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Noch immer kein Friede im Bistum Chur

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Der Konflikt um Bischof Wolfgang Haas (Chur) hält an. Pfarrer Franz Stampfli (Generalvikariat Zürich) erwartet die Einsetzung eines Administrators für den Zürcher Teil der Diözese Chur.

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Der Konflikt um Bischof Wolfgang Haas (Chur) hält an. Pfarrer Franz Stampfli (Generalvikariat Zürich) erwartet die Einsetzung eines Administrators für den Zürcher Teil der Diözese Chur.

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FURCHE: Pfarrer Stampfli, worum geht es bei den Auseinandersetzungen im Bistum Chur wirklich?

PFARRER FRANZ STAMPFLI: Die Gläubigen haben große Angst davor, daß das Konzil verraten wird. Man bangt um die Früchte des Vati-kanums II: um die Mitsprache und Mitarbeit der Laien, um die Öffnung der Kirche für neue Formen der Verkündigung. Dabei geht es ganz wesentlich um die Frage, wozu verpflichtet uns die Tradition und welche Tradition ist gemeint? Ich war sehr erfreut, daß der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Pierre Mamie, neulich sagte, neue Evangelisation bedeute nicht „wie ein Papagei einfach das wiederholen, was immer schon gesagt worden ist". Wogegen ich bei Bischof Wolfgang Haas spüre, daß für ihn die Tradition erst Mitte des letzten Jahrhunderts beginnt, die frühere Kirchengeschichte ignoriert er völlig. Besonders aus diesem Grund gibt es eine ständige Auseinandersetzung um seine Person.

FURCHE: Halten Sie es für möglich, daß sich die Einstellung der Gläubigen Bischof Haas gegenüber ändern wird?

STAMPFLI: Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Er beweist ja besonders durch seine personellen Entscheidungen, daß es ihm überhaupt nicht darum geht, einen größeren Rückhalt in seinem Bistum zu finden.

FURCHE: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Kirchenaustritten und dem Konflikt im Bistum Chur?

STAMPFLI: Viele ausgetretene Katholiken sagen, sie hätten sich schon lange in dieser Institution nicht mehr wohl gefühlt, diese Auseinandersetzungen hätten das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht. Als vor zwei Jahren eine wahrhafte Austrittswelle um sich griff, meinte Bischof Haas: „Laßt sie nur gehen, die sind ohnehin nicht mehr katholisch". Nun aber gibt es eine zweite Phase, jetzt treten Haas-Freunde aus, mit der Begründung, die katholische Körperschaft des Kantons Zürich bezahle ihre Beiträge nicht mehr an den Bischof. Sie wollen also ihre Kirchensteuern nicht mehr bezahlen, weil der dem Bischof zustehende Anteil von uns nicht mehr an ihn weitergeleitet wird.

FURCHE: Ist diese Zahlungsverweigerung ein Boykott?

STAMPFLI: Ja. Seitens der Kantonalkirchen wird er als eine „ultima ratio" verstanden, weil Wolfgang Haas völlig gesprächsunfähig geworden ist. Viele meinen, er verhalte sich wie ein autistisches Kind, das auf Anfragen von außen überhaupt nicht reagiert. Daher hat man sich entschlossen, ihm das Geld zu sperren.

In Zürich ist es so, daß die Kirchensteuern zunächst an die Kirchengemeinde, dann an die Kantonalkirche und dann erst an das Bistum gezahlt werden. Das Geld befindet sich also nicht in der Hand der Bischöfe. Das ist zwar mühsam, wenn es darum geht, überkantonale Dinge zu finanzieren. Anderseits besteht so ein gutes Gleichgewicht zwischen der finanziellen und der hierarchischen Macht. Man muß eben miteinander reden. Dieses Mitspracherecht möchte ich unter keinen Umständen missen. Haas spricht von protestantischen Strukturen. Damit zeigt er, daß er die Schweizer Geschichte nicht kennt; dieses Gefüge ist nämlich viel älter als die ganze Reformation. Zürich zahlt zur Zeit einen Teil des Bistumsbeitrags an kirchliche Verbände, der Rest wird für den Fond zur Gründung eines künftigen Bistums Zürich zurückbehalten.

FURCHE: Wie stehen die Chancen für ein Bistum Zürich?

STAMPFLI: Es wird sicher nicht mehr in diesem Jahrtausend entstehen. Dazu wäre ein politischer Prozeß nötig - eine Genehmigung durch den Bund aber auch ein psychologischer Wandel. Viele Protestanten sehen in einem Bischof immer noch den Statthalter Roms. In der jetzigen Situation haben sich diese Ängste natürlich noch verstärkt.

FURCHE: Jetzt soll ja zunächst ein apostolischer Administrator für Zürich benannt werden. Steht dies im Zusammenhang mit der Visitation von Erzbischof Karl-Josef Rauber?

