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Not seit Jahren

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Libanon war seit Jahren Beute der PLO und der Syrer. 213 Panzerfahrzeuge, 23.911 Handfeuerwaffen, 814 Panzerabwehrwaffen, 110 Raketenabschußgerä-te, 7.071 Katjuscha-Raketen, 13.141 Minen, 19.050 Handgranaten hat Israel bis 11. Juli erbeutet. Aber ist Israel Weltpolizist? (Die-, sem Erlebnisbericht folgt eine Analyse.)

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Libanon war seit Jahren Beute der PLO und der Syrer. 213 Panzerfahrzeuge, 23.911 Handfeuerwaffen, 814 Panzerabwehrwaffen, 110 Raketenabschußgerä-te, 7.071 Katjuscha-Raketen, 13.141 Minen, 19.050 Handgranaten hat Israel bis 11. Juli erbeutet. Aber ist Israel Weltpolizist? (Die-, sem Erlebnisbericht folgt eine Analyse.)

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„Ich erkläre die Fahrt nach Libanon auf eigene Gefahr...”

Israelisches Leitzentrum für Journalistenreisen nach Beirut im Kibbutz Gesher Haziv. Der Begleitoffizier steckt das unterschriebene Formular in die Tasche. Triumph eines sinnlosen Bürokratismus: Wenn das Auto auf eine Mine fährt, fliegt auch das Formular in die Luft...

Fünf Minuten später die Grenze vom Libanon: Israelische Soldaten fertigen zügig ab, Libanons Zöllner sitzen daumendrehend daneben.

Rasch sind die paar Kilometer des „Freien Libanon” durchfahren, den Major Saad Haddad vor einigen Jahren mit Israels Hilfe ausgerufen hat. Man fährt an mehreren Lagern der UN-Einheiten (UNIFIL) vorüber: wie vor einem Monat die Panzer Israels, die sich den UNIFIL-Kommandan-ten eine Stunde vorher angekündigt hatten.

Seither beschränken die UN-Soldaten in ihren Schilderhäuschen (muß man jetzt Schiida-Häuschen schreiben?) sich aufs Zählen vorbeifahrender Fahrzeuge.

Das ist viel Arbeit. Der Verkehr ist rege: israelische Armeefahrzeuge, israelische Bulldozer (überall werden die Straßen ausgebessert, als ob man sie länger benutzen möchte) und libanesische Autos — mehr Mercedes, als man irgendwo in der Welt zu sehen bekommen dürfte.

Manche haben noch ein „D” oder ein „F” montiert. „Lauter Schmuggelwagen,” sagt unser Fahrer. „Das ganze Land hat seit Jahren nur noch vom Schmuggel gelebt: Drogen, Autos, Devi-sen...

Die erste Stadt ist Tyrus. Hier hat Zeus dereinst Europa entführt und König Salomon Zedernholz für den Tempelbau in Jerusalem besorgen lassen. Im sechsten Jahrhundert vor Christus hat Ne-bukadnezar die Stadt 13 Jahre lang vergeblich belagert.

Den Israelis trotzten ihre PLO-Beherrscher nur einige Stunden lang. Besonders im Hafengebiet sind die Zerstörungen arg. Aber das Leben geht selbst in den Ruinen weiter: Kaffeehausbetrieb im Parterre, gähnende Verwüstung im Obergeschoß. Oder umgekehrt.

„Beachten Sie, wie die Einheimischen bereits den Kreisverkehr ernst nehmen”, sagt der Hauptmann der Reserve David Friedländer. „Sieben Jahre lang gab es hier kein Gesetz außer dem Gesetz der Gewehre.”

Tatsache ist, daß die PLO zusammen mit der.syrischen Armee das Gebiet südlich von Beirut bis zum Mini-Pufferstaat des Majors Haddad kontrollierte, ohne daß dies die Welt ernsthaft bekümmert hätte.

Dann die Stadt Sidon. Selbst Homer rühmte den purpurroten Farbstoff, mit dem im Altertum die berühmten Stoffe aus Sidon gefärbt waren. Die Gegenwartsgeschichte Sidons wurde mit purpurrotem Blut geschrieben.

Laut offiziellen israelischen Angaben fanden bei den Kämpfen um Tyrus 56 Zivilisten den Tod, in Sidon 265, dazu gab es rund hundert bzw. tausend Verwundete.

Keine Frage: Das sind 56 und 265 zuviel! Aber Faktum ist ebenso: Es kann keine Rede davon sein, daß diese Städte „dem Erdboden gleichgemacht” wurden, wie man da und dort lesen konnte.

Uberall sind Aufbauarbeiten im Gang. Kinder spielen zwischen den Ruinen, der Geschäftsbetrieb geht weiter. Schon stehen die ersten Tafeln („Erfrischungen”) in Hebräisch am Straßenrand: Die Libanesen sind gute Händler.

Es fällt auf, daß selbst in stark zerstörten Stadtvierteln nicht alle Häuser beschädigt sind. Zufall? Die Israelis verneinen: Man habe genau gewußt, wo PLO-Leute waren, und sich diese herausgesucht. Deren Gemeinheit habe nicht zuletzt darin bestanden, sich mitten in Wohn- und Geschäftsgegenden eingenistet zu haben.

Für gezielte Zerstörung spricht, daß überall Kirchen und Moscheen unversehrt geblieben sind. Die große Ausnahme ist Damour, 18 km südlich von Beirut, wo kaum ein Stein auf dem andern blieb. Dutzende Einschüsse in allen Häusern, Kirche und Pfarrhof zerbombt.ein ausgebranntes Auto im Kirchenraum, dessen Altarwand der PLO als Schießstand diente.

