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Nixons Flügel

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Die amerikanische Öffentlichkeit ist über die Wahlen schnell zum Alltag zurückgekehrt. Was die Regierung betrifft, so scheint sie die Herausforderung Senator McGoverns nie sehr ernst genommen zu haben — eher als eine unbequeme Unterbrechung des Regierungsablaufes. Bereits am Tag nach der Wahl hat Präsident Nixon sein weiteres Regierungsprogramm skizziert.

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Die amerikanische Öffentlichkeit ist über die Wahlen schnell zum Alltag zurückgekehrt. Was die Regierung betrifft, so scheint sie die Herausforderung Senator McGoverns nie sehr ernst genommen zu haben — eher als eine unbequeme Unterbrechung des Regierungsablaufes. Bereits am Tag nach der Wahl hat Präsident Nixon sein weiteres Regierungsprogramm skizziert.

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Für die Demokraten gilt es nun, die Scherben zu sammeln und den Versuch einer Fusion ihrer heterogenen Strömungen und Exponenten zu unternehmen. Gewöhnlich einigen sich rivalisierende Partner in der Krise. Davon ist bei den Demokraten jedoch bis dato wenig zu verspüren. Die Gemäßigten (dazu zählen die Gewerkschaftsfunktionäre und die Führer der „alten Maschinen“) sonnen sich in der Schadenfreude über das Fiasko des linken McGo-vern-Flügels und streben ihre alten Positionen im Parteiapparat wieder an, die sie auf dem Konvent vor der Wahl an die McGovern-Jugend abgeben mußten.

Bis auf weiteres also Reibung, Zwist und Hader. Wohl könnte die etwas wagnerianisch anmutende Persönlichkeit Senater Ted Kennedys einen neuen Kristallisationspunkt abgeben. Kennedy verhält sich jedoch noch abwartend. Trotzdem zeichnet er sich schon heute als aussichtsreichster demokratischer Kandidat für die Präsidentschaftswahl 1976 ab. Nixons „neues“ Regierungsprogramm ist nichts anderes als eine Fortsetzung seines bisherigen überaus pragmatischen Regie-rens; und wenn es die Umstände erfordern, wird er von seinen Skizzen erheblich abweichen.

Zunächst wird der Akzent auf Sparsamkeit und Verwaltungsreform gelegt. Zwei alte Nixen-Ideen stehen dabei im Mittelpunkt: „Je weniger Verwaltung, desto effektivere Verwaltung.“ Und: „Delegiert so viel wie möglich an die Bundesstaaten — die wissen besser, was die Bevölkerung will.“

Die Sparsamkeit ist ein Imperativ, denn die Regierung laboriert an einem erheblichen Budgetdefizit. Sparsamkeit ist aber auch notwendig, weil Präsident Nixon dem Wahlvolk versprochen hat, ihm 1973 und vielleicht auch 1974 keine neuen Steuern aufzulasten. Sparsamkeit ist schließlich Voraussetzung dafür, daß die auf 3 Prozent reduzierte Inflationsrate stabil bleibt und nicht wieder nach oben ausbricht. Man will ja schließlich auch wieder die Preis-und Lohnkontrollen, unbeliebte, aber notwendige Requisiten aus dem planwirtschaftlichen Arsenal, abbauen.

Politisch gesehen, zielen diese

Maßnahmen darauf ab, die neu gewonnenen Wähler zu halten und die neue republikanische Mehrheit wenn möglich auszubauen. Denn über eines sind sich die beiden Rivalen Nixon und McGovern einig: die Grundlage des Sieges Nixons waren die dissidenten konservativen oder gemäßigten Demokraten aus der Arbeiterschaft. McGovern nennt sie die Wallace-Wähler- und kritisiert den noch immer sehr kranken Gouverneur von Alabama, weil dieser ihm, dem demokratischen Kandidaten, den offiziellen Segen vorenthalten habe.