STAMPFLI: Ja, ich glaube, dies ist ein Resultat der Mission Räubers. Ich hoffe, daß dieser Administrator noch im Lauf dieses Jahres ernannt wird. In der Theorie besteht eine solche Admi-nistratur schon seit 1819. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Schweizer Teil vom Bistum Konstanz abgetrennt, dazu gehörten die Kantone Zürich, Glarus, Uri, Ob- und Nidwaiden. Nur der Kanton Schwyz hatte sich dem Bistum Chur angeschlossen. Die anderen Kantone sind daher immer noch Administrationsgebiet. Nach dem Tod des ersten Administrators ist dieser Platz vakant geblieben, die Bischöfe von Chur übten dieses Amt aus. Heute könnte man also einen Administrator ernennen, ohne dadurch bestehende Verträge mit dem Staat zu verletzen.

FURCHE: Sie selbst sind als möglicher Adminstrator im Gespräch...

STAMPFLI: Ich glaube, daß jemand dieses Amt übernehmen sollte, der weniger im Vordergrund der Auseinandersetzungen stand als ich. Bis vor eineinhalb Jahren war ich Informationsbeauftragter des Bischofs von Chur, wegen unterschiedlicher Auffassungen habe ich dieses Amt heute nicht mehr inne. Wenn ich Administrator würde, könnte sich die andere Seite als „besiegt" vorkommen. Ich denke, man sollte sich in diesem Konflikt in erster Linie um eine Form des Ausgleichs bemühen, bei der es weder Sieger noch Besiegte gibt.

FURCHE: Sie erwähnten Vorbehalte in protestantischen Kreisen gegenüber Rom. Wie gestaltet sich der ökumenische Dialog heute in der Schweiz?

STAMPFLI: In der Deutschschweiz gibt es an der Basis, zwischen den Gemeinden, keine Probleme, obwohl auf beiden Seiten einzelne Gruppen einen Dialog völlig ablehnen. Auch unter den Kantonen bestehen keine nennenswerten Schwierigkeiten. Aber die Bischofskonferenz und der Vorstand des Schweizerisch Evangelischen Kirchenbundes sind in den heiklen theologischen Punkten uneins. Das Hauptproblem für beide Kirchen liegt in einer Polarisierung zwischen Fundamentalisten und aufgeschlossenen Christen. Der „Graben" verläuft also nicht zwischen den Konfessionen, sondern zwischen diesen beiden Gruppen.

FURCHE: Wie wirken sich die Churer Streitigkeiten auf das Leben der Gläubigen aus?

STAMPFLI: Bekanntlich haben sich etliche Eltern geweigert, ihre Kinder von Bischof Haas firmen zu lassen. Andere wieder wenden sich direkt an den Bischof, ohne ihren Pfarrer von der Firmung zu informieren. Aber auch die Laientheologenschaft ist stark verunsichert. Viele befürchten, daß ihnen schließlich doch die Predigterlaubnis entzogen wird.

FURCHE: Findet da nicht ein Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Kirchenbildern - der Kirche als Volk Gottes und einer Hierarchie ohne Mitspracherecht -, auf dem Hintergrund des schweizerischen Verständnisses von Demokratie, statt?

STAMPFLI: Man muß heute mit dem Wort Demokratie sehr vorsichtig umgehen. Für die Kirchenleitung scheint dieser Begriff heute fast noch schlimmer als Aids zu sein. Ein alter Pfarrer sagte zu mir, es mußte so kommen, daß die Hierarchie an ihrem eigenen Abbruch arbeitet. Er ist davon überzeugt, daß es sich um ein letztes Aufbäumen handelt. Das Bischofsamt wird es weiter geben, aber die Art, wie es ausgeübt wird, scheint nicht mehr haltbar zu sein. Die Vielgestaltigkeit der heutigen Kirche läßt sich kaum mehr auf einen zentralistischen Nenner bringen. Mir scheint, die Vielfalt ist ein Gewinn, und die Einheit muß an ihr nicht zugrunde gehen.

FURCHE: Wie könnte sich das Schweizer Kirchenschiff wieder in eine gemeinsame Richtung bewegen?

STAMPFLI: Es müßte sicher zuerst personelle Veränderungen geben. Bischof Haas kann man aber weder nach rechts noch nach links verrük-ken. Um ihn zu bewegen, müßte man ihn aufwärts schieben. Eine Möglichkeit wäre eine Kurienfunktion mit gleichzeitiger Beförderung zum Erzbischof, damit wäre das Gesicht bewahrt worden. Oft erinnert mich die Haltung von Wolfgang Haas an den alten Henry Ford, der gesagt hat: Meine Kunden können jede Autofar-be haben, solange sie schwarz ist.

Auf der anderen Seite haben diese Auseinandersetzungen Dinge bewirkt, die von Bischof Haas bestimmt nicht beabsichtigt waren. So ist unter den Seelsorgern eine viel größere Solidarität entstanden. Im gewissen Sinne ist die Arbeit jetzt viel schöner geworden, weil man viel mehr zusammenhält. Manche Leute sagen: Gott sei dank gibt es Wolfgang Haas, er hat uns zu Einsichten und Verhaltensweisen verholfen, die wir nicht missen wollen.

Das Gespräch führte Felizitas von Schimborn.

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