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Norm muß erfüllbar sein

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In einer nach-säkularisierten Welt voller Hoffnungen ist der Mensch eingeladen, mit vielen seiner schöpferischen Kräfte das Haus der Religion, seiner Religion, neu zu betrachten — im Blick auf die Menschheit und ihre vielen Religionen und in Anbetracht seiner eigenen jeweils historisch besonderen Kultur und Lebensgeschichte. Die kleinen Splitter von Forschung und Reflexion sind darin nur winzige Hilfsmittel — vielleicht nur Anlaß zu Konflikten („Gesprächen der Feinde" — Friedrich Heer — und der Freunde).

Mich ließ die Frage nicht ruhen, woher die Popularität des Papstes eigentlich komme. Ist sie Produkt einer weltweit (hierzulande besonders perfekt) geführten Medienregie, oder wie in der soziologischen Theorie von Max Weber als Möglichkeit konzipiert, Effekt einer „charismatischen" Führerschaft?

Die Untersuchung, bei deren Vorinterviews mir freundschaftlich geholfen wurde und zu deren Realisierung durch einen Umfrageteil Rudolf Bretschneider großzügig Befragungsplatz zur Verfügung stellte, legt eine dritte Variante nahe. Der Papst wurde in Österreich bewundert, weil er als „bescheidener und ruhiger Mann" die Menschen beeindruckte und als einer, „der überzeugt ist von dem, was er sagt".

Wieder zeigt sich, was die Kommunikationsforschung mehrfach lehrt, daß das sich wirksam mitteilt, woran jemand wirklich glaubt, vor allem, wenn Hörer und Seher sich noch zudem angesprochen und „angestrahlt" fühlen. Die in sich geschlossene Uberzeugung des Papstes, die er einfach und kompakt mitteilt, macht ihn populär, macht ihn zwar nicht zu' einem charismatischen Papst, wie Johannes XXIII. es war, aber zu einem populistischen.

Daß eine qualifizierte Minorität von etwa einem Viertel der Befragten (darunter auch Menschen, die ihn bewundern) dem Papst zuschreibt, mit der Religion „beinhart" auch Politik zu machen, verändert den Grundeindruck nicht wesentlich.

Die Bewunderung sackt allerdings sehr rasch ab, wenn die Menschen gefragt werden, ob der Papst auch Mittel und Wege zeige, wie die Forderungen, die er an die Menschen stelle, erfüllbar seien. Nur ein Achtel sagt, daß da Mittel und Wege gezeigt würden, über die Hälfte entschlägt sich der Antwort, was sonst bei keiner anderen Frage, auch bei den schwierigeren „theologischen" nicht, vorkommt.

Hier zeigt sich ein wichtiges soziologisch-theoretisches, aber auch ein pädagogisch-„pastora-les" Problem. Normen, die ohne Benennung von Wegen der Verwirklichung in psychosozialen Prozessen vorgetragen werden, dürften in Gesellschaften mit Wertvielfalt sich stark der Gefahr aussetzen, wirkungsschwach zu bleiben.

Natürlich ist etwa der Einwand möglich: War es Aufgabe des Papstes, auch über Realisierung etwas zu sagen? Darauf kann man antworten, daß zu jedem Moralverständnis unserer Welt wohl das Realisierungsproblem unablösbar dazugehört.

Das Bild, das sich bei der weiteren Entfaltung der Befragung ergab, ist ein differenziertes: die Menschen, die sich einem Papst zuwandten, der sich ihnen als „mitmenschlich" darstellte, verteilten Zustimmung und Ablehnung zu den von ihm vorgebrachten Normen und Forderungen in kompakter Verschiedenheit. Es beeindruckt gerade die Differenzierung, weil sie zeigt, daß nicht mechanisch abgelehnt, sondern daß mit Bewußtsein der Themen unterschieden wird.

Während dem Papst drei Viertel der Befragten in den Forderungen nach einer gewissen Festigkeit in der Erziehung der Kinder folgten (SPÖ- und ÖVP-Wäh-ler in großer Einmütigkeit) und zwei Drittel sich mit ihm über mehr Opferbereitschaft in materiellen Dingen einig waren (SPÖ-Wähler etwas weniger), sprachen sich fast 60 Prozent aller Befragten für Priesterehe und über drei Viertel der Befragten jeweils für volle voreheliche Sexualität und für die gesamte Palette der künstliehen Empfängnisregelung aus. Selbst ein Drittel derer, die sonntags regelmäßig zur Kirche gehen, wollen eine Schwangerschaftsun-terbrechnung nicht unbedingt ausschließen.

Das Kirchenvolk ist also kritisch geworden, die Kriterien der „Lebbarkeit", des (verantwortlichen) Handelns oder Handeln-Wollens, besonders in bezug auf die eigene Intimität, stehen deutlich da.

Eine Gesellschaft, in der die Obrigkeit in allem, auch über die engsten persönlichen Entscheidungen, das Sagen hat, wird auch von den Getreuen in der Kirche nicht mehr hingenommen.

So liegt auch in einer ganzen Reihe viel allgemeinerer Fragen über die Kirche ein kräftiger Hauch von Skepsis, wie die Kirche die Zukunft bewältigen bzw. bestehen werde. Große Zukunftschancen räumen der Kirche nur 25 Prozent (39 Prozent der Dom-enicantes) ein, daß sie sich „nur schwer behaupten können wird", meinen 54 (51) Prozent, daß sie „immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren wird", 19 (8) Prozent.

Der dritte Teil meiner Studie wendet sich dem Glaubensbedürfnis zu. Hier sind in dem noch unausgearbeiteten Teil der Studie viele Überraschungen zu finden: die Menschen suchen das Gebet; die Bereitschaft zu großen Uberzeugungen ist da. Aber weder die Beeindruckung durch den Papst noch auch diese Sehnsucht können die Menschen dieser Zeit darüber hinwegtäuschen, daß alles, was ihnen Glück und Hoffnung bringt, nicht so eindeutig durch Normen bedingt werden kann.

Die Menschen wollen — und soll man es ihnen im Namen der Propheten und der demütigen Heiligen vieler Jahrhunderte nicht auch zubilligen? — in Frage stellen, wenn sie Fragen stellen. Müssen sie das nicht sogar tun, wenn sie glauben wollen?

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Wien und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung.

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