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Noch perfekter töten

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„Wir müssen allen Amerikanern Zugang zur besten medizinischen Behandlung nach dem letzten Stand geben.” Mit dieser schön-farberischen Argumentation will der neue US-Präsident Bill Clinton das bereits in Frankreich, England, China und Schweden verwendete Abtreibungsmittel RU 486 in den USA salonfähig machen. Auch deutsche Politiker machen sich für das chemische Tötungsmittel stark.

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„Wir müssen allen Amerikanern Zugang zur besten medizinischen Behandlung nach dem letzten Stand geben.” Mit dieser schön-farberischen Argumentation will der neue US-Präsident Bill Clinton das bereits in Frankreich, England, China und Schweden verwendete Abtreibungsmittel RU 486 in den USA salonfähig machen. Auch deutsche Politiker machen sich für das chemische Tötungsmittel stark.

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Es ist erstaunlich, welche Popularität RU 486 in relativ kurzer Zeit erlangt hat. Im Oktober 1981 wurde es erstmals an Menschen getestet - an der Universität Genf. Das Ergebnis war „eindrucksvoll”: Von elf ungeborenen Kindern überlebten nur zwei den Einsatz des Präparats. Es bestand sozusagen seine Bewährungsprobe als „Menschenpestizid” (eine Bezeichnung des Genetikers Lejeune). Im Gefolge davon löste eine Studie die andere ab. Man sammelte Erfahrungen, bis das Mittel im September 1988 in Frankreich zugelassen wurde.

Wie funktionieren Abtreibungen mit RU 486? Laut Firmenbeschreibung können es Frauen, bei denen der Beginn der letzten Regelblutung nicht länger als 63 Tage zurückliegt, anwenden. Am ersten Tag der Abtreibung werden der Schwangeren in der Klinik drei Tabletten verabreicht, die jeweils 200 Milligramm Mifepristo-ne (RU 486) enthalten. Nach einer zweistündigen Beobachtung wird die Frau nach Hause entlassen. Bei rund 50 Prozent der Schwangeren treten innerhalb von 48 Stunden Blutungen auf. Bei manchen sind diese schwer und von Krämpfen begleitet. Das Kind wird allerdings nur in drei Prozent der Fälle in dieser Phase ausgestoßen.

Daher müssen die Mütter am dritten Tag wieder in der Klinik erscheinen. Da wird ihnen ein wehenauslösendes Mittel (Prostaglandinanalog) verabreicht. Bisher geschah dies durch Injektion oder mit einem vaginalen Zäpfchen. Derzeit werden jedoch Pillen getestet. Sobald diese auf den Markt kommen, sind Abtreibungen mit RU 486 nicht mehr an eine Klinik gebunden und die Abtreibung in den eigenen vier Wänden wird möglich.

Innerhalb von zwei Stunden nach Verabreichung des Wehenmittels setzen meist Blutungen ein. Während dieser wird das Kind ausgestoßen. Der Vorgang kann bis zu 24 Stunden dauern.

Zunächst starke Blutungen

Die zunächst starken Blutungen werden dann allmählich schwächer, können aber bis zu 35 Tage dauern (neun Tage im Durchschnitt). Schließlich ist noch eine Untersuchung in der Klinik erforderlich: Es muß festgestellt werden, ob die Schwangerschaft beendet und das Kind auch tatsächlich getötet worden ist.

Wie „erfolgreich” ist das Verfahren? Die „Erfolgsrate” von RU 486 liegt bei 96 Prozent. Ein Prozent der Ungeborenen überlebt die „Behandlung” und wird chirurgisch getötet. Ein weiteres Prozent der Kinder muß wegen starker Blutungen der Mutter ebenfalls durch Eingriff entnommen werden. In den übrigen Fällen bleiben Teile des Ungeborenen oder des Mutterkuchens in der Gebärmutter zurück und müssen entfernt werden.

Klarerweise treten auch Nebenwirkungen auf. Ihre Intensität hängt von der Dosierung des Wehenmittels ab: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall in den ersten Stunden bei jeder dritten Frau, wenn das Mittel hoch dosiert verabreicht wird. Bei manchen Mitteln treten auch Herz-Kreislaufprobleme auf.

1991 starb eine 31jährige Französin während der Abtreibung einer Frühschwangerschaft mittels RU 486 an einem kardiovaskulären Schock nach Injektion des Prostaglandins Sul-prostone. Bei derselben Kombination erlitt eine 35jährige Frau bei der Abtreibung ein reversibles Kammerflimmern. Die Anwendung des Mittels ist also auf gar keinen Fall ungefährlich.

Wie kommt RU 486 an? Die Untersuchungen zeigen kein eindeutiges Bild. Sie sind stark von den jeweiligen Interessen geprägt. Eines kann man aber festhalten: Trotz des großen Aufwandes durchschaut man heute weder den genauen Wirkmechanismus des Mittels, noch kennt man seine Nebenwirkungen und seine Folgen auf die Fruchtbarkeit der Frau.

