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Nikaragua: Wahlen ohne Opposition

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Der Krisenregion Mittelamerika ist eine größere Atempause vergönnt. Denn bis zu den Präsidentschaftswahlen am 6. November in den USA werden kaum wichtige Entscheidungen fallen.

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Der Krisenregion Mittelamerika ist eine größere Atempause vergönnt. Denn bis zu den Präsidentschaftswahlen am 6. November in den USA werden kaum wichtige Entscheidungen fallen.

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Die Reagan-Administration hat ihre Vorleistung für die Atempause erbracht. Die auf ihr Drängen gehaltenen Wahlen in El Salvador und Guatemala gingen positiv aus. Das ist die eine Seite. Die andere ist ein neuer Dialogversuch mit Nikaragua, den US-Außenminister George Shultz am 1. Juni mit einem Flughafenge-

sprach in Managua eingeleitet hat. Seither ist sein Mittelamerika-Sonderbotschafter Harry W. Shlaudeman zweimal mit dem sandinistischen Vize-Außenminister Victor Tinoco zusammengetroffen.

Undurchschaubar ist allerdings, ob die Dialogbereitschaft lediglich eine taktische Geste der Reagan-Mannschaft für die Wahlen ist oder ob Washington ernsthaft ans Einlenken denkt. Angeblich will Shultz den Kontaktfaden zu den Sandinistas auf Dauer stärken, während die harte Riege mit Verteidigungsminister Caspar Weinberger, CIA-Direktor William Casey, Sicherheitsberater Robert McFarlane und UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick die Konfrontation mit dem ungeliebten Regime in Managua nur bis 1985 aufgeschoben sehen möchte.

Jedenfalls wird neben dem Dialog Ronald Reagans Rhetorik wieder schärfer — um dem CIA neue Mittel für die Unterstützung der „Konterrevolution" loszueisen.

In der Atempause bemühen sich auch die Randakteure um Wohlverhalten.

Guatemalas Militärregierung ließ am 1. Juli eine verfassungsgebende 88köpfige Nationalversammlung wählen. Daß die Wahlen vergleichsweise sauber waren, bestätigt die Tatsache, daß die tapferen Christdemokraten des Vinicio Cerezo in der Versammlung stark vertreten sein werden.

In El Salvador tastet der christdemokratische Präsident Jose Napoleon Duarte seit Anfang Juni seine geringe Manövrierfähigkeit ab. Er schlägt sich dabei recht gut, wenn ihm auch die Militärs und die ultrakonservativen Mehrheiten im Kongreß zwei Bereiche verschließen — an einen direkten Dialog mit der bewaffneten Volksopposition und an eine Fortführung der Agrarreform ist vorerst nicht zu denken.

Costa Rica bemüht sich beim Ausformulieren seiner jungen Neutralität um die Unterstützung Westeuropas. Im September wird unter den Augen der Europäischen Gemeinschaften ein internationales Kolloquium zu diesem Thema in San Jose stattfinden. Auch der Kontakt mit Österreich in Sachen Neutralität besteht weiter.

Honduras macht gute Miene zum Spiel, unter US-Vormundschaft Aufmarschplatz für anti-sandinistische Akteure zu sein, bemüht sich aber dennoch um Autonomieansätze.

Im Zentrum des Interesses steht natürlich Nikaragua, das am 19. Juli den fünften Jahrestag seiner Revolution feierte. Hier liegt nach

wie vor das Kernproblem der mittelamerikanischen Auseinandersetzung: Die USA wollen eine Garantie, daß Managua seine Revolution nicht exportiert, daß es keine kubanischen und sowjetischen Militärberater und Basen aufnimmt, daß es politisch pluralistisch bleibt.

Nikaraguas Sandinistas reagierten auf solche Erwartungen immer heftig. Daß man dank solcher Vorleistungen die Bewegungsfreiheit für jede Art Gesellschaftsveränderung gewinnen könnte, bleibt in Managua weitgehend unverstanden.

Halbherzig wurde am 19. Juli der Ausnahmezustand, der seit

1982 in Nikaragua herrscht, gelok-kert. Halbherzig für die vier größeren Oppositionsparteien, die sich für die Wahl am 4. November zur „Demokratischen Koordination" (CD) zusammengeschlossen haben. Sie sind mit der Versamm-lungs- und Meinungsfreiheit, mit der Aufhebung der Zensur und der Freiheit zu reisen und Wahlwerbung zu machen nicht zufrieden. Sie verlangen die völlige Aufhebung des Ausnahmezustandes, welche die Sandinistas mit Hinblick auf die Landesverteidigung und damit zusammenhängende Themen nicht wie erwartet bekanntgegeben haben. Ein Gespräch zwischen den

Sandinistas und der CD, das am 25. Juli den Weg für die Registrierung der CD-Kandidaten für die Wahl freimachen sollte, konnte die Unstimmigkeiten nicht beseitigen. So wird die CD nicht kandidieren.

Damit ist — da nur sechs andere kleine Oppositionsparteien kandidieren werden — ein Sieg des sandinistischen Präsident-

schaftskandidaten Daniel Ortega im November gewiß. Aber es wird ein Sieg sein, an dem die Sandinistas, weil man ihnen die demokratische Legitimation absprechen wird, wenig Freude haben werden.

Tatsächlich haben die arroganten Sandinistas ihre Schwierigkeiten mit dem Pluralismus. Erst dieser Tage verwiesen sie zehn ausländische Priester des Landes, weil sie ihnen konterrevolutionäre Tätigkeit vorwarfen. Dies belegt für die Sandinistas wieder eine Schwäche aller nationalrevolutionären Dritte-Welt-Bewegungen: Die Unfähigkeit, klar jenen Bereich zu bezeichnen, wo notwendige Kritik in „Konterrevolution" umschlägt (was für die Sandinistas an den unbewältigten Schwierigkeiten mit den Miskito-Indianern deutlich wird). Solange dieser Bereich nicht identifiziert ist, bleibt jede oppositionelle Äußerung verdächtig.

Aus diesem Grund tut man sich in Managua auch mit jenem Pluralismus-Konzept schwer, das die Westeuropäer anbieten.

Eine Hilfestellung, die weniger hart als der Druck der USA zu ertragen ist, könnte aus der Conta-dora-Gruppe kommen: Vom mexikanischen Vertreter dieser lateinamerikanischen Friedensinitiative kam dieser Tage der optimistische Ausspruch, daß „Mittelamerika kurz vor dem Frieden" sei.

Die Vorschläge sind so weit gediehen, daß eine Kommission die mittelamerikanischen Länder bereist, um letzte Retuschen an einer Friedensvereinbarung zu machen. Der Optimismus des Vizeaußenministers Valero wird allerdings nicht von allen Betroffenen geteilt.

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