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Noch ist Österreichs Wald zu retten!

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Waldsterben: Was bis vor kurzem selbst Experten nicht erkannten, bewegt heute schon Kinder. Sterben unsere Wälder tatsächlich? Oder wird nur schrecklich übertrieben? Was müßte geschehen, um die Schäden zu beheben? Diesen Fragen geht Christof Gaspari in diesem Dossier nach.

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Waldsterben: Was bis vor kurzem selbst Experten nicht erkannten, bewegt heute schon Kinder. Sterben unsere Wälder tatsächlich? Oder wird nur schrecklich übertrieben? Was müßte geschehen, um die Schäden zu beheben? Diesen Fragen geht Christof Gaspari in diesem Dossier nach.

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Wie sehen nun die Experten, die Forstleute, dieses Geschehen, von dem ja noch gar nicht so lange die Rede ist? Denn vor 1980 kannte man wohl das Phänomen, daß im unmittelbaren Einflußbereich von stark rauchenden Anlagen lokale Waldschädigungen auftraten. Aber an ein großräumiges Waldsterben dachte damals kaum jemand.

Nun, im Weinviertel sei seit mehreren Jahren schon eine dramatische Verschlechterung der Situation der Eichen zu beobachten, berichtet im Gespräch ein niederösterreichischer Forstaufsichtsbeamter und -berater. Ausfälle gäbe es auch bei der Hainbuche, sogar in Jungbeständen. Birken würden spitzendürr. Die Situation heute unterscheide sich deutlich von der in den siebziger Jahren. Damals hätten die Eichen vor allem unter den Misteln, jenen Schmarotzern, die sich in Baumkronen ansiedeln und mit denen wir gern unsere Weihnachtsgedecke zieren, gelitten.

Im Alpenvorland, im Waldviertel und in der Wachau seien die Fichten recht schütter geworden. Sogar im Alpenbereich des öt-schers, einem Reinluftgebiet, beobachtet er das Überhandnehmen von Wipfeldürren älteren Fichten auf Prallhängen in Kammlage.

Auch dieser Forstexperte muß allerdings zugeben, daß er diesem Phänomen - trotz 25j ähriger Tätigkeit - erst seit etwa zehn Jahren Aufmerksamkeit zuwendet. Bis dahin hatte man der Belastung des Lebensraumes Wald durch Luftverschmutzung vielfältigster Art kaum Beachtung geschenkt.

Und damit ist ein Dilemma der heutigen Waldforschung angesprochen: Sie soll Fragen beantworten und Rezepte geben, Gefahren aufzeigen und Auswege weisen - und das möglichst rasch und im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Diese wurde ja mittler-weüe durch die Medien sensibilisiert. Alarmmeldungen verschiedenster Art machten die Runde. Jeder absterbende Baum wird heute registriert. Das produziere eine Panikstimmung, die durchaus nicht gerechtfertigt sei, meint Markus Neumann von der Forstlichen Bundesversuchsanstalt in Wien.

Der Wald ist ein Lebensraum, der sich in Jahrhunderten, bestenfalls in Jahrzehnten, nachhaltig steuern läßt und dessen Veränderungen statistisch bedeutsam (signifikant) nur aufgrund langjähriger Beobachtungen erfaßt werden können. Die derzeit vorliegenden Ergebnisse gäben aber keinen Anlaß zur Panik, meint Neumann, der mit der Waldzustandsinventur befaßt ist.

Sie wird seit 1984 erhoben und soll Auskunft über die Situation der österreichischen Wälder geben. Rund 70.000 markierte Bäume werden einmal jährlich von 48 besonders geschulten Fachleuten begutachtet - und zwar optisch vom Boden aus. Die Beobachtungspunkte sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt.

Und das Ergebnis? Nach einer Verschlechterung im Jahr 1984 hat sich die Situation stabilisiert, und im heurigen Jahr ist sogar eher eine Verbesserung festgestellt worden! Der Anteil der Bäume ohne auffallende Kronenverlichtung hat sich insgesamt 1987 um 3,5 Prozentpunkte auf 66,5 Prozent aller untersuchten Bäume erhöht. Schwache Verlichtung wurde bei 30 und mittlere sowie starke bei 3,5 Prozent ermittelt.

