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Notabeln und Barone

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Wie die ÖVP oder die CDU, identifizierte sich auch die gaullistische Sammelpartei zeitweise mit dem Staat. Sie kann es sich kaum vorstellen, nicht mehr an der Regierung zu sitzen und die Leitung der Republik abtreten zu müssen. Die 1947 von de Gaulle persönlich gegründete Bewegung RPF war im Stil einer Massenpartei aufgebaut. Die UDR kann dieses Charakteristikum nicht mehr beanspruchen. In ihren politischen Linien wurde die Partei im wesentlichen vom Ministerpräsidenten auf Grund von Anweisungen aus dem Elysee-Palast ausgerichtet. Ihr relativ kleines Generalsekretariat ist nicht zu vergleichen mit dem mächtigen Apparat von George Marchais. Und die Vermischung von Partei-und Staatsinteressen verursachte gerade in den letzten zwei Jahren peinliche Pannen und nicht wenige Skandale.

Durch den von ihr gestellten Informations-Staatssekretär glaubt die UDR, das Massenmedium Fernsehen zu beherrschen. Und doch war es ihr nicht möglich, ein allgemein gültiges Image am Morgen eines harten Wahlkampfs bieten zu können. Trotz etlicher Säuberungen im staatlichen ORTF sind die verantwortlichen Journalisten wenig geneigt, die Thesen der Staatspartei bedingungslos zu vertreten.

Zwar gibt die UDR die Tageszeitung „La Nation“ heraus. Diese übersteigt aber kaum eine Auflage von 30.000 und erleidet damit das Schicksal aller französischen Parteiblätter. Denn selbst das Zentral -organ der KPF, „l'Humanite“, hat mit finanziellen und vertrieblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mit den Ausführungen und Artikeln der „Nation“ wird der politisch interessierte Leser nur durch in „Figaro“ und „Le Monde“ erscheinende Zitate vertraut. Mit den ausländischen Parteien und dör internationalen Presse vernachlässigte die UDR den Kontakt vollkommen. Die gaullistische Sammelpartei ist der Auffassung, im westlichen Europa könnten jeweils die Parteien mit Regierungsverantwortung als Bruderparteien gelten, Im europäischen Parlament bildet die gaullistische Partei eine eigene, sich gelegentlich den Liberalen nähernde Fraktion. Mit den englischen Konservativen wurde ein Versuchsballon in Form einer „Einheitlichen Front“ gestartet. Wann und bei welcher Gelegenheit die französischen Gaullisten und die englischen Konservativen eine Vernunftehe eingehen werden, ist allerdings noch nicht abzusehen.

Während die Linksparteien die Bedeutung der ausländischen Korrespondenten hoch einschätzen, erkannte die UDR erst zu Jahresbeginn, daß sie keine Politik auf einem friedlichen Eiland betreiben dürfe. So wurde als Auftakt des Wahlkampfs eine nationale Tagung der UDR mit großem Aufwand im Städtchen Provins inszeniert. Einige sorgsam ausgewählte Journalisten durften die Barone und Notablen des Gaullismus aus der Nähe betrachten und den Pulsschlag der Partei fühlen. Die militärische Vergangenheit des Gaullismus ließ sich in diesem, nahe der Marne gelegenen Ort (von dort aus ging die entscheidende französische Offensive, die das „Wunder der Marne-Schlacht“ erzielte), entsprechend würdigen.

Beim Anblick der 1500 Delegierten fielen sofort zwei Dinge auf: • Die Partei räumt dem weiblichen Element einen äußerst geringen Platz ein. Auf der reich dekorierten Tribüne saß nur die einstige christliche Demokratin und Staatssekretärin im Sozialministerium, Made-moiselle Dienesch.

• Der UDR fehlt es, wie allen Parteien, an politischem Nachwuchs. Eine Jugendorganisation existiert wohl, sie wurde aber bei der Aufstellung der jüngsten Kandidatenliste kaum berücksichtigt.

Wie jede konservative oder christlich-demokratische Partei, glaubt auch die UDR, sich von der Jugend distanzieren zu müssen. Dies ist eine gefährliche und in der Zukunft die Substanz der Partei bedrohende Entwicklung. Dagegen zeigten sich die alten Kämpfer des Gaullismus: ein Couve der Murville, ein Debre, ein Sanguinetti, ein Chaban-Delmas. Alle hatten sie den General auf seiner ruhmreichen Epopöe begleitet. Diese Männer erwiesen der Partei und dem Staat große Dienste, ihre Vorstellungen stammen jedoch aus der Epoche des Widerstands und der Errichtung des Regimes. Instinktiv ist sich die Parteileitung auf alle Fälle bewußt, daß 1973 andere soziologische Kräfte zu berücksichtigen sind, als zu Zeiten von Vichy, der IV. Republik und des Höhepunkts der gaullistischen Herrschaft.

Aber nach wie vor gleicht die Partei — und damit kann sie ihre Gründungstendenzen nicht verleugnen — einer Pyramide. Die Spitze im Staatspräsidenten personifiziert gibt ihren Willen und ;hre Wünsche“ nach unten weiter.

Eigentlich baute der Gaullismus nie eine homogene Ideologie auf. Das wurde auch weder gesucht, noch gefördert. Der Gaullismus will „anti-kommunistisch“ und „antikapitalistisch“ sein: er begnügt sich mit der Ausarbeitung pragmatischer Lehrsätze, die als Regierungsprogramm der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Und in den Enuntiationen von Mess-mer und Peyrefitte gibt es keine Hinweise auf eine neue Gesellschaft. Der einzige, der einen Schritt weiter wagte, nämlich Chaban-Delmas, schuf sich wenig Freunde in seinen eigenen Reihen und mußte vorläufig resignieren. Aber mit dem ersten Ministerpräsidenten (in der Amtszeit von Pompidou) ist weiterhin zu rechnen.

In früheren Jahren gelangen General de Gaulle tiefe Einbrüche in die Wählermassen der Kommunisten. Damals besaß die RPF einen nicht zu unterschätzenden Arbeitnehmer-Flügel und konnte sich seiner Mitarbeit erfreuen. Aber dieser Anhang ging der Sammelpartei inzwischen teilweise verloren. In ihr treffen einander nun die Vertreter eines mittleren und höheren Bürgertums, das noch immer die tragende Schicht des Staats darstellt. Auf allen Ebenen sind heute starke antikommunistische Reaktionen zu spüren. Aber die geistige Auseinandersetzung mit dem Marxismus erreicht nie die tieferen Gründe einer geistigen, philosophischen oder politischen Überlegung.

In Provins glückte immerhin — bis auf weiteres — die Uberwindung der sich stark abzeichnenden fraktionellen Bildungen, welche die Einheit der Partei seit Monaten bedrohten. Behalten wir die militärische Terminologie bei, so handelt es sich bei Wahlkampfbeginn um eine Art von Generalmobilmachung, wobei die Entscheidung des auf gesellschaftspolitischer Front auszutragenden Feldzugs noch offensteht.

Es bestätigt sich jedenfalls auch in Frankreich: die konservativen westeuropäischen Parteien müßten wieder einen echten geistigen Standort finden, um glaubwürdig zu sein — um die Tendenzen einer stürmischen Entwicklung in evolutionäre Bahnen zu lenken.

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