Im Interesse der meist in Einfamilienhäusern am Rande der Städte wohnenden Mittelstandsschichten will Nixon sogar die Grundsteuer reduzieren. Er will zu den Gewerkschaften ein reibungsloses Verhältnis herstellen; ein schwieriges Unternehmen, denn 1973 werden viele große Kollektivverträge auslaufen und die Arbeitgeberseite möchte aus dem Wahlsieg zumindest eine Einschränkung des oft lähmenden Streikrechtes herausholen. Im Moment genießt die Regierung noch die Unterstützung der gedrosselten Inflation, welche die Lohnforderungen etwas entschärft und das Wohlwollen gewisser Gewerkschaftsführer, die sich um ein gutes Verhältnis der Sozialpartner bemühen.

Arbeitnehmerpolitik ist meist Streben nach Vollbeschäftigung. Hier verbinden sich in den Staaten wirtschaftliche, soziale und Rassenprobleme. 5,5 Prozent Arbeitslose wären, rein wirtschafts- und konjunkturpolitisch gemessen, vertretbar. Rassenpolitisch ist diese Zahl jedoch zu hoch. Denn unter den Arbeitslosen befindet sich ein hoher Prozentsatz Neger. Es gilt, hier Prioritäten zu setzen. Die Nixon-Regierung wird jedoch der graduellen Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft den Vorzug vor teuren Arbeitsbe-schaffu.igsprojekten geben und erwartet sich eine günstigere Beschäftigungskurve bei aufstrebender Konjunktur. Hier trennt sich deutlich die Philosophie McGoverns von jener Nixons. McGovern hätte keinerlei Skrupel, aktive Arbeitsbeschaffungspolitik zu machen, auch wenn dadurch die Stabilität geopfert würde. Er strebte ja eine Umschichtung der Einkommen an. Nixon hingegen will den Status quo ausbauen. (McGovern erhielt auch mehr als 80 Prozent der Negerstimmen.)

Außerdem wird die Regierung Nixon neuerdings versuchen, ihr groß angelegtes Krankenversicherungsprogramm durch den Kongreß zu bringen. Dieser Versuch war bereits in der letzten Session gescheitert. Ihm soll eine gemeinsame Anstrengung der Sozialpartner und der Regierung zugrunde liegen, wenngleich der freiwilligen gegenüber der obligatorischen Teilnahme- der Vor zug gegeben wird.

Auch beim Umweltschutz muß Pragmatik vorherrschen. Man sieht die Gefahren, aber man wird das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. So wird der Energiekrise im Lande gegenüber der Erhaltung der Unberührtheit Alaskas Priorität eingeräumt; Preisstabilität darf nicht durch exorbitante Umweltschutzprojekte in Frage gestellt werden.

Diese pragmatische, konservative Philosophie, die sich durch das Regierungsprogramm wie ein roter Faden zieht, soll schließlich ihre Kulmination in der Ernennung weiterer konservativer Oberstrichter finden. Man rechnet, daß in den nächsten vier Jahren etwa drei Oberstrichterposten zu besetzen sein werden. Wenn Nixon zu seinen vier bereits Ernannten nur noch einen Exponenten seiner Denkungsart hinzufügt, dürfte der Oberste Gerichtshof auf lange Sicht, jedenfalls weit über die. Dauer der Regierung Nixon hinaus, ein konservatives Profil tragen. (Richter des obersten Gerichtshofes werden auf Lebensdauer bestellt.)

So beginnt Präsident Nixon seine zweite Amtsperiode ohne Fanfarenstöße: trotz seines überwältigenden Wahlsieges ein einsamer, verschlossener Mann, dem gewaltige Auseinandersetzungen mit dem von Demokraten dominierten Kongreß bevorstehen. Er besitzt wenig Koalitionsmöglichkeiten, weil er bereits am Tag seiner Wiederwahl machtpolitisch ein Gewesener ist. Macht besitzt nur der, der Zukunft hat. Einem amerikanischen Präsidenten, der nach der Verfassung nicht mehr gewählt werden darf, sind aber in seiner Machtausübung die Flügel beschnitten — er ist, wie die Amerikaner sagen, a lame duck — eine lahme Ente.

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