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Noch nicht alle Brücken geschlagen

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Wo liegen die Hindernisse für echte Fortschritte in der Ökumene? Einer der engagiertesten deutschen Theologen auf diesem Gebiet geht dieser Frage im folgenden auf den Grund.

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Wo liegen die Hindernisse für echte Fortschritte in der Ökumene? Einer der engagiertesten deutschen Theologen auf diesem Gebiet geht dieser Frage im folgenden auf den Grund.

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Zur ökumenischen Bilanz in katholischer Sicht gehört die Teilnahme der Katholiken an vielen ökumenischen Dialogen und an deren Niederschlag in den ökumenischen Dokumenten; ich nenne die Dokumente: Das Evangelium und die Kirche, das Herrenmahl, Wege zur Gemeinschaft, das geistliche Amt, die Einheit der Kirchen in Wort und Sakrament,

das Papsttum. Ihr bisheriger Höhepunkt ist das Dokument von Lima, über Taufe, Eucharistie und Amt.

Ihr Ergebnis ist nicht die Feststellung, die Vertiefung oder Verbreiterung der Kontroversen, sondern die Annäherung, die Konvergenz, die in manchen Punkten zum Konsens wird. Dies alles geschieht nicht durch Ver-gleichgültigung oder Nivellierung in der Sache, sondern durch Vertiefung und eine umfassende biblische, geschichtliche und systematische Reflexion in einem veränderten Kontext.

Auch die schwierige Frage des Papsttums ist Gegenstand von ökumenischen Dialogen und ihres Niederschlags geworden, am eindrucksvollsten im anglikanischkatholischen Dialog. Daß dessen Ergebnis, der „Final report“, in Rom nicht freundlich aufgenommen wurde, ist bedauerlich, aber es bedeutet kein endgültiges „Aus“, zumal der Bescheid der Glaubenskongregation im Gegensatz zu den Prinzipien steht, die ihr Präfekt Joseph Kardinal Ratzinger im Blick auf die Ostkirchen einmal so formuliert hatte: Rom muß vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als im ersten Jahrtausend gelehrt und gelebt wurde.

Von diesen zahlreichen und erfreulichen Dokumenten ist zu sagen: Sie werden nur lebendig und wirksam, wenn sie gesamtkirchlich rezipiert und umgesetzt werden, das heißt sowohl an der Basis wie bei den Kirchenleitungen. Dabei zeigt sich, daß die theologische Arbeit nur einen Teil der kirchlichen Wirklichkeit und ihres Vollzugs darstellt. Diese selbst sind mehr als eine Summe der Theologie, so sehr sich diese bemüht, Theorie einer lebendigen Praxis zu sein. Vor einigen Monaten hat Kardinal Franz König seinen Zuhörern gesagt: „Drängen Sie, daß das, was theologisch schon als Einheit erarbeitet wurde, in die Tat umgesetzt wird.“ •

Aus der Geschichte der Ökumene und der Kircheneinigungen ergibt sich folgende Paradoxie: Je mehr eine Verständigung im Bereich der Theologie erreicht wird, desto stärker regen sich die außertheologischen, oft psychologischen und emotionalen Faktoren und mobilisieren die Kräfte des Widerstands und der Beharrung.

Als zweites in der Bilanz der Ökumene in katholischer Sicht sei genannt: Wir finden einen Ökumenismus der beschwörenden Worte vor, wie er intensiver kaum gedacht werden kann. Ich will dafür ein Beispiel anführen. Bei seinem Abschied von Deutschland sagte Papst Johannes Paul IL: „Das Gebet Jesu um die Einheit derer, die an ihn glauben, wird für uns alle zur Quelle eines neuen Lebens und einer neuen Sehnsucht. Als Bischof von Rom stelle ich mich voll und ganz in den Strom dieser Sehnsucht. Darin erkenne ich die Sprache des Heiligen Geistes und den Willen Chri-

sti, denen ich bis ins letzte gehorsam und treu sein möchte. Ich will der Einheit dienen, ich will alle Wege beschreiten, die Christus uns nach den Erfahrungen der Jahrhunderte und Jahrtausende zur Einheit in jene Herde führt, in der er allein der einzige und sichere gute Hirte ist.“ Diesen Willen hat der Papst wiederholt erneuert.