Ist also alles doch nur halb so schlimm? Waren die erwähnten

Beobachtungen doch nur subjektive Fehleinschätzungen? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Fest steht jedenfalls, daß wir nicht unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Waldes stehen. Und das ist in unserer Zeit, in der sich die Nachrichten mit Alarmmeldungen überbieten, schon eine überaus erfreuliche Erkenntnis.

Das wiederum ist aber kein Grund, beruhigt zur Tagesordnung, sprich zu weiterer Umweltverschmutzung, zurückzukehren. Bei näherem Hinsehen erkennt man nämlich aus der Waldzustandsinventur, daß sich der Befund bei Eichen und Buchen im letzten Jahr drastisch verschlechtert hat (fast 50 Prozent schwach verlichtete Kronen). Auch um die Tannen steht es nicht gut: Nur 40 Prozent sind unauffällig.

Im Gesamtbefund kommt dies nicht zum Ausdruck, weil in Osterreich die Fichte überwiegt (60 Prozent des Baumbestandes). Und der Fichte geht es derzeit relativ gut. Zu betonen ist aber auch bei dieser Aussage das Wort relativ. Denn: „Nach Erhebungen unserer Anstalt, insbesondere aufgrund von Nadelanalysen, sind 25 Prozent des Waldes geschädigt. Das ist nicht wenig. Jedenfalls genug, um Maßnahmen zu setzen“, stellt Neumann fest. Diese differenzierte Bestandsaufnahme verwirrt den Laien. Er ist gewohnt, auf simple Fragen einfache, ins Ohr gehende Antworten zu bekommen. Stirbt also der Wald? Ja - oder nein?

„Griffig formuliert könnte man sagen: Das Waldsterben gibt es nicht“, stellt auch Rudolf Ortho-fer vom Forschungszentrum Seibersdorf fest. „Wir haben nicht ein einheitliches Waldsterben, wo ein bestimmter Verursacher den Wald zerstört. Wir haben viele Waldsterben. Vor uns steht nicht ein Patient, der Wald, sondern ein vielfältig gefährdetes Öko-System.“

Wie vielfältig diese Gefährdung ist, entdecken die Wissenschafter eben schrittweise. Vielfach müssen sie überhaupt erst geeignete Meßmethoden entwickeln, bewegen sie sich doch auf „Neuland“. So ist auch die Methode der Waldzustandsinventur umstritten.

Da ist etwa die Abgrenzung der Schadenskategorien: die deutschen Erhebungen sowie eine in Vorarlberg flächendeckend durchgeführte (da wurden nur 6,5 Prozent der Bäume als „ganz gesund“ eingestuft - FURCHE 36/ 1985) legen viel strengere Maßstäbe an. Auch bezieht die derzeitige Erhebung in Österreich nur Bäume zwischen 60 und 140 Jahren ein und erfaßt nur 29 Prozent der gesamten Waldfläche. Auf alles übrige wird nur geschlossen. Hier wird schon ab dem nächsten Jahr eine viel intensivere Erfassung stattfinden (siehe Seite 14).

Umstritten ist auch, ob visuelle Änderungen des Kronenzustan-des, „nach denen man so lange Ausschau gehalten hat, mit dem wirklichen Sterben des Waldes entscheidend zu tun haben“, fragt sich Orthofer. Diese äußere Veränderung habe zwar die Aufmerksamkeit auf die Gefährdung des Waldes gelenkt. „Aber das eigentlich Dramatische ist das, was sich optisch wenig äußert. Und da ist vor allem die Verschlechterung des Bodenzustandes durch Versauerung zu nennen.“

Ein weiteres Zeichen für die Bedrohung ist die verminderte Keimfähigkeit der Bäume. „Die Zahl der keimfähigen Samen nimmt ab“, faßt Orthofer einschlägige Beobachtungen zusammen. In Intervallen von etwa acht Jahren produzieren die Nadelbäume keimfähige Zapfen. In den letzten Jahren haben sich diese Abstände verkürzt. Es werden zwar öfter Samen gebildet, „diese jedoch keimen aber kaum mehr“, zieht Orthofer eine traurige Bilanz. Und diese verminderte Keimfähigkeit „betrifft generell alle Bäume“.

Fazit: Das Geschehen im Wald ist enorm komplex. Vorliegende Beobachtungen lassen eine schwerwiegende Bedrohung erkennen, die nach Standorten ein unterschiedliches Ausmaß erreicht hat. Umfassende Maßnahmen sind überfällig.

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