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Noblesse und Mut

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Am Anfang stand das Heimweh. Es überwältigte den elfjährigen Knalben, der in Begleitung des Vaters auf Umwegen von Spittal an der Drau nach Wien1 fuhr. Schließlich siegte die Neugier, und in Eisenstadt, beim Zuhören der ausge- tausditen Erinnerungen zwischen dem Vater und dessen Schwester, verspürte er zum erstenmal den Anhauch der Geschichte. Das mächtige Haus der Esterhazy spielte in der späteren Generationenabfolge der Familie eine bedeutende Rolle. Der Ururgroßvater, Melchior Ritter von Pawlowski, war Kapitän der fürstlichen Leibgarde gewesen und hatte hoch Joseph Haydn als jungen fürstlichen Kapellmeister gekannt; sein Sohn, Johann Baptist, wurde als erster der Familie im Theresianum erzogen und war später Präsident der Fü rstlich-Esterh äzysch e n Domänendirektion. Dessen Sohn Alexander, Großonkel des lauschenden Knaben, war von 1866 bis 1880 Direktor des Theresianums, der erzählende Vater war in dieser berühmten Akademie elf Jahre lang Zögling gewesen, und nun stand er selber an ihrer Schwelle, um einen von den einundzwanzig Freiplätzen einzunehmen, die Maria Theresia „für katholische adelige Jünglinge aus den deutschen Erblanden” gestiftet hatte. Am Horizont des Zuhörenden Knaben zeichneten sich die Konturen einer hohen Stellung in der Verwaltung des Staates ab, der Weg dorthin war geebnet, vom Theater, vom Burgtheater gar, war in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Es war auch im flüchtigen Gedanken nicht vorhanden.

Nun ist die schmale Trilogie „Heimat Burgtheater” mit dem Band „Des Hauses und meine Wandlungen” abgeschlossen. Unter dem Titel des! ersten Bandes „Wie ich ans Burgtheater kam” setzt Fred Hennings so unbekümmert, wie er einzelne Phasen seines reichen Daseins durchlebt hat, die Jahreszahlen 1906 bis 1923. Man braucht kein Mathematiker zu sein, um sofort innezuwerden, daß der verdienstvolle Topograph von Wien, der gefeierte Kamm ers ch au sp i eie r, Hofrat und Professor Hennings, der in diesem Monat sein achtzigstes Lebensjahr vollendet, im Jahr 1906 nicht auf der Bühne des Burgtheaters agiert haben kann. Ein Wunderkind ist er niemals gewesen, ln diesem Jahr war er vielmehr der elfjährige Franz von Pawlowski, der nun als vierter seiner Familie in der „Pflanzschule” der Theresianischen Akademie gesellschaftlichen Schliff erhalten und eine umfassende Bildung sich erwerben sollte. Aber diese bewußte zeitliche Vorwegnahme hat ihren guten Grund und rührt ans Herz. Sie legt einiges von der Quellkraft seines Wesens frei und erklärt manches, was die Besonderheit des späteren Burgschauspielers ausgemacht hat. Denn zu den Erziehungsmethoden des Theresianums gehörte auch der regelmäßige Besuch des Burgtheaters. Über die Wirkung dieser Theaterbesuche auf das Gemüt der einzelnen Zöglinge kann man in den Lebenserinnerungen eines Jahrgangskoliegen von Hennings, des Paneuropäers Richard Graf Couden- hove-Kalergi nachlesen: „Oft wurden wir in das Burgtheater zu den Klassikervorstellungen geschickt. Die pädagogische Wirkung war ausgezeichnet. Keine Moralpredigt kann auf ein junges Gemüt einen ähnlichen starken Einfluß ausüben wie ein klassisches Drama, dias im höchsten Sinne des Wortes moralisch ist.”

