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Noch 2000 Kriegsgefangene aus Zypern im hintersten Anatolien

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Die nordostanatolische Provinzstadt Amasya ist für die moderne Türkei das geworden, was dem Osmani- schen Reich die kurdische Kerkerfestung Ahmadié war. Bis zur großen Christenaustreibung vor über 50 Jahren ein blühendes Handels- und Handwerkszentrum mit überwiegend griechischer und armenischer Bevölkerung, zählt die Stadt am Yeschilir- mak, dem „Grünen Fluß“, heute nicht einmal 100.000 türkische Bewohner. Dafür hat Amasya traurige Berühmtheit als Verbannungs- und Gefängnisort für politische Häftlinge aus Istanbul, Izmir und Ankara erlangt. Aber auch für viele Familien in der fernen Inselrepublik Zypern ist der Grüne Fluß zu einem Strom der Tränen geworden, seit sich hier die letzten Spuren von rund 2000 zypemgriechi- schen Kriegsgefangenen verloren haben.

Diese Tragödie, die an das bis heute ungeklärte Los vieler amerikanischer Soldaten in Vietnam erinnert, ist erst unlängst bei den Wiener Zypemver- handlungen neu, wenn auch nur am Rande, zur Sprache gekommen. Tatsache ist und bleibt, daß sich der Leidensweg dieser vermißten Gefangenen der türkischen Zyperninvasion vom Sommer 1974 durch ganz Kleinasien bis zum düsteren Zuchthaus von Amasya verfolgen läßt. Von hier an scheinen die Wellen des Grünen Flusses sie verschlungen zu haben.

Bis in den September des Jahres 1974 hinein waren die Gefangenen der Türken in verschiedenen Lagern des besetzten zyprischen Nordens festgehalten worden. Es handelte sich dabei sowohl um Angehörige der regulären Streitmacht der Inselrepublik, der „Nationalgarde“, wie auch der im Rahmen des Zürcher Vertrages seit 1960 auf Zypern stationierten griechischen Truppen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte damals keine Mühe gescheut, um mit den Insassen der Lager von Hartsia, Saray oder der berüchtigten „Garage Pavlidis“ in Verbindung zu treten und ihr Los zu erleichtern. In der Folge wurde damals ein Teil der Kriegsgefangenen freigelassen, die übrigen jedoch übers Meer ins südtürkische Adana verfrachtet. Wer dort nicht loskam, mußte in schwerbewachten Transporten über die Dreitausender von Bolkar und des Antitaurus ins anatolische Hochland klettern. Von dieser Phase des Themas

„Rum esirler“ (griechische Kriegsgefangene) haben türkische Illustrierte wie die „Hayat“ („Das Leben“) noch g roßspu rig-hocht rabende Büd repo r- tagen gebracht. Die weitere Spur der Elendskarawanen ist nur noch aus Notizen in Provinzblättern ersichtlich: Im kappadozischen Kayseri haben im Winter 1974/75 „Akin“ und „Anadolu“ über die zähneklappemden Erbfeinde im Steppenlager draußen frohlockt; in Sivas war der Aufenthalt der Viehwaggons mit den bleichen, bärtigen Männern auf einem Rangiergleis dem Lokalredakteur des „Kurtulusch“ („Befreiung“) einen Zweispalter wert. Und schließlich durfte die „Sabah“ („Der Morgen“) von Amasya in einer Sonderauflage von 5000 Stück den schläfrigen Bürgern die Ehre verkünden, daß sie Kerkermeister des allerletzten Gefangenenhaufens geworden seien. Dank der Vermittlung des Roten Kreuzes konnte auch hier noch zahlreichen Soldaten die Freiheit wiedergegeben werden. Uber den Rest fiel Schweigen, den nur einmal das türkische Radio gebrochen hat. Angesichts verschiedener humanitärer und diplomatischer Interventionen zugunsten der von der Türkei seit 1975 immer mehr verheimlichten letzten 2000 Kriegsgefangenen liatte der Unteroffizier Antonakis Korelis über den Sender Bayrak („Die Flagge“) lautstark zu verkünden, wie gut er von der „hochherzigen türkischen Nation“ behandelt werde.

Zwei Jahre später sind Korelis und seine Gefährten immer noch türkische „Nationalgäste“. Die Einheimischen beantworten alle Fragen nach den Gefangenen mit trotzigem Schweigen oder mißtrauischer Gegenrede. Endlich gibt sich einer der letzten Armenier zu erkennen. Von 2000 könne heute nach Siechtum und Zwangsarbeit nicht mehr die Rede sein. Immerhin sei einigen Zyprioten die Flucht zu den kurdischen Partisanen geglückt, die in den Canik- und Munzurbergen zum Entscheidungskampf gegen die türkische Herrschaft rüsten.

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