Um das langsam zu entdecken, experimentiert man heute praktisch an gesunden Frauen herum. Erst in vielen Jahren wird man abzuschätzen beginnen, welche Folgen das Präparat insgesamt wirklich hat. Das Gleiche geschah j a im Grunde genommen auch bei den Schwangerschaftsverhütenden Pillen.

Einiges weiß man aber schon über die Wirkung von RU 486: Auf der Ebene der Zelle tritt das Präparat als Konkurrent des Schwangerschaftshormons (Progesteron) auf. Die von diesem Hormon angesteuerten Zellen werden durch das Mittel so beeinflußt, daß sie die Botschaft des Progesterons nicht mehr aufnehmen beziehungsweise verwerten können.

Hormon außer Kraft gesetzt

Das Schwangerschaftshormon wird nämlich im Zyklus der Frau ab jenem Zeitpunkt, in dem der Eisprung stattfindet (und ab dem eine Befruchtung möglich wird), in größeren Mengen ausgeschüttet. Die Aufgabe dieses Hormons ist es, die Gebärmutter für eine mögliche Einnistung und Ernährung des Kindes vorzubereiten. Insbesondere wird die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut. Weiters wird dafür gesorgt, daß die Kontraktionstätigkeit der Gebärmuttermuskulatur abnimmt und daß der Gebärmutterhals geschlossen wird (damit das Kind nicht ausgestoßen wird).

Was da vorsorglich im Mutterleib geschieht unterbindet RU 486 und kehrt es ins Gegenteil um: Die Gebärmutter wird unwirtlich gemacht, ihre Schleimhaut abgebaut, die Kontraktionstätigkeit der Muskulatur erhöht, der Gebärrriutterausgang erweicht und geöffnet. Allerdings reicht die Wirkung von des Mittels allein meist nicht aus, um das Kind auszustoßen. Dies gelingt nur in 50 bis 86 Prozent der Fälle.

Außerdem würden bei alleiniger Anwendung von RU 486 deutlich mehr Nebenwirkungen auftreten, als dies bei kombiniertem Einsatz mit einem Wehenmittel der Fall ist. Daher wird dieser Vorgangsweise der Vorzug gegeben.

Was geschieht aber, wenn es sich Frauen nach Einnahme von RU 486 anders überlegen und ihren Schritt bereuen? Auch hier ein uneinheitliches Bild der Studien. Jedenfalls berichtet eine Untersuchung von sehr schweren Mißbildungen (kein Magen, keine Gallenblase, kein Harntrakt, die unteren Gliedmaßen waren verschmolzen....). Daher muß unbedingt eine schädigende Wirkung von RU 486 angenommen werden. Von den Wehen verursachenden Prostaglandinen ist dieser Effekt übrigens schon lange bekannt.

Um dem Präparat das Odium zu nehmen, nur der Tötung zu dienen, wird fieberhaft und mit viel Aufwand versucht, andere (positive) Effekte von RU 486 zu entdecken. Bisher allerdings weitgehend ohne Erfolg.

Die derzeit vorliegenden, sehr kon-troversiellen Untersuchungen deuten nicht daraufhin, daß RU 486 geeignet sein könnte, routinemäßig an Patienten angewendet zu werden.

Für welche Verwendung liegen Ergebnisse vor? Was die Austreibung der toten Leibesfrucht anbelangt, bescheinigen Untersuchungen dem Mittel zwar eine Wirkung, allerdings nur im Vergleich zu Plazebo. Ob es wirksamer ist als die üblichen Behandlungsmethoden mit Prostaglandinen, wurde merkwürdigerweise nicht getestet.

Versuche mit Menschen - viele von der Herstellerfirma gesponsert - gab es weiters bei folgenden Erscheinungen: gutartige Tumoren, Brustkrebs, Prämenstruelles Syndrom, Eileiterschwangerschaften, Weheneinleitung. In keinem Fall gab es eindeutige positive Erfolge.

Auch die bisher angestellten Versuche an Tieren lassen nicht darauf schließen, daß RU 486 in absehbarer Zeit als Heilmittel eingesetzt werden könnte.

Viele Untersuchungen, die Andeutungen für positive Wirkungen enthalten, weisen außerdem Schönheitsfehler auf: Man kann sich nur schwer ein Bild von ihrer wahren Bedeutung machen. Häufig sind die Stichproben viel zu klein, um signifikante Aussagen zu ermöglichen.

Zusammenfassend läßt sich sagen: RU 486 ist ein wirksames, chemisches Tötungsmittel für ungeborene Kinder, dem heute keinerlei Heilwirkung zugeschrieben werden kann: eine Pervertierung der Medizin. Der Einsatz des Präparats stellt einen Massenversuch an gesunden Frauen dar. Was dabei wirklich geschieht, wird schönfärberisch im Stil von George Orwells, 1984” umschrieben.

Eine umfassende Dokumentation zu RU 486 findet man in Imabe-Quartalsschrift 1/93.

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