Das Naturell der beiden war freilich grundverschieden. Der in seinen Ideen achtunggebietende Baneuropäer begann schon mit fünfzehn Jahren „systematisch die Werke der großen Philosophen zu lesen”, Pawlowski-Hennings dagegen betrieb Leichtathletik, spielte Kricket, Tennis und Fußball, er beteiligte sich an jedem Schabernack, und so war denn auch die Wirkung der Burgtheaterbesuche unterschiedlich. Der sinnenfrohe, alles eher als kęptemplative Knabe nahnj alles Geschehen auf der Bühne mit seinen Sinnen auf. „Gerüche sind wie nichts anderes imstande, Erinnerungen wachzurufen”, bekennt er später, so anschaulich wie genau, und fährt dann fort: „Auch meine früheste Erinnerung an das Burgtheater prägte sich mir über den Geruchssinn ein. Unvergeßlich jenes ganz eigenartige Gerücherl, das mich umfing, als ich vor mehr als 65 Jahren zium erstenmal in meinem Leben das Burgtheater betreten habe. Es war ein Kompositum aus dem Geruch spiegelblank gescheuerter, * mit Wachs eingelassener Parkettböden, dem Duft edler Hölzer und Bespannungen sowie einer Anzahl von auf Leinwand gemalter Fresken und Porträts, die mit ihrem Dreiklang von Farbe, Lack und Firnis jenes Parfüm erzeugten, das man in jeder der berühmten ‘ Bildergalerien Europas zu verspüren bekommt. Wie dort, gab es für mich bei meinem ersten Besuch, noch lange vor dem Aufgebern des Vorhangs, unendlich viel zu schauen. Beim Anstieg einer der Feststiegen wurde der Blick immer wieder in die Höhe gerissen, um die Deckenfresken von Matsch zu bestaunen. Im Hauptrund des Halbfoyers verhielt man vor den Schauspielerporträts den Schritt, während über einem die Figuren aus Oharlemonts .Sommernachtstraumfresko” dahinschwebten. Dann ging es in eine der Logen des ersten Ranges. Denn wir Theresianisten erlebten das Burgtheater nicht wie die meisten Jugendlichen von. der Höhe der IV. Galerie oder von der Niederung des Stehparterres aus, sondern saßen, wie es sich eben für die Jeunesse dorėe von Wien gehörte, entweder in den Logen oder auf den Parkettplätzen.” Jede Wirkung hat ihre Gegenwirkung. Wie stark diese ist, hängt nicht nur von der Ausstrahlung ab, mehr noch vom jeweiligen Temperament und der Emp- findungsfähigkeit des Angestrahlten. Bei Hennings war sie unmittelbare Verzauberung der Person. Er setzte das erlebte Geschehen auf der Bühne| in eigene Aktion um. Georg Reimers etwa als Marquis Posa begeisterte ihn so sehr, daß er sich hinsetzte und die große Szene zwischen ihm und König Philipp auswendig lernte. Das machte ihn zum beliebten Sprecher der Thereąiani- sten und schließlich zum Festredner bei der Kaiserpreisverfeidung 1913. Das damalige Burgtheater erzielte hier eine Nebenwirkung: die Bestellung zum Festredner involvierte, daß dieser bei der Reifeprüfung nicht durchfallen dürfe. Zugleich drängte ihre Wirkung auf den achtzehnjährigen Hennings zu einer Konsequenz, die seinem impulsiven Wesen entsprach und als ein Gleichnis gedeutet werden kann für viele, für entscheidende Handlungen, die er später, als reifer Mann, setzte. In Uniform und Degen spricht er dem einstigen Burgschauspieler Ferdinand Gregori vor, um zu erfahren, oh sein Talent für die Bühnenlaufbahn ausreiche.

Der längst vergangene, der unwiederholbare Zusammenklang “*von Theresianum und altem Burgtheater hat ihn als Schauspieler vorgeformt und schließlich geprägt. In den zahlreichen Rollen, die er während seiner fast fünfzigjährigen Zugehörigkeit zum Burgtheater übernommen und ihnen zu intensiver Leuchtkraft verholten hat, war davon ein Nachklang aufbewahrt. In den vielen Abwandlungen, die ein Schauspieler auf die Bühne bringen muß, um den Menschen in jeder Lebenslage, in seinen Höhen und Tiefen glaubhaft vorzustellen, war sie wie eine leise, aber unüberhörbare Melodie stets au vernehmen. Die Würde und tiefe Menschlichkeit, die im Text des Königs Thoas liegt, erhielt von ihr die besondere Weihe, die tragischen Schatten um den Oberst Ragošin vertieften sich und machten bedrängende Ahnungen zu schmerzlichen Gewißheiten, die Melancholien in den Schnitzler-Rollen ergriffen stärker als sonst. Und wie mit Son- nenschrift wären in dem Schild seinen Sßhauspidtö^rsönltehfceit die Worte eingeschrieben: Noblesse und Mut.

Sie gelten auch für seine Person. Es sind Schlüsselworte, die sein Wesen aufschiließen, seinen Charakter verdeutlichen, seine Impulsivität verständlich machen. Es sind die Kennzeichen, die Tugenden eines Mannes, der sich aus den gängigen Konventionen gelöst hat, nicht, um sie bewußt zu zerstören, vielmehr, um zu beweisen, es ist der Mensch als Individualität stärker als jede Lebensregel, jedwede erstarrte Zivilisation. Daß er eine ewige Hoffnung ist, zu allen Zeiten tauigst herbei- gewünischt.

