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Nikaragua nicht verklären

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Mit starken Worten wirbelte ÖVP-Abgeordneter Andreas Khol, gleichzeitig auch Generalsekretär der Europäischen Demokratischen Union (EDU), zuletzt beträchtlichen Staub auf: Khol hatte sich als Leiter einer dreiköpfigen Delegation der Internationalen Demokratischen Union (IDU) mehrere Tage in Nikaragua aufgehalten, um die Vorbereitung der für den 4. November anberaumten Wahlen zu kontrollieren.

Nach sei.ier Rückkehr erklärte Khol sinngemäß: Seien für die Nazis die Juden das Feindbild gewesen, so seien es für die Sandini-sten die Amerikaner. Der EDU-Generalsekretär berichtete von einer Atmosphäre der Angst“, von „Volksgerichthöfen und Blockwarten“, die die Bevölkerung einschüchterten, und empfahl, keine IDU-Beobachter zu den Wahlen zu entsenden, weil es sich am 4. November um keinen freien Wahlgang handeln würde.

Nicht alle sehen die Lage in Nikaragua so wie Khol — nicht einmal in seiner eigenen Partei. •

Nikaragua ist ein Reizwort. Das sollte nicht sein, denn es geht um die Menschen in Nikaragua. Ihnen kann man am ehesten helfen, wenn man vernünftig und differenziert die Lage ansieht.

Nikaragua soll man nicht romantisch verklären, wie es manche Linke tun. Nikaragua soll man aber auch nicht mit derben, unrichtigen Vergleichen abqualifizieren. Nazi und Vernichtung der Juden, ein bitteres Kapitel europäischer Geschichte, sind ein unzumutbarer Vergleich.

Die Wirklichkeit in diesem ausgebluteten Land im Schatten der übermächtigen USA ist Anlaß zur Besorgnis. Man muß aber verstehen, daß es auch von der Geschichte geprägt ist.

Jahrzehnte zentralamerikanischer Geschichte mit immer neuen Landungen amerikanischer Truppen sind eine Tatsache. So-moza, ein blutiger Diktator, ist jüngste Geschichte. Der Bürgerkrieg in Nikaragua bis tief in die Nordprovinzen Jinotega/Mata-galpa ist aktuelle Wirklichkeit, und die Verminung der Häfen bewegte noch vor dem Sommer Senat und Kongreß in Washington.

Besorgt muß man feststellen, daß die Bemühungen der Conta-dora-Staatengruppe, in die soviel Hoffnung gesetzt werden konnte, in den letzten Wochen an Dynamik verloren haben. Ein Hoffnungspunkt ist, daß es Gespräche USA/Nikaragua gibt.

Hoffnungspunkte sind, bei aller Kritik am sandinistischen Regime, erste Ergebnisse im Schulbereich, in der Alphabetisierung.

Mit internationaler Hilfe hat sich punktuell die Gesundheitsversorgung verbessert und — was noch vor einem Jahr bezweifelt wurde — es wird Wahlen geben. Man wird, wie in anderen Ländern dieser Region, am 4. November nach vielen Jahren das erste Mal wieder eine gesetzgebende Körperschaft wählen.

Aber die Kennzeichen mehren sich, daß diese Wahlen nicht mit der, auch von der Contadora erhofften Offenheit abgewickelt werden.

Es geht dabei nicht, aus europäischer Sicht all das gegen die Sandinisten ins Gefecht zu bringen, was man in anderen Staaten stillschweigend übergangen hat:

Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung in

Guatemala war eine ganze Reihe von Parteien verboten, ohne daß das internationale Erregung ausgelöst hätte. In anderen Staaten müssen Wahlauseinanderset-zungeh unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes und im Rahmen von Notstandsgesetzgebung abgewickelt werden, ohne daß sich jemand daran stößt. Und in manchen Ländern Südamerikas kennt man Wahlen nur mehr aus der Erinnerung.

Aber der sandinistische Anspruch, besser zu sein, müßte auch unter den schwierigen Umständen Nikaraguas besser zu erfüllen sein. Die Beschränkung der Pressefreiheit ist eine Realität. Sie stellt ein Grundrecht demokratischer Auseinandersetzung in Frage. Wo man nicht offen sagen kann, was man denkt, ist die Vielfalt von Meinung und Gegenmeinung letztlich nicht mehr möglich.

Das Koalitionsrecht, das Recht zur Versammlung, ist ein anderer Grundgedanke demokratischer Verfassung. Er ist durch die Behandlung der Oppositionsparteien, die die Eintragung in das Wahlregister verweigert haben, nicht gewährt. In Demokratien muß es möglich sein, zur Abgabe des weißen Stimmzettels oder gar zur Nichtbeteiligung aufzufordern. Es ist kein schöner, aber es ist ein möglicher Weg...

Die Alarmzeichen lassen sich fortsetzen. Zwar scheint die Phase der Druckausübung auf die Miskito-Indianer, die zweifellos von 1981 bis 1983 erfolgte, vorüber zu sein. Die Sandinisten haben bei der interamerikanischen Menschenrechtskommission eine Untersuchung eingeleitet, deren Resultate übrigens vieles bestätigen, was man befürchten mußte. Die Menschenrechtskommissionen sprechen von 4.000 bis 6.000 politischen Häftlingen, darunter sicherlich 2.500 Mitglieder von So-mozas Nationalgarde.

Aber dennoch: Politische Häftlinge und Sondergerichtshöfe sind etwas, was den Grundvorstellungen von Justiz und Menschenrechten nicht entspricht. Die Auseinandersetzung mit Teilen der katholischen Kirche ist schließlich auch ein Alarmzeichen und Ausdruck der Gefahr, daß man auch religiöse Grundwerte in Frage stellen könnte.

Die Anzeichen häufen sich, daß ein totalitäres System im Wachsen begriffen ist, und daß es immer weniger Chancen gibt, anders zu reden und anders zu denken.

Wie immer der Wahlgang ausgehen mag: In Nikaragua ist mehr Demokratie notwendig. Jene Gruppe in der Junta, die das verlangt, zeigt, daß es Kräfte dafür gibt. Gelingt dieses Mehr an Demokratie nicht, ist der Weg in ein autoritäres System fast mechanisch vorgezeichnet.

Die Verlierer wären dann, wie schon einst unter Somoza, die Menschen in Nikaragua.

Der Autor ist entwicklungspolitischer Sprecher der OVP.

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