im Spiel waren, bestätigt auch die Tatsache, daß sich Oppositionsführer gegen den Schritt der Regierung aussprachen. Sie argumentierten, die Regierung wolle damit die Ausländer nur zu Sündenböcken für ihre eigenen wirtschaftlichen Fehlentscheidungen machen.

Und die Auswirkungen auf die Wirtschaft Nigerias? Westliche Diplomaten zweifeln jedenfalls daran, daß Nigerianer fachgerecht jene Lücken ausfüllen können, die die flüchtenden Ghanesen in der Bau- und Textilindustrie hinterlassen haben.

Spenden zur Linderung der Not der Flüchtlinge nehmen entgegen:

Osterr. Caritas, Postscheckkonto 7.700.004, Kennwort: Flüchtlinge

Osterr. Rotes Kreuz: Postscheckkonto 2.345.000, Kennwort: Westafrika

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