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Nixon und die Eigendynamik

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Den Rückblick auf die Präsidentschaft Nixons und die Bilanz seiner Amtsperiode könnte man genausogut schon heute schreiben. Was ihm bevorsteht, ist nur noch ein qualvolles politisches Siechtum mit gewissem Ausgang. Es wird noch Augenblicke des Aufbäumens geben — der Patient, so pflegen die Ärzte in solchen Fällen mit einem teilnahme-voll-bedauernden Unterton zu sagen, hat ein starkes Herz. Auch die Umgebung, hier eine ganze, große, mächtige Nation, wird leiden, wenn er es nicht vorzieht, den Schlußpunkt doch noch von sich aus zu setzen. Es wäre besser für ihn, besser für Amerika, besser für die Welt.

Doch Nixon gleicht anderseits auch einem Angeklagten, der um seinen Kopf kämpft. Der, wie es so schön heißt, erst unter der Last erdrückender Beweise zu einem Geständnis bereit ist. Einem „hochintelligenten Angeklagten“ (auch das so eine Floskel), der blitzschnell vom Leugnen seiner Tat zum Sammeln mildernder Umstände übergeht. In den letzten Bekundungen Nixons schwang bereits die Bitte um ein mildes Urteil mit.

Sind Nixons Verfolger nur gnadenlose Jäger, kam es ihnen nur darauf an, kleinliche, persönliche Rachegelüste zu stillen, hatten sie nur ihren persönlichen bestenfalls ihren Parteinutzen irr Sinn? Derlei hat zweifellos eint beachtliche Rolle gespielt, genügl aber nicht, um ein Phänomen wie die Nixon-Krise zu erklären. Und auch der , amerikanischen Presse ist keineswegs vorzuwerfen, daß sie einen Präsidenten der die Presse nicht mochte und ihren Einfluß zurückdrängte, „abgeschossen“ hat.

Auch aus den Kommentaren der schärfsten , Nixon-Gegner spricht, neben einer Empörung die mehr oder weniger echt seir mag, die Trauer darüber, daß es mit dem Amt des Präsidenten, nicht mit ihm, so weit gekommen ist, es schwingt aber auch das Erstaunen ob dessen, was ihnen da gelungen ist, in all den Kolumnen und Betrachtungen mit, die nun über Nixon geschrieben werden. Nixons Gegner gleichen ein wenig demjenigen, der mit einem Stein nach einem Raubvogel geworfen hat und selbst kaum glauben kann, daß er getroffen hat.

Die Causa Watergate ist nictvi nur von weitreichender politischer, sondern auch von politologischer Bedeutung. Hier wurde der Gewaltenkonflikt im amerikanischen Staat mit einer bislang unbekannten, unerhörten Härte und Folgerichtigkeit bis zum bitteren Ende durchgespielt.

Die Nixon-Gegner konnten von einem frühen Zeitpunkt des Geschehens an so wenig zurück wie Nixon, denn je tiefer sich Nixor in seine Watergate-Widersprüche verwickelte, um so unmöglicher wurde es, mit dem Aufzeiger dieser Widersprüche plötzlich Schluß zu machen. Watergate ist vor allem ein mene, mene tekel der Eigendynamik politisch-juristischer Prozesse, und daß Amerikas Presse gelernt hat, zeigte sie, als sie weitere Bohrungen in Kissingers Abhöraussagen schreckerfüllt stoppte, solange es noch Zeit war. Zwei Dinge wird Amerika künftig besser wissen: Erstens, wie gefährlich es sein kann, selbst kleine, im Augenblick untergeordnet scheinende Wahrheiten zu vertuschen. Zweitens, wie leicht es ist, beim Fra- gen nach der Wahrheit, von Widerspruch zu Widerspruch, den Point of no return zu überschreiten. Nixon dürfte sein Schicksal verdient haben. Die im Falle Nixon gewonnene Erfahrung im Umgang mit Widersprüchen könnte aber künftig so manchen Kopf, den man behalten will, retten.

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