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Noch nicht da, aber im Kommen: Das Zeitalter der Muße

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Nicht nur als „praktizierender“ Jugendpolitiker, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht (Institut für Wirtschaftssoziologie, Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt) beschäftigt sich seit geraumer Zeit Jun-ge-ÖVP-Bundesobmann Mag. Josef Höchü mit Freizeitgewohnheiten der Jugendlichen. Die anhaltende und noch zu erwartende Revolution im Freizeitbereich führt er primär darauf zurück, daß sich in den Industriegesellschaften die Arbeitsproduktivität in Abständen von fünf Jahren um 20 Prozent erhöht: „Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, daß es zu einer andauernden Verminderung der Sollarbeitszeit der überwiegenden Mehrheit der Erwerbsbevölkerung gekommen ist. Das wiederum bedeutet, daß sich das Verhältnis von Arbeitszeit zu Freizeit radikal geändert hat“

Ein Blick in die Statistik zeigt, wie sich die Arbeits- und Freizeitbudgets der Jahre 1850 und 1975 zueinander verhalten: Damals betrug die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche 75 Stunden, nunmehr 40. 1850 gab es fast keine tägliche Freizeit, keinen Urlaub, 1975 wurde die tägliche Freizeit mit ungefähr 3,6 Stunden je Arbeitstag berechnet, der Mindesturlaub - inzwischen auf vier Wochen erhöht - betrug drei Wochen. Während es in der Praxis des Jahres 1850 eine 6,5%Tage-Woche gab, haben wir heute eine 5-Tage-Wo-che. Einige namhafte Futurologen sagen aber bereits für die Zukunft eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden und weniger voraus.

Wieviel Stunden hat heute ein jugendlicher Arbeitnehmer pro Woche für seine Freizeit zur Verfügung? Dazu wurden auf Veranlassung der UNESCO in mehreren Ländern gleichzeitig Untersuchungen vorgenommen: Für die berufstätigen männlichen Jugendlichen ergab sich eine tägliche Freizeit von 3,6 Stunden, an arbeitsfreien Tagen eine Freizeit von 8,6 Stunden, insgesamt also eine wöchentliche Freizeit von 35,2 Stunden im Schnitt Schlechter gestellt sind nach dieser Untersuchung die berufstätigen Frauen: Bei ihnen ergab sich eine tägliche Freizeit von drei Stunden, an arbeitsfreien Tagen eine solche von 6,7 Stunden, womit die jungen Frauen mit einem Wochenfrei-zeitbudget von 28,4 Stunden um 20 Prozent schlechter gestellt sind als ihre männlichen Kollegen.

Soziologieassistent Höchtl findet für den Begriff Freizeit folgende Definition: Freizeit heißt frei sein von beruflicher Arbeit, frei sein von dem unabdingbaren Zeitaufwand für Essen, Schlaf, Körperpflege und ähnliche Dinge. Freizeit ist aber mehr als die Kehrseite einer Medaille, deren andere Seite die Arbeit ist. Freizeit hat eine Rastfunktion, verstanden als Möglichkeit die Müdigkeit zu überwinden (sei es die körperliche, geistige oder nervliche), wobei Schlaf ausgeschlossen ist; Freizeit hat auch eine Unterhaltungsfunktion, verstanden als Erholung von Langeweile und Monotonie; Freizeit hat ferner die Funktion der Entwicklung der Persönlichkeit.

Die vom englischen Futurologen Dennis Gabor geäußerte „Gefahr des Zeitalters der Muße“ ist heute noch nicht eingetroffen, noch wird die durchschnittliche Arbeitszeit von der Freizeit nicht übertroffen. Doch die Zukunft soll - wie könnte es anders sein - noch manche Überraschungen bringen. Die Utopisten unter den Zukunftsforschern sprechen von einem fast vollständigen Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen, aber auch zurückhaltendere Autoren halten, so Höchtl, eine 20stündige Arbeitswoche, also eine Woche mit zwei oder drei Arbeitstagen, für möglich. Die Freizeit würde damit zum „vorherrschenden Lebensbereich“.

Schon für 1985 rechnen ernstzunehmende Futurologen damit, daß sich die Zahl der jährlichen Arbeitsstunden von derzeit durchschnittlich 1900 auf 1760 senkt; parallel dazu würde der Anteil der Ausgaben für Freizeit von zehn auf 18 Prozent anwachsen, woraus sich eine immense Gefahr für den Freizeitkonsum ergeben könnte.

Die Vermehrung der Freizeit auf Kosten der Arbeitszeit wird aber sobald nicht abgeschlossen sein. Höchtl: „Der bekannte französische Statistiker Jean Fourastier rechnet für die nahe Zukunft mit einer Lebensarbeitszeit von rund 35 Jahren, bei einer Jahresarbeitszeit von 1200 Stunden -zehn Monate zu 120 Stunden. Das ergäbe für ein Menschenleben eine Arbeitszeit von etwa 42.000 Stunden. Da die Lebensdauer eines Menschen mit durchschnittlich 700.000 Stunden angenommen wird, braucht der Mensch von 100 Lebensstunden nur knapp sechs zu arbeiten!“

Wissenschaftlich ist es erwiesen, daß je nach Situation, je nach Pflichtbewußtsein, je nach Erziehung, je nach körperlicher Konstitution in dem einen Fall Arbeit als Last, in dem anderen Fall aber als Freude empfunden wird. Eine Untersuchung des IMAS-Institutes hat einmal das Resultat erbrachte, daß entgegen allen Spekulationen der überwiegende Teil der Österreicher Erfüllung auch in der Arbeit sucht: Während die Befragten mit „50 Jahren und älter“ nur zu zehn Prozent der Meinung waren, daß es am schönsten wäre, zu leben, ohne arbeiten zu müssen, waren es in der Gruppe „16 bis 29 Jahre“ immerhin 23 Prozent, was zumindest auf eine größere Anzugskraft der Freizeitgestaltungsmöglichkeiten schließen ließe, interpretiert Höchtl. Ein Leben mit ausgefüllter Arbeit wünschen sich nach dieser Untersuchung immerhin 68 Prozent der 16- bis 29jährigen (bei den Älteren sind es 84 Prozent).

Das eigentliche Ziel der Vermehrung der Freizeit müßte nach Josef Höchtl sein, einen Zeitraum zu erhalten, „der Freude und Annehmlichkeit mit sich bringt und nicht neue Belastung“. Vermehrte Freizeit wäre also nicht richtig verwendet, wenn das Ergebnis Lange weile, Abstumpfung, Alkoholismus, Prestigekonsum, Au-torasen und andere Verirrungen wären. Genauso schlecht wäre es, würde die vermehrte Freizeit den Menschen zum Getriebenen der Freizeitindustrie machen.

Dies zu verhindern, wird nach Höchtl eine neue verantwortungsvolle Aufgabe der Schule sein: „Wir dürfen es nicht länger als gegeben hinnehmen, daß die Schule fast ausschließlich eine Vorbereitung auf das Arbeitsleben darstellt wir müssen die Forderung erheben, daß der Einzelne auch auf eine richtige Verwendung seiner zunehmenden Freizeit vorbereitet wird... Unsere Aufgabe muß in diesem Punkt auch darin liegen, zu dem Kulturerbe der Arbeitsleistung, das wir erhalten haben, allmählich ein Kulturgut der sinnvollen Freizeitgestaltung dazuzugewinnen, was aber nicht von heute auf morgen möglich sein wird.“

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