Ich meine, die Katholiken, ja alle Christen sollen den Papst beim Wort, auch bei diesem Wort nehmen. Und die ökumenisch Engagierten können sich, wenn sie wollen, darauf berufen

Im folgenden will ich auf die Behinderungen der Ökumene zu sprechen kommen — dies wiederum vor allem in katholischer Sicht.

An erster Stelle ist, meine ich, die Angst zu nennen. Man hat Angst vor der Veränderung. Das andere wird als fremd und nicht kommunikabel angesehen. Man hat Angst vor der Preisgabe dessen, was bisher das je Eigene war, das zugleich Vertrautheit und Beheimatung bedeutete, man hat Angst vor dem Verlust von Kontinuität, Profil und Identität, man

hat Angst, daß es zum Dammbruch kommt, dem niemand mehr Einhalt zu bieten vermag. Es ist auch die Angst, die sich nicht vorzustellen vermag, welche Form und Gestalt Kirche und Kirchen im Zeichen der Ökumene erhalten sollen. Viel sicherer als der Weg ins unbekannte Land, als der Weg Abrahams, ist das Verbleiben im vertrauten Milieu.

Mit dieser Angst, die nie ein guter Ratgeber ist, kann sich sehr leicht ein Wille zur Macht verbinden. Der Eifer des Bewahrens kann zum immobilen, gewalttätigen Beharren um jeden Preis werden. Daraus können sich ganze Strategien entwickeln.

Der Angst und dem Willen zur Macht ist nur zu begegnen durch die Erkenntnis, daß Ökumene nicht die Preisgabe des Eigenen, nicht den Verlust der Identität oder auch des Profils bedeutet, sondern ein Gewinn in neuer und größerer Gestalt — Kirchen sollen Kirchen bleiben und eine Kirche werden. Die Kirchen werden durch die Ökumene nicht nur quantitativ, sondern qualitativ reicher. Profile können bleiben und sollen es als Ausdruck des mannigfachen Reichtums Jesu Christi; Profilneurosen werden dagegen überflüssig.

Damit hängt ein Weiteres zusammen. Man sagt, die katholische Kirche habe wie die anderen Kirchen genug Sorgen mit sich selbst, mit den Problemen und Schwierigkeiten, die in ihrem eigenen Bereich anstehen: die Identitätskrise, die Glaubenskrise, die Amtskrise, die Autoritätskrise, durch die vielen Neuerungen und Erneuerungen auf allen Gebieten, durch den lauten oder stillen Auszug aus den Kirchen. Hier müsse zunächst eine Pause und eine Beruhigung eintreten. Die Dynamik des ökumenischen wird als zusätzliche Belastung angesehen, die die bereits vorhandenen Verunsicherungen, Verwirrungen, Unklarheiten und Beunruhigungen noch steigert. Dies nicht zuletzt auch aus dem möglichen Grund, daß die ökumenische Öff-

nung und Erneuerung mit eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Krise ist.

Dazu ist zu sagen: Daß es genug Sorgen, Probleme und Schwierigkeiten im eigenen Haus der Kirchen gibt, ist nicht zu bestreiten. Aber es ist zu bestreiten, daß man zu einer besseren Lösung der Krise kommt“, wenn man nur unter sich bleibt und die dazu kommenden ökumenischen Fragestellungen draußen hält. Ganz abgesehen davon, daß das heute nicht mehr möglich ist, bleibt zu bedenken: Vom ökumenischen, von der Begegnung mit anderen Kirchen, können auch und gerade entscheidende, befreiende und weiterführende Hilfen für die Krise im eigenen Haus ausgehen. Pausen, auch

Denkpausen dürfen nicht zu lange dauern, sonst könnte das Denken aufhören.

Eine große und ernste Behinderung der Ökumene sehe ich in einem Phänomen, das seit einiger Zeit in den Kirchen kursiert und eine Ökumene besonderer Art und Qualität schafft und hervorruft. Man sagt: Alle bisherigen Annäherungen, Konvergenzen oder gar Konsense sind im Grund eine Täuschung, sie gleichen einer Symptomtherapie, die das Übel an der Wurzel übersieht oder überdeckt. Denn in der Wurzel liegen die sogenannten gegensätzlichen Grundentscheide und Grunddissense der Konfessionen, die bis zur Stunde noch nicht gelöst und aufgearbeitet sind und die gleichsam vor die Klammer aller ökumenischen Energien und Ergebnisse ein Minuszeichen setzen.