„Hier hatte die PLO ihr logisti-sches Zentrum eingerichtet”, sagt unser Captain. „Vorher haben sie die Hälfte der Einwohner umgelegt, die anderen flohen.”

Dann die Einfahrt in den südlichen Stadtrand von Beirut: Man passiert ein Lagerhaus, vor dem Hunderte Bidets gestapelt sind: absurdes Zeugnis einer Zivilisation, die längst zur Lüge geworden ist.

Auf einer Anhöhe im Ostbeiru-ter Stadtteil Ba'abda ist das Pressezentrum der Israelis eingerichtet. Man zeigt auf die PLO-Fe-stungen im Wohngebiet von Westbeirut, die gestrandeten Flugzeuge und das große Flüchtlingslager Burj-el-Barajueh. Das Granatwerfergrollen klingt relativ fern.

Dann besuchen wir das Hauptquartier der christlichen Milizen, die sich „Libanesische (Widerstands-) Streitkräfte” nennen und seit Jahren PLO wie Syrer bekämpfen. Sie regieren jetzt inoffiziell das überwiegend von Christen bewohnte Ostbeirut.

Israel soll es tun

Zeugnis einer absurden Bürokratie auch hier: Von jedem Journalisten werden vier Fotos gemacht. Die rassige Milizsoldatin verspricht mit kokettem Augenaufschlag, diese nicht in die Hände der PLO gelangen zu lassen.

Der Fotograf war rasch zur Stelle, der Milizenführer Beschir Dschemajel („Scheich Beschir”), auf den viele als neuen Staatspräsidenten setzen, nicht.

Ein Sprecher des „Departments für auswärtige Beziehungen” (das „Außenamt” der Christen-müiz) verbreitet Gemeinplätze. Der FURCHE-Frage, ob Lebensund Arzneimitteltransporte von West- nach Ostbeirut eingelassen werden, weicht er aus: „Die Westbeiruter haben genug Zeit gehabt, den Stadtteil zu verlassen.” (Ähnlich unverbindlich drei Tage später der israelische Sanitätsbrigadier Erlan Dolev in Tel Aviv: Wir kooperieren mit Rotkreuz und UNIFIL.”)

Würden sich die „Libanesischen Streitkräfte” (nicht zu verwechseln mit der regulären Libanon-Armee, die sich aus den Kämpfen bisher herausgehalten hat) an einer Erstürmung von Westbeirut beteiligen? „Das ist nicht unsere Sache.”

Man merkt deutlich: Sie wären daran womöglich noch mehr interessiert als die Israelis. Aber sie ließen diese gern das Schmutzgeschäft besorgen.

Später speisen wir in „Le Man gege”, einem idyllischen Nobelrestaurant im Grünen. Ein Ostbei-ruter Möbelhändler preist die Großtaten Israels. Seine blonde Begleiterin klagt, daß,.keine Zeitung darüber geschrieben hat, daß vor einem Jahr wir im Keller saßen und die Syrer uns mit Granaten eindeckten”.

Jetzt decken die Granaten West- und Ostbeirut ein. Bei der folgenden Stadtrundfahrt wird 100 m vor uns ein Haus getroffen. Im Beobachtungszentrum von Ba'abda erfahren wir bei unserem zweiten Besuch, daß dort eben vier israelische Soldaten verwundet worden seien. Es kracht immer öfter und näher. „Nehmen wir den Umweg über die Berge?” Ich bin kein Held und für die Berge.

Laut offiziellen libanesischen Angaben sind bis 10. Juli 2683 Menschen in Beirut tödlich getroffen worden.

Am nächsten Tag durchkreuzen wir den ländlichen Südlibanon und erklimmen die alte Kreuzfahrerfeste Beaufort, die die PLO ,zu einem schwerbewaffneten Adlernest ausgebaut hatte.

Von hier konnten mehrere israelische und „freie” libanesische

Dörfer mit russischen Katjuscha-Raketen beschossen werden. Flugzeugattacken konnten der Festung nichts anhaben. Sie wurde opferreich (acht Tote bei den Israelis, rund 60 bei der PLO) gestürmt.

Intellektuelle Sackgassen

Im nahen Drusendorf Hasbaya erzählt der stellvertretende israelische Ortskommandant von Landnahme, Einbrüchen, Vergewaltigungen durch die PLO-Sol-dateska. Dann reden wir (mit Dolmetscherhilfe) mit der Ortsbevölkerung. An Vergewaltigungen kann sich keiner erinnern. An andere Untaten auch nicht. „Hier nicht.” Anderswo vielleicht...

Die Drusen haben schon zuviele Herrscher erlebt, als daß sie sich die Zunge verbrennen wollten. Daß die israelischen Soldaten ihre Einkäufe in den Läden bezahlen, erstaunt sie dennoch sichtlich. Die Syrer kamen, nahmen und gingen.

Daß die meisten Libanesen froh wären, würden sie die PLO-Willkürherren und die Syrer los, ist ziemlich klar. Ob Israel dazu da ist, Weltpolizist zu spielen, wird auch in Israel, vor allem in Intellektuellenkreisen, heftig diskutiert.

Bedrückendes Ergebnis solcher Diskussion: Sie führen in lauter intellektuelle Sackgassen. Keiner weiß, wie es konkret weitergehen könnte. Kein Wunder, daß sich bei der Masse der Bevölkerung jene Politik durchsetzt, die Fakten schafft. Also Begin.

Ein Faktum ist auch, daß man in ganz Libanon unter den Augen israelischer Offiziere fotografieren darf, einem dann aber ohne Vorwarnung am Flugplatz von Tel Aviv von der Militärzensur alle Filme abgenommen werden.

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