Das Ausbrechen aus leeren Formeln der Konvention ist niemals eine Haltung gegen Tradition und Überlieferung. Hennings hat sich stets zu diesen Mächten bekannt, er weiß, und er hat es immer wieder ausgesprochen, in seinen zahlreichen historischen und historiotopographi- sChen Vorträgen, daß Kontinuität entscheidende Voraussetzung kultureller Tätigkeit ist, daß Kultur selber nur ein formbewußter Ausdruck für eine durch Geschlechter währende Überlieferung ist und auf Nuancen nicht verzichten kann. In der Trilogie „Heimat Burgtheater” wird man stets an den hohen Sinn der, Trajjierpmg von kulturellen Werten erinnert. Gleichsam umge- suchtį geraten ihm ^hiBr^die1 -schönsten Beispiele. Das eindringlichste findet sich in der historisch genauen Beschreibung des Überganges vom Burgtheater der alten Monarchie zum „Republikanischen Hoftheater” der Ersten Republik. So lautet der Titel des zweiten Bandes, und nicht Ironie allein hat ihn herausgefunden und gewählt. Er kommt vielmehr aus unverhohlener Bewunderung darüber, wie hier durch eine unvergleichliche Art der Tradierung alle Schwierigkeiten innerhalb des Burgtheaters und in seiner Stellung nach außen überwunden werden konnten. Es war die lebendige Überlieferung, die im Hause fortwaltete, der nicht näher definierbare Geist des Burgtheaters, die das Nichts, das heißt: jene Leere überwinden halfen, die sich stets im Gefolge einer gesellschaftlichen Umwandlung, einer weltgeschichtlichen Zäsur ausbreitet. Wie’ stark Hennings dem geistigen Klima des Hauses verbunden war, bezeugt seine Ansprache zum sechzigjährigen Burgtheater- jübiläum von Otto Tressler: „… Den Begriff eines Burgschauspielers zu definieren, ist fast ebenso schwer wie den vielberühmten Geist unseres Hauses zu erklären. In ihm liegt keinerlei künstlerisches Werturteil beschlossen. Denn gut Theater gespielt wird auch anderswo. Was aber macht dann einen Schauspieler zum .Burgschauspieler”? Ich glaube, über alles körperliche und künstlerische Maß hinaus, vor allem eine ganz bestimmte Dichte und Fülle im Menschlichen einer Persönlichkeit, für die die Begriffe Ehrfurcht und Treue, Kameradschaft und selbstlose Einordnung in das Konzert unseres Ensembles noch gültig sind. Nur der mit einem künstlerischen Familiensinn Begabte kann ein echter Burgschauspieler werden. Dieser Titel kann nie und nimmer verliehen, sondern nur durch eine Bewährung im Menschlichen erworben werden. Es ist ein .Familienname” im schönsten Sinn des Wortes und wird von Generation, zu Generation weitervererbt. Solange es Burgscbau- spieler dieser Art gibt, solange wird es auch ein Burgtheater geben.”

Der Bestand unserer Kultur, der ererbten geistigen Gestalt, ist heutzutage vielen Anfeindungen ausgesetzt. In der Lust, alles in Frage zu stellen, was eingebunden ist in Sitte, Herkommen und Brauch, liegt ein Keim zur Selbstzerstörung. Doch ist hier nicht der vielberufene kritische Geist am Wirken, vielmehr ein von allen Lebenswirklichkeiten abgelöster Intellekt, freischwebend in dünner Luft, an nichts gebunden als an die Theorien unfruchtbarer Spintisiererei. Eine seiner Hauptaufgaben sieht dieser bodenlose Intellekt darin, fortlaufend sogenannte Tabus zu zerbrechen. Doch was da „enttatouisiert” wird, zwingt zumeist den natürlichen Anstand, vor den Folgen wegzuschauen. Sind alte, ehrwürdige Worte und Begriffe wie Treue, Dankbarkeit, Rechtschaffenheit und Zuverlässigkeit im Spiel, weist er sie mit der Phrase „Heile Welt” in die Rumpelkammer abgelebter Vorstellungen. Abgesohworen jedweder Überlieferung kann er nicht wahrnehmen, daß es seit dem irdischen Sündenfall in keiner Epoche unserer geschichtlichen Entwicklung eine heile Welt gegeben hat, wohl aber immer wieder heile Menschen, denen wir es verdanken, daß eine immer wieder aus dem Gleichgewicht auskippende Welt ins Lot gebracht wird. Der Burgschauspieler Fred Hennings gehört zu ihnen.

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