7071982-1993_04_12.jpg
Digital In Arbeit

Noch immer Diaspora

19451960198020002020

In Ostdeutschland halten sich die Katholiken mehr als anderswo von der Politik fern.

19451960198020002020

In Ostdeutschland halten sich die Katholiken mehr als anderswo von der Politik fern.

Werbung
Werbung
Werbung

War in DDR-Zeiten von Kirche die Rede, dann waren damit Protestanten gemeint. Um die Minderheit der Katholiken blieb es still. Dafür gibt es mehrere Gründe, meint der Leiter der psychiatrischen Abteilung im katholischen St. Elisabeth-Krankenhaus in Halle, Johannes Piskorz.

Bis etwa 1950 war die katholische Kirche in den Ländern der ehemaligen DDR die „Gemeinde der Zugezogenen”, die aus einem wirtschaftlich schwachen Milieu kamen und sozial Jahrzehnte lang kaum höher als bis zur Mittelschicht aufstiegen. Während der NS-Zeit eigneten sich die Katholiken in diesen Ländern eine Haltung des Überwinterns an, die sie während des DDR-Regimes beibehielten. So blieb die katholische Kirche in der DDR „abstinent”, der Staat interessierte sie nicht, es gab weder positive noch negative Äußerungen gegen den Staat. Die einzige offizielle Aussage eines katholischen Bischofs fiel 1988: „Wir folgen nicht dem roten Stern, sondern dem Stern von Bethlehem.”

So übten Katholiken kaum Funktionen aus, es gab sie auch kaum in der SED, sie hielten sich heraus, waren nie verstrickt; allerdings äußerte sich die katholische Kirche auch dann nie gegen das Regime, wo es nötig und möglich gewesen wäre. Die Katholiken der DDR waren auch während der Aufbruchsj ahre vor der „Wende” nicht präsent. Katholisch-Sein bedeutete gelebte moralische Instanz. Auffällig ist, daß die katholische Kirche dieses große Plus bis heute nicht in die Waagschale wirft, nicht „ausspielt”.

Damit standen die Katholiken in großem Gegensatz zu den Protestanten, die sich früh politisch engagierten - und gelegentlich arrangierten.

Unter dem Dach der evangelischen Kirche fanden sich Umweltschützer, Wehrdienstverweigerer, Gruppen, die auf unterschiedliche Weise gegen das Regime protestierten. Es gab kaum Berührungspunkte zwischen Katholiken und Protestanten. Gemeinsame Aktionen an der Basis bildeten eher die Ausnahme. Johannes Piskorz führt dies vor allem auf das unterschiedliche politische Verhalten zurück.

Daran hat sich seit der „Wende” kaum etwas geändert. Weiterhin sind es ostdeutsche Protestanten, die vor allem in der SPD auch führend politisch aktiv sind. Katholiken haber. hauptsächlich in der CDU ihre politische Heimat gefunden, allerdings ohne in dieser Partei besonders aktiv zu sein. Das ist umso erstaunlicher, als die Ministerpräsidenten der Neuen Länder vor allem CDU-Katholiken sind (nur einer ist ein SPD-Protestant), die politisch Aktiven kommen jedoch aus dem Westen Deutschlands.

Abstinenz und Lethargie

Die politische Abstinenz der ostdeutschen Katholiken ist geblieben. Seit der „Wende” ist der Abstand zwischen Katholiken und Protestanten in Ostdeutschland noch größer geworden; maßgeblich dafür sind aber nicht konfessionelle, sondern parteipolitische Gründe. Die Teilnahme am Gottesdienst galt in der DDR auch als politische Demonstration, nun ist auch diese Gemeinsamkeit von Protestanten und Katholiken weggefallen.

In DDR-Zeiten hat die Hierarchie in der katholischen Kirche keine Rolle gespielt, auch das hat sich bishernicht geändert. Die Einführung der Kirchensteuer hat bereits zu Kirchenaustritten geführt; davon sind die Protestanten allerdings mehr betroffen.

Bleibt die Frage, ob die Christen in den Neuen Ländern Chancen haben und diese nützen. Oder ist aus Abstinenz und Überwintern im Diaspora-Katholizismus Lethargie geworden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung