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Noch eine Totgeburt

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Wenn man ein Buch braucht, um die Abkürzungen weltweiter internationaler Organisationen nachzuschlagen, so reicht für Lateiniamerka ein Heft. Aber der mexikanische Delegierte auf der Panama-Konferenz, Francisco Javier Alejo, konnte mit Recht die Zusammenarbeit zwischen den lateinamerikanischen Regierungen eine „Fata Morgana“ nennen. Man kann darüber streiten, ob die Gründe für diese Fehlleistung in Machtlosigkeit, Zersplitterung, fehlender Organisationskraft oder einzelstaatlichem Egoismus zu suchen sind. Jedenfalls steht die Fülle schöner Reden, die formaljuristisch vollendete Fassung der Verträge und die Menge gut bezahlter „internationaler Beamter“ in groteskem Mißverständnis zu der Effizienz.

In den ersten Augusttagen wurde in Panama eine neue Wirtschaftsorganisation ins Leben gerufen. Sie heißt: „Sistema Econömdco Latino-americano“ („SELA“) — „Lateinamerikanisches Wirtschaftssystem“. Der neue Verband verdankt sein Entstehen den Präsidenten von Mexiko und Venezuela, Luis Echeverria und Carlos Andrez Perez. Sie forderten durch Botschaften und Botschafter alle lateinamerikanischen Länder auf, einen „pragmatischen und biegsamen Mechanismus“ zu schaffen, um die Rohstoffpreise — einschließlich des Petroleums — zu verteidigen, multinationale — aber lateinamerikanische — Unternehmen zu schaffen, um die Importe zu ersetzen, Entwicklungshilfe zu leisten und technologische Kenntnisse auszutauschen.

Die Schöpfer dieser neuen Wirtschaftsgemeinschaft betonen, daß sie zwar ohne, aber nicht gegen die USA geplant sei. Nun ist angesichts der ökonomischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten auf der einen Seite und der Abhängigkeit aller lateinamerikanischer Länder von den Rohstoffpreisen auf der anderen die Bü-dung einer solchen Interessengemeinschaft im höchsten Maße legitim. Freilich überspielt man in einem fast unbegreiflichen Grade die schicksalsschwere Scheidung zwischen den petroleumreichen und den petroleumarmen Ländern und tut so, als ob Venezuela, Brasilien oder Uruguay auf demselben Boote der Weltwirtschaft schaukelten.

Weiter besteht seit Jahren die „Comisiön Econömica de Clabora-ciön Latinoamericana“ („CECLA“) — „Lateinamerikanische Wirtschaftskommission“, die unter anderem in ihren sogenannten „Beschlüssen von Viüas del Mar“ die Forderungen der lateinamerikanischen Rohstoffländer gegen die Industriestaaten in besonders scharfer Form proklamiert hat. Es läge nahe, diese Organisation zu institutionalisieren, anstatt eine neue ins Leben zu rufen.

Freilich dient die „SELA“ gleichzeitig anderen Zielen. Schon ehe die „OAS“ es den Mitgliedsländern freir stellte, ihre Beziehungen zu Kuba zu normalisieren, haben sich Mexiko, Venezuela und Panama um engere Kontakte zu Fidel Castro bemüht und dem Beitritt Kubas zu der neuen Organisation ausschlaggebende Bedeutung beigelegt. Sodann ist diese Neugründung nur ein Glied in dem Versuch, das macht- und wirtschaftspolitische Zentrum Lateinamerikas von Brasilien und Argentinien weg nach Norden zu verlagern. Die Schwäche Argentiniens und die weitgehenden Bindungen Brasiliens an die Vereinigten Staaten begünstigen dieses Vorhaben. Während Venezuela durch die Ölkrise zum reichsten Staat des Kontinents aufgerückt ist, kämpft der mexikanische Präsident intensiv für den raschen Aufstieg seines Landes.

Wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit hängen weitgehend zusammen. Die Einheitsfront Lateinamerikas in der Auseinandersetzung um den Panamakanal paßt in dieses Panorama, ebenso wie die herzliche Umarmung Fidel Castros seitens seiner Feinde von gestern.

Freilich beteiligen sich nicht alle 24 Staaten mit dem gleichen Enthusiasmus. Entgegen dem, was man erwarten müßte, fürchten die mittelamerikanischen Nachbarn, von dem neuen Block Mexiko/Venezuela erdrückt zu werden. Brasilien, das Weit bessere Beziehungen zu den USA als zu Venezuela hat, sowie Uruguay und Chile, die sich sehr ungern an einen Tisch mit Fidel Castro setzen wollen, betrachten die neue — gewiß noch ungeklärte — Organisation der Integrierung mit starker Skepsis. Aber auch sie werden akzeptieren müssen — oder sich isoliert fühlen.

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