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Normalisierung auf Sparflamme

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Die Tschechoslowakei ist für Österreicher heute ein vergessener Nachbar. Jedes Treffen auf höchster politischer Ebene endete noch mit einer „Normalisierung“ . Der Bevölkerung diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges brachten diese Begegnungen jedoch nur selten Erleichterungen.

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Die Tschechoslowakei ist für Österreicher heute ein vergessener Nachbar. Jedes Treffen auf höchster politischer Ebene endete noch mit einer „Normalisierung“ . Der Bevölkerung diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges brachten diese Begegnungen jedoch nur selten Erleichterungen.

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Das österreichische Reich konnte sich niemals darüber beschweren, daß es wenig Feinde gehabt hätte. Es wurden eher immer mehr. Das war auch in jenen Zeiten nicht anders, da in Böhmen die Unruhen ausbrachen, über die wir berichten.“

Dieser Text stammt nicht etwa aus einer alten Chronik, der die Verstimmungen zwischen Prag und Wien darstellt, sondern ist neueren Datums. Der Journalist Jiri Hochmann beschrieb damit vor etwa zwanzig Jahren die Vorgeschichte der Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes. Wien ist in dieser Chronik Moskau. Die Unruhen in Böhmen stellen die Vorgänge im Gefolge des „Prager Frühlings“ dar.

Jiri Hochmann greift in seiner „Böhmischen Chronik“ auf historische Feindbilder zurück — Leo- nid Breschnew beispielsweise tritt als Wiener Kardinal und Reichsregent Leopold auf — und gibt ihnen Leben durch die aktuelle politische Situation.

Bezeichnend ist allerdings, daß sich Hochmann eines historischen Modells bedienen konnte, das aussagekräftig und klar genug war, um die tiefe Ablehnung einer aufgezwungenen Herrschaft begreiflich zu machen.

Daß Österreich in dieser Chronik die Metapher für die Sowjetunion ist, drückt unausgesprochen auch die Änderung der tschechischen Einstellung zum südlichen Nachbarn aus. Und in der Tat, heute gilt Österreich in der Tschechoslowakei als goldenes Land im Westen. Nirgendwo sonst werden die Programme des österreichischen Rundfunks und Fernsehens — wo ihr Empfang möglich ist — so genau mitverfolgt wie in Böhmen, Mähren und in der Slowakei. Der starken Sympathie der tschechoslowakischen Bevölkerung gegenüber Österreich trägt die Politik aber kaum Rechnung.

Die seit dem ersten Besuch von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger 1979 in Prag und mit jeder weiteren Begegnung auf politischer Ebene beschworene Normalisierung findet nur auf Sparflamme statt. Der Schießbefehl für CSSR-Grenzsoldaten gilt noch immer (siehe Interview mit dem Chartisten Petr Uhl, FURCHE 7/1986).

Die Welten, die Wien und Prag heute trennen, trennen auch die Menschen beider Länder. In Österreich beginnt die Freiheit, das ist — wie Burgschauspieler und Charta-Mitglied Pavel Lan- dovsky gegenüber der FURCHE betonte — die Meinung vieler Tschechen und Slowaken. Allerdings wird diese Freiheit mit sozialistischen Augen gesehen, so als ob sich zum kommunistischen Versorgungsdenken jetzt ein Übermaß an persönlicher Freiheit und Freizügigkeit gesellte. Diese Ansicht — so Landovsky — hat nicht selten ein schweres

Schicksal vieler Exil-Tschechen im Westen zur Folge.

Auf österreichischer Seite wiederum begegnet man der Tschechoslowakei mit Angst: Lange, umständliche Grenzkontrollen machen eine Reise nach Prag oder Preßburg nicht gerade attraktiv. Daher beschränken sich Kontakte auf Mußbegegnungen — größtenteils beruflicher Natur.

Ein ehemaliger Angehöriger der österreichischen Botschaft in Prag beklagte gegenüber der FURCHE die äußerst geringen kulturellen Kontakte zwischen den beiden Nachbarländern. Ein Kulturaustausch dürfe sich nicht bloß auf gelegentliche Opernaufführungen der Prager in Wien und umgekehrt beschränken, österreichische Zeitungen und

Zeitschriften, deutschsprachige Literatur sind Mangelware an CSSR-Universitäten. Buchgeschenke aus dem Westen — so der ehemalige Botschaftsangehörige — werden an tschechoslowakischen Bibliotheken „mit Handkuß“ angenommen. Der Diplomat kritisiert auch einen gewissen Delegationsjournalismus, der nur zu offiziellen Anlässen den Weg ins Nachbarland findet. Die Zahl der in Prag akkreditierten Journalisten aus Österreich — die ein Dauervisum für ein halbes Jahr bekommen — beträgt derzeit sieben, darunter befinden sich drei ORF-Techniker.

In das gleiche Horn stößt auch der Leiter des — von der Deutschen und österreichischen Bischof skonferenz gegründeten —

Europäischen Hilfsfonds (EHF), Wilhelm Reitzer. Er betrachtet Österreich als Brückenkopf zur Zweiten Welt und leidet an den minimalen Kontakten zur CSSR. Selbst ein gebranntes Kind - Reitzer durfte 1979 das erste- und einzigemal in die CSSR reisen, hat seither auf Anfragen von der Prager Botschaft in Wien keine Antwort mehr erhalten —, appelliert der 70jährige Prälat an die österreichische Jugend, es der Mühen wegen nicht zu unterlassen, die CSSR und ihre Menschen sowie die Probleme des Landes, insbesondere jene der Kirchen, kennenzulernen. Die Kirchen — so Reitzer — leben in der CSSR im Würgegriff des Staates.

Reitzer nennt es einen Akt der christlichen Solidarität, sich von Österreich aus für die „verfolgten“ Glaubensbrüder in der CSSR einzusetzen. Der Kommunismus sei eine Realität, mit der man sich auch in den nächsten Jahrzehnten auseinander setzen müsse. Deswegen seien Kontakte zur Tschechoslowakei so wichtig

Im Gespräch der Kirchen beider Länder spielt die österreichische Katholische Presseagentur „kathpress“ eine außerordentliche Vermittlerrolle. Seit Jahrzehnten bemüht sich die Agentur, ohne einen Kalten Krieg zu führen (was nicht immer verstanden wird), Informationen über die bedrängten Kirchen — besonderes Augenmerk gilt der katholischen Kirche in der CSSR — zu sammeln und weiterzuleiten.

Nachrichten der „kathpress“ aus der CSSR finden auch in den Hörfunksendungen „Aktuelles aus der Christenheit“ und „Nachrichten aus der christlichen Welt“ ihren Niederschlag und dienen damit der Information der Christen in der CSSR.

Momentan deuten zwar alle Zeichen auf eine weitere Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Wien und Prag. Trotzdem bleibt noch enorm viel zu tun. Es muß allerdings getan werden - auf jeder Ebene.

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