6903046-1980_34_07.jpg
Digital In Arbeit

Norwegen sucht eigene Wege

19451960198020002020

Bei der jüngsten UNO-Sondersitzung über Palästina stimmte ein einziges europäisches Land mit den USA gegen die antiisraelische Nahost-Resolution: Norwegen. Beiden olympischen Spielen war Norwegen neben der Bundesrepublik Deutschland einziger größerer europäischer Staat, der sich Carters Boy kottWünschen anschloß. Hat sich Norwegen zum treuesten amerikanischen Satelliten in Europa entwickelt, der Washingten folgt, was immer im Weißen Haus beschlossen wird?

19451960198020002020

Bei der jüngsten UNO-Sondersitzung über Palästina stimmte ein einziges europäisches Land mit den USA gegen die antiisraelische Nahost-Resolution: Norwegen. Beiden olympischen Spielen war Norwegen neben der Bundesrepublik Deutschland einziger größerer europäischer Staat, der sich Carters Boy kottWünschen anschloß. Hat sich Norwegen zum treuesten amerikanischen Satelliten in Europa entwickelt, der Washingten folgt, was immer im Weißen Haus beschlossen wird?

Werbung
Werbung
Werbung

So einfach ist eine Deutung der norwegischen Außenpolitik nicht. Erst im Frühjahr hat die „Europa-Bewegung" in Oslo in einem Rapport den entgegengesetzten Schluß gezogen, daß nämlich Norwegen sich mehr und mehr von den USA entferne und seine Politik zur EG hin orientiere.

Anlaß für diese Überlegungen war das Tauziehen um mögliche Sanktionen gegen die Sowjetinvasion in Afghanistan, Sanktionen gegen den Iran im Anschluß an die Teheraner Geiselnahme und die Diskussion um die Modernisierung des Atomraketen-Arsenals der NATO in Europa.

In all diesen Fällen hat Norwegen durch äußerste Zurückhaltung die amerikanischen Verbündeten verärgert.

Bei Olympia und in der Nahost-Frage sind die Norweger nun wieder den USA gefolgt. Beim Nein zu den Moskauer Spielen war es allerdings nicht die Regierung, die diesen Kurs 'festlegte. Die norwegische Entscheidung lief umgekehrt als in den übrigen Boykott-Ländern: Die Regierung verhielt sich neutral und überließ die Stellungnahme den Sportverbänden. - Und die oberste Sportbehörde stimmte gegen Moskau.

Vielleicht kann man das als symptomatisch ansehen: In Norwegen wird die Außenpolitik noch von einem natürlichen Empfinden der Bevölkerung getragen, für richtig oder falsch befunden, nicht primär von Rücksichten auf politische oder wirtschaftliche Vorteile.

Daher die Brüskierung der Moskauer Olympia-Gastgeber, obwohl Norwegen als Nachbarstaat zur Sowjetunion an besten Beziehungen zur UdSSR interessiert ist. Daher auch das Eintreten für Israel vor den Vereinten Nationen, ungeachtet der Reaktionen aus der arabischen Welt.

Diese Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Handelsminister Reiulf Steen, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der dieser Tage hätte Saudiarabien besuchen sollen wurde recht brüsk wieder ausgeladen

Nun kann Norwegen sich den Zorn der arabischen ölländer eher leisten als alle anderen europäischen Staaten, ist man doch dank der ölfunde in der Nordsee nicht nur von Importen unabhängig, sondern sogar selbst Öl-Exporteur. Aber auch so hat Norwegen nicht unerhebliche Wirtschaftsinteressen in den arabischen Ländern.

Reiulf Steen hätte in Riad einen Transportvertrag aushandeln sollen, dessen Wert die norwegische Schiffsreeder mit drei bis vier Milliarden Kronenjährlich beziffern. Aber die traditionell Israel-freundliche Haltung Norwegens hat sich bisher durch wirtschaftliche Argumente nicht anfechten lassen.

