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Nixon Superstar

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US-Präsidenten haben in der zweiten Amtsperiode einen eminenten Vorteil: Sie können ihre Politik ohne Kompromisse an das Wahlvolk durchführen; sie müssen nicht ständig um die majority raufen, sondern können auch Unangenehmes verordnen, wenn sie es für das Wohl der Nation für notwendig erachten. Richard Nixon hat bisher bewiesen, daß er ein Mann mit Grundsätzen ist. Man kann erwarten, daß seine zweite Amtszeit davon geprägt sein wird, als oberste Maxime die Realisierung seines politischen Credos anzustreben.

In der amerikanischen Innenpolitik wird das die Zurücknahme von Reformen sein, die in der Ära Kennedy und Johnson allzu stürmisch eingeleitet wurden. Dabei wird ihm der konservative back-lash entgegenkommen, der quer durch Amerika läuft. Selbst an den Hochschulen ist Ruhe eingekehrt — und wer die fünfziger Jahre mochte, der wird die siebziger Jahre lieben — wie „Newsweek“ einen Professor an einer kalifornischen Universität kürzlich zitierte.

Und Nixons Außenpolitik?

Hier hat die Strategie der USA in der ersten Amtsperiode bereits absolute Höhepunkte gesetzt. Und es wäre doch zu trivial, Nixons spektakuläre Reisediplomatie nach Peking und Moskau nur als Wahlkampfmanöver zu entlarven.

Vielmehr hat Richard Nixon im Verein mit Henry Kissinger Amerikas dritte Periode der Nachkriegszeit deutlich formuliert:

Die erste war gekennzeichnet vom „Kalten Krieg“, von der Strategie der Einflußfestigung und der Domino-Theorie John Foster Dul-les'; darin war stets die begrenzte Konfrontation mit den Sowjets einkalkuliert.

Die zweite Periode kennzeichnete das Gleichgewicht zwischen Moskau und Washington: im Weltraum, in der Waffentechnologie; und sie wurde als politische „Koexistenz“ signifikant.

Die dritte Phase zerbrach das starre „Gleichgewicht des Schrek-kens“ durch eine flexible Politik des Dreiecks, in der den USA, jedenfalls dank Kissdngers Diplomatie ä la Metternich, die treibende Rolle zufiel.

Die neue Konstellation bewirkt zweierlei: zum ersten die konsequente Abgrenzung der Sphären und Interessen; zum anderen die ständige Information der Großen untereinander und das Bekenntnis zum Status quo — eine „Heilige Allianz“ ergo, die sich am allerwenigsten durch das Gezänk und die Aufsässigkeit der Kleinen beirren läßt.

Dieses Konzept bewährte sich bereits dreimal deutlich:

• In Vietnam ist die De-Eskalation geglückt — weil Südvietnam von den USA nicht mehr länger als Außenposten für die chinesische Umklammerung benötigt wird (wie auch Formosa nicht und bald auch nicht mehr Südkorea); bald wird Indo-china insgesamt zur Einflußsphäre Pekings gehören;

• in Nahost beachten Sowjets und Amerikaner peinlich genau die Sphärentheorie — sehr zum Mißvergnügen von Präsident Sadat, der sich aus der Umklammerung des sowjetischen Bären zwar lösen wollte, aber aus Washington keine Liebesgrüße erhielt;

• in Europa, genauer in Deutschland, wird der Status quo endgültig zementiert; und weil eine deutsche Regierung diese Politik sogar noch forciert, wird sie in Moskau und Washington auch weiterhin Zustimmung finden.

Und doch begleiten Richard Nixon die Ungewißheiten in seine zweite Periode:

Der Konflikt zwischen Sowjets und Chinesen ist zwar eingefroren, aber strukturell nicht bereinigt. Niemand weiß, wie Moskau in ein Nachfolge-Mao-Spiel eingreifen wird. Möglicher Konflikt in Asien also: kann die USA dann wirklich neutral bleiben?

Und dann ist da der noch immer vorhandene weltrevolutionäre Führungsanspruch der Kommunisten roter und gelb-roter Schattierung: in Asien, aber auch zunehmend in Afrika. Der große Krieg der „Dörfer“' gegen die „Städte“ — also der unterentwickelten, von Hunger und Seuchen heimgesuchten farbigen Entwicklungsländer gegen die reichen, immer reicher werdenden weißen Industrienationen: der Irrationalität ist Tür und Tor geöffnet, in und außerhalb der UNO, in der die Chinesen einen immer deutlicheren Führungsanspruch dokumentieren.

Irrationalitäten: die Weltpolitik läßt sich nicht nach einem Brevier Metternichs administrieren; und vor der Haustür Amerikas sitzen die Probleme, denen man nicht allein mehr mit rationalen Argumenten Herr werden kann. In Südamerika etwa: wo niemand weiß, welchen Erfolg Salvador Allende hat und welche Wirkung dieses marxistische Konzept auf den ganzen Subkontinent ausüben wird. Oder in Japan: wo der Weg zwischen asiatischem Selbstbewußtsein und europäischem Vasallentum noch nicht klar ausmarkiert ist.

Die folgenschwerste Unsicherheit stellt sich Nixon in Europa. Schmerzlich bewußt, hat Nixon wohl keine Schlappe so schwer verkraftet, wie den Konflikt zwischen der EWG und den USA an der internationalen Handelsfront im Zuge und im Gefolge der Dollarabwertung.

Und in Paris, wo heute allein Europapolitik auf längere Sicht geplant wird, rechnet man fest mit einer weitergehenden Entfremdung diesseits und jenseits des Atlantiks. Es ist keine Frage, daß nach Sicherheitskonferenz und Truppenabbau die Präsenz der GI's auf europäischem Boden fraglich ist — besonders dann, wenn auch die Sowjets militärpolitische Gesten setzen. Deshalb auch das forcierte Tempo der Integration aus Paris: dort fürchtet man nicht zu Unrecht, daß Europa zum Objekt großmachtpolitischer Strategie wird; daß die Sowjets etwa tatsächlich einer neutralisierten Bundesrepublik das Offert einer partiellen Wiedervereinigung machen — um den Preis des Austritts der Bundesrepublik aus der Europäischen Gemeinschaft. Und was wird dann mit dem zurückgebliebenen Rumpf von Europa? Was auch aus Österreich?

Richard Nixon und sein alter ego Henry Kissinger wird jedenfalls die Weltpolitik gerade in der nächsten Zeit nicht vor Überraschungen bewahren.

Die erste Amtsperiode hat der Herr des Weißen Hauses mit dem Charisma des großen Staatsmannes beendet. Und die Welt hofft, daß Richard Nixon am Ende seiner zweiten als großer Präsident in die Weltgeschichte eingehen kann. Die Weichen sind jedenfalls seit dem 7. November 1972 gestellt.

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