Auf einmal leben die alten Kontroversen wieder auf und sie werden beim Namen genannt: Das reformatorische Allein, das katholische Und, die Kirche des Wortes, die Kirche des Sakraments, die Theologie des Kreuzes gegen die Theologie der Inkarnation, die Frage Rechtfertigung und Werke, die personale und die ontologi-sche Kategorie, das Verhältnis von Schrift und Kirche.

Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, dann kann man das Buch der Ökumene schließen und es ist, als hätte die ökumenische Arbeit überhaupt noch nicht begonnen; die Arbeit und das Engagement Ungezählter und in vielen Jahren war Vergeblichkeit.

Ich halte diese Option für die große und schwere Bedrohung und Behinderung der Ökumene. Sie erfolgt im Gegensatz zu den Aussagen des II. Vatikanums, im Gegensatz zu den von vielen Theologen aller Konfessionen wiederholt festgestellten Auffassungen, daß in den genannten Fragen, den Grundentscheiden zwar Unterschiede bleiben, aber daß sie keinen kirchentrennenden Gegensatz mehr darstellen. Die Entdeckung der Grunddissense der Konfessionen erfolgte — das ist bemerkenswert — zu gleicher Zeit, als maßgebliche Vertreter der Leitungen der Kirche feststellten, es gäbe in den die Konfessionen bestimmenden Grundfragen keine kirchentrennende Differenz mehr.

Die deutschen Bischöfe erklärten bei der Gedenkfeier zum sogenannten Augsburger Bekenntnis von 1530: „Freuen wir uns, daß wir nicht nur einen Teilkonsens in einigen Wahrheiten entdecken können, sondern eine Ubereinstimmung in zentralen Glaubenswahrheiten. Das läßt uns die Einheit auch in den Bereichen unseres Glaubens und Lebens erhof-

fen, in denen wir bis zur Stunde noch getrennt sind.“

Der Papst erklärte zum gleichen Anlaß, daß zwar noch nicht alle Brücken geschlagen wurden, aber daß die Brückenpfeiler stehen geblieben sind. Das Gleiche gilt für die Zustimmung aller Kirchen zum Bekenntnis des Konzils von Konstantinopel, die im Jahre 1981 erfolgte.

Uber das Verhältnis der sogenannten Grundentscheide und Grunddissense zu ihren konkreten Erscheinungsformen müßte nachgedacht werden. Diese beiden Komponenten können nicht auseinandergerissen werden. Die verborgenen Wurzeln äußern sich in ihren Früchten. Das bedeutet: Wenn es in konkreten ökumenischen Einzelbereichen Verständigungen, Annäherungen, Konvergenzen oder gar Konsense gibt, dann kann der zugrundeliegende Grund als Grundentscheid nicht im Zeichen des unvereinbaren Gegensatzes stehen.

Die entscheidende Frage aber ist: Sind die nicht zu leugnenden Grundentscheide — die nebenbei gesagt immer auch geschichtlich bedingt und immer wieder neu getroffen und artikuliert werden — kirchentrennend oder sind sie Bausteine im Konzept einer versöhnten Verschiedenheit? Sie sind kirchentrennend, wenn sie sich jeweils verabsolutieren und das andere von sich ausschließen oder abstoßen. Aber es besteht auch die Möglichkeit, daß sie sich gegenseitig durchdringen und bereichern und sich dadurch anerkennen. Dann schaffen sie eine Möglichkeit, zu einer größeren Gestalt des Christlichen und des Katholischen, was ja gerade das Ziel der Ökumene ist.

So gesehen muß die Diskussion um Grundentscheide und Grunddissense nicht eine Blockade der Ökumene werden, sie kann ihre Bemühung vertiefen und mit neuer Zuversicht erfüllen.

Der Autor ist Professor für Theologie in München. Auszug aus einem Vortrag für die Stiftung „Pro Oriente“ in Wien im Dezember 1985.

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