Wenn dennoch in den letzten Monaten eine gewisse Einstellungsänderung in der norwegischen Nahost-Haltung zu verspüren war, dann muß Oslo über den Verdacht erhaben bleiben, dies habe mit Öl-Interessen zu tun. Ausschlaggebend ist vielmehr Israels Zusammenarbeit mit den Rechts-Falangi-sten im Südlibanon.

Denn norwegische Soldaten stellen ein beachtliches Kontingent der UNO-

Blauhelme im Libanon und zählen immer wieder zu den Opfern, wenn die Milizen Haddads die UNO-Lager unter Beschuß nehmen.

Noch ist Norwegen nicht bereit, daraus Konsequenzen für die eigene Nahost-Politik zu ziehen. Das hat die Palästina-Abstimmung in New York bewiesen. Das zeigt auch die Erklärung Außenminister Frydenlunds, PLO-Führer Yassir Arafat sei in Oslo erst willkommen, wenn die norwegische Regierung sich überzeugt fühle, daß seine Organisation sich für eine friedliche Verhandlungslösung im Nahen Osten einsetze.

Das Recht Israels auf Existenz und sichere Grenzen ist für Norwegen Grundpfeiler einer Nahost-Lösung. Daß dieses Recht in der Palästina-Resolution der Vereinten Nationen nicht ausdrücklich festgehalten war, zwang Norwegen zur Nein-Stimme, erklärte Frydenlund nach der UNO-Sondersit-zung die norwegische Stimmabgabe.

Aber die israelische Siedlungspolitik, die „ewige" Annektierung Gesamtjerusalems und die Unterstützung der Haddad-Truppen machen den Freunden Israels die Sache allerdings schwer, sagte kürzlich Zentrums-Vorsitzender Johan Jakobsen stellvertretend für viele Norweger in der außenpolitischen Debatte des Storfing.

Wichtigstes Element der norwegischen Außenpolitik aber ist naturgemäß nicht der Nahe Osten, sondern die Beziehung zum Nachbarn Sowjetunion. Zwar ist die gemeinsame Grenze im hohen Norden nur 196 Kilometer lang, aber an der Nordflanke der NATO und an der Ausfahrt der Sowjetflotte in den Atlantik plaziert, liegt Norwegen in einem Gebiet, in dem die Sicherheitsinteressen von Ost und West aufeinanderprallen.

In den letzten Jahren ist Norwegen wiederholt beschuldigt worden, eine Außenpolitik ä la Helsinki anzustreben und sowjetische Interpretationen zu eigenen zu machen, um den Nachbarn im Osten nicht zu reizen. Die Sowjetinvasion in Afghanistan hat das geändert. Norwegen hat sie unmißverständlich verurteilt.

Zwar hält Oslo Sanktionen nicht für die richtige Antwort darauf. Zwar will man natürlich, daß der politische Alltag weitergeht, weshalb auch Außenminister Frydenlund im September nach Moskau reisen wird. Aber daran, daß Norwegen sich als fester Bestandteil des westlichen Verteidigungsbündnisses fühlt, gibt es heute keinen berechtigten Zweifel mehr. Trotz geballter UdSSR-Proteste gegen Norwegens NATO-Politik.

Es ist wie bei Olympia: Selbst wenn die Politiker geneigt wären, unter Druck weich zu werden und Rücksichtnahme höher zu werten als Rückgrat -die norwegische Bevölkerung hält sie fest: 80 Prozent der Norweger meinen, daß ihr Land in der NATO sicherer ist als ohne sie. 87 Prozent glauben, daß es richtig war, auf die sowjetische Intervention in Afghanistan scharf zu reagieren.

Im benachbarten Dänemark seufzte Oberrabbiner Bent Melchior nach der Palästina-Abstimmung der Vereinten Nationen: „Man könnte sich wieder einmal wünschen, Norweger zu sein.".

„Schnall den Gürtel enger, Genosse!" Karikatur: Candea/Rheinische Post

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung