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Digital In Arbeit

Noch Grund zum Feiern ?

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„142.387 Arbeitslose in Österreich Mitte April, davon fast 40.000 Jugendliche." - „Ein Prozent Industriewachstum — mit vier Prozent weniger Beschäftigten." -„Millionen Arbeitslose in Europa."

Die Wirtschaft spricht von Aufschwung. Die Zahl der Arbeitslosen steigt.

Kann man unter diesen Vorzeichen den 1. Mai 1984 als Fest der Arbeit feiern?

Ein Blick auf die Geschichte zeigt, daß diese Feier immer verbunden war mit dem Wissen um die Probleme der Arbeitswelt — Arbeitsleid, Krisen und Konflikte -, aber auch mit politischen Forderungen, für deren Durchsetzung man kämpfte, deren Erreichung gefeiert wurde.

Bis vor wenigen Jahren konnte man sich der Illusion hingeben, diese Ziele seien erreicht, der 1. Mai könnte zur bloßen Erinnerungsfeier an die heroischen Zeiten der Arbeiterbewegung werden.

Heute, angesichts von Krise und drohender Arbeitslosigkeit, scheint vieles von dem, was mühsam erkämpft wurde, wieder verlorenzugehen:

Um überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen, sind viele bereit, auch inhumane Arbeitsbedingungen auf sich zu nehmen,

Und um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern, werden Gastarbeiter nach Hause und ältere Mitarbeiter in Pension geschickt.

Aus Angst um Arbeitsplätze stiöimt man ein in den Ruf nach besserer Auslastung der Maschinen — mit der Folge inhumaner Arbeitszeiten; nach „Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit" — mit dem Verzicht auf Reallohnerhöhung (oder auch Reallohnverlust), und nach Verbauung auch der letzten Alpentäler und Au-landschaften — um der Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft willen. Und letztlich wird es dann auch um der Arbeitsplätze willen einsichtig, daß wir eben Waffen in Länder liefern müssen, in denen die Bevölkerung unterdrückt wird — wenn wir es nicht tun, tun es ja andere?

Kann man unter diesen Vorzeichen das Fest der Arbeit feiern?

Sicher kann man über einzelne Maßnahmen geteilter Meinung sein. Das eigentlich Besorgniserregende ist, wie schnell unter erschwerten Bedingungen die Perspektiven verkümmern und die entscheidenden Leitwerte einer humanen Zukunftsentwicklung preisgegeben werden.

Feiern: Das bedeutet Distanz gewinnen von den alltäglichen Zwängen, sich zurückbesinnen auf das, was „am Anfang war" — im Falle des 1. Mai der Kampf der

Arbeiter für Wahlrecht und Acht-Stunden-Tag. Durch das Fest (jedes Fest) wird der geschlossene Kreis einer ökonomisch bestimmten Welt durchlöchert, der Blick auf die größeren Perspektiven frei.

Die geschichtlichen Errungenschaften von Wahlrecht und Acht-Stunden-Tag verweisen dabei genau auf die zentrale Perspektive: daß der Mensch Subjekt der Arbeit werde. Und dies nicht nur als ideales Ziel und Inhalt von Feiertagsreden, sondern Schritt für Schritt im konkreten Alltag der Arbeit.

Aus dem Rückblick auf die Geschichte wird aber auch ein Zweites klar erkennbar: daß diese Ziele nur solidarisch erreicht werden konnten. Auch diese Solidarität droht, unter dem Druck von Krise und Arbeitslosigkeit, verlorenzugehen.

Und doch sind die heute anstehenden Probleme nur solidarisch lösbar. Arbeitslosigkeit kann nicht gelöst werden, indem man die Arbeitslosen einfach ausschließt. Der Weg müßte sein, sie an der vorhandenen Arbeit teilhaben zu lassen, statt sie mit Sozialleistungen (deren Umfang sich bei wachsender Arbeitslosigkeit tendenziell verringert) abzuspeisen.

Auch im internationalen Wettbewerb nützt es nichts, wenn überall Löhne gesenkt, Gastarbeiter nach Hause geschickt und Arbeitslose als notwendiges Übel in Kauf genommen werden.

Die „Rette-sich-wer-kann"-Reaktion setzt einen negativen Kreislauf in Gang, der dazu führt, daß zuletzt auch der Starke hineingezogen wird in die Abwärtsbewegung, weil auch er abhängig ist von dem, was wir alle als Gemeinschaft an Leistung erbringen. Mehr Solidarität hingegen — im kleinen bis hin zur Weltwirtschaft — ist die Voraussetzung dafür, daß wir die derzeitigen Probleme lösen können.

Diese Solidarität muß allerdings heute weiter ausgreifen: Sie muß die Grenzen des Landes überschreiten, und alle Menschen dieser Welt umfassen, sie muß die Natur als Grundlage menschlichen Lebens mit einbeziehen, und darin den Horizont öffnen bis hin zum Leben zukünftiger Generationen.

Was also heißt es, heute das Fest der Arbeit zu feiern?

Es könnte heißen, sich der humanen Perspektive menschlicher Arbeit zu öffnen, sich zu erinnern an die Geschichte, in der Menschen unter großen Opfern sich für eine humanere Welt eingesetzt haben. Es könnte heißen, sich zu freuen über noch so bescheidene Initiativen gegen die um sich greifende Resignation — im Wissen, daß Humanität und Solidarität, daß der Glaube an den Menschen keine Selbstverständlichkeiten sind.

Der Autor ist neu bestellter Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

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