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Nostalgie auf den Tito-Inseln

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Dobro dösli — Willkommen auf Brioni! In sechs Sprachen grüßt das funkelnagelneue Schild am Kai von Fazana, knapp 15 Minuten Autofahrt von der istrischen Hafenstadt Pola entfernt. Hier legen die Verkehrsboote ab, die den Besucher zum „Nationalpark und Titogedächtnisland Brioni" übersetzen.

Hier hatte die Bannmeile der Inselgruppe Brioni begonnen, wo der vor vier Jahren verstorbene jugoslawische Staats- und Parteichef Josip Broz Tito seine Sommerresidenzen hatte. Die Wachstube am Kai von Fazana, an der es früher kein Vorbeikommen ohne Sondererlaubnis des „Mar-schallates" gab (so wurde das Protokoll Marschall Titos von Insidern genannt), existiert noch. Auch eine Kontrolle der Personalausweise oder von Besucherlisten erfolgt hier weiterhin.

Aus rüden, schnauzbärtigen Polizisten ist so etwas wie eine Touristenpolizei geworden. Die Umstellung dürfte ihnen gar nicht so leicht gefallen sein—und noch viel weniger den ehemaligen Gardeoffizieren, Verwaltungsbeamten, ja selbst Jägern, Gärtnern und Stubenmädchen, die am Hofe Titos ein privilegiertes Dasein geführt haben.

Gekrönte Häupter, Staatschefs und die „princeps" klassenloser Gesellschaften mit ihren First-Ladies waren für sie sozusagen alltägliche Erscheinungen. Sie müssen sich nun um Horden neugieriger Touristen bemühen, die die Erhaltung Brionis finanzieren sollen, was den Staat bisher über 20 Millionen Schilling jährlich gekostet haben dürfte.

Kein Wunder, daß die Öffnung des Archipels von Brioni für die

Öffentlichkeit so lange auf sich warten ließ und die Vorbereitungen hiefür so schleppend vor sich gegangen sind. Noch im November letzten Jahres drohte die Besichtigung der Tito-Inseln durch eigens geladene ausländische Journalisten am Widerstand eines anonymen Militärkommandanten zu scheitern. Erst das Machtwort des stellvertretenden Ministerpräsidenten Zvone Dra-gan wies den „Apparat" in die Schranken und gab den Zugang zur steng abgeschirmten Insel Vanga frei, dem letzten privaten Refugium Titos.

In Gänsereihe durften die geladenen Journalisten (wie es heißt in Kürze auch Besuchergruppen bis zu 20 Personen) auf schmalen asphaltierten Pfaden zwischen Mandarinenbäumen, Weinstök-ken, exotischen Pflanzen und leeren Papageienkäfigen zum Bungalow Titos vordringen.

In der Nähe des Bungalow gibt es einen Weinkeller, wo nach Titos Anweisungen ein leichter Wein gekeltert wurde, den er auf Reisen und zu den Gipfeltreffen der blockfreien Staatschefs mitgenommen hat. Beim Ablegen des Motorbootes von der Mole ist am Kiesstrand eine verlassene Grillstelle und ein Badehaus zu sehen, hinter dem ein Posten mit Stahlhelm und aufgepflanztem Bajonett Wache schiebt. Auch die größte Insel des Archipels, Brioni, steht noch unter militärischem Schutz.

Nur die U-Bootsnetze zwischen den Inseln und die vormals uner-mündlich herumflitzenden Pa-troullienboote der jugoslawischen Kriegsmarine sind nicht mehr zu sehen. Die beiden Jachten Titos, „Podgorka" und „Brionka", umgebaute Schnellboote, dümpeln an der Mole im Hafenbecken von Brioni, nahe der Hotel-Gästehäuser .Jiarmen" und .Jstra". Sie sollen auch weiterlun nur ausgesuchten Funktionären zu Erholungszwecken zur Verfügung stehen. Im großen Saal des Hotel „Istra" hatte Präsident Tito 1966 im Schutze der ihm ergebenen Armee seinen zweiten Mann, Geheimdienstchef Alexander Ran-kovic, vor dem eingeflogenen Zentralkomitee entmachtet.

Am breiten, steinernen Kai pflegte Tito im weißen Anzug oder Marschalluniform seine hohen Gäste mit großem Zeremoniell zu erwarten.

Im zoologischen Garten hielt Tito die lebendigen Geschenke seiner blockfreien Freunde: Löwen, Tiger, Pumas, Elefanten und andere exotische Tiere. Das alles sollen Touristengruppen für 1.000 Dinar Eintrittsgebühr — so die Belgrader „Politika", während organisierter Besichtigungen zu sehen bekommen.

In dem vorbildlich restaurierten romanischen Kirchlein hatte der k. u. k. Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand 1900 heimlich seine böhmische Gräfin Sofie Chotek geheiratet. Die Kirche soll auf Wunsch von Gästen Titos, Kaiser Haille Selassie von Äthiopien und Erzbischof Makarios von Zypern, wieder geweiht worden sein.

Der Volksmund munkelt, daß die Gattin Titos, Jovanka Broz, hier insgeheim von einem Popen der serbisch-orthodoxen Kirche betreut worden war. Die Insel scheint nicht nur ideal für eine üppig wuchernde Fauna, auch für Legenden.

Nach einer turbulenten Geschichte, in welcher die Insel Römer, Langobarden, Byzantiner, slawische Fürsten und Venezianer als Herren sah, ging sie mit dem Wiener Kongreß 1815 an Österreich. Anfang 1893 kaufte sie der Wiener Industrielle Kuppel-wieser, der deutsche Bakteriologe Robert Koch befreite Brioni von der Malaria. Daran erinnern sogar Gedenktafeln.

Sie fehlen an den von Paul Kup-pelwieser erbauten Villen im Stile der belle epoque, die schon die Habsburger zu schätzen wußten und heute noch immer als Gästehäuser der jugoslawischen Regierung dienen. Nüchterne k. u. k. Bauten beherbergen zur Zeit noch immer Einheiten der Garde Titos, die mit ihm 1947 auf die Insel zogen, aus der er ein legendenumwo-benes Traumland des sozialistischen Jugoslawien zu machen wußte. Das dankbare Volk hatte sie seinem Marschall als persönliches Geschenk übereignet.

Heute noch sind nahezu 200 Angestellte mit der Pflege der Insel vollauf beschäftigt, und das kostet viel Geld. Angesichts der leeren Staatskassen bieten sich im Zeitalter des Tourismus die Inseln als Fremdenverkehrsattraktion ersten Ranges geradezu an.

Trotz einem vorgesehenen, strengen Besucherregime und genau vorgeschriebenen Besichtigungsrouten, während derer nicht von den Wegen abgewichen werden darf, liegen bei jugoslawischen Reisebüros bereits Anfragen aus aller Welt vor. Bei Einbruch der Dämmerung müssen die Besucher die fünf Kilometer lange und drei Kilometer breite Insel Brioni wieder verlassen. Ab dann gehört die Inselgruppe wieder den Soldaten. Wachen im Kampfanzug ziehen auf Brioni auf, wie zu Zeiten Titos...

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