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Notfalls mit den Sowjets

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Im Mai 1980 starb Jugoslawiens Staats- und Parteichef Josip Broz Tito. Sechs Jahre danach ist sein Werk durch nationalistische Tendenzen und Egoismen gefährdet.

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Im Mai 1980 starb Jugoslawiens Staats- und Parteichef Josip Broz Tito. Sechs Jahre danach ist sein Werk durch nationalistische Tendenzen und Egoismen gefährdet.

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Serbien, Jugoslawiens größte Teilrepublik, fühlt sich in ihrem Bestand bedroht. Die Abwanderung von Serben und Montenegrinern aus der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo wird in Belgrad als besonders schmerzlich empfunden. Vor kurzem hatten über 1000 Kosovo-Serben in Belgrad gegen die Vernachlässigung ihrer Schutzforderungen durch die Bundesregierung demonstriert.

Das Regime beteuert dagegen, die „sicherheitspolitische Lage“ in Kosovo sei stabil. Dasselbe wurde übrigens von den blutigen Unruhen von 1981 behauptet. Tatsache ist, daß die Zusammenstoße zwischen der serbischen und albanischen Volksgruppe in Kosovo täglich zunehmen. Bereits 1982 wandten sich die Kosovo-Serben zum ersten Mal mit einem Hilfegesuch an die Belgrader Regierung. Jetzt erklären extreme nationalistische Gruppen, sie seien notfalls bereit, mit einem „Hilfegesuch“ an die Sowjets heranzutreten, wenn Belgrad nicht „energische Maßnahmen“ zur Bekämpfung des „albanischen Irre-dentismus“ ergreife.

Oft sind ähnliche Anspielungen unter den Historikern und freien Publizisten zu hören. Gerade in der Publizistik und in der Kultur macht sich in Serbien derzeit eine Nationalbewegung bemerkbar, die stark an die kroatische Nationalbewegung von 1971 erinnert.

Der Grundtenor: Man muß Verbindungen über die ideologischen Grenzen hinweg knüpfen, da Serbien in der Kosovo-Frage von anderen Teilrepubliken im Stich gelassen wurde. In zahlreichen Büchern und Zeitungsaufsätzen werden sogar die monarchistischen Tschetniks als „antifaschistische Volksbewegung“ gefeiert, die Partisanen Titos dagegen als „antiserbisch“ eingestuft. Doch während sich die serbische KP teilweise mit den Forderungen der Nationalisten identifiziert und somit die Zügel in der Hand behält, besitzt das Regime in Zagreb ein eher gestörtes Verhältnis zum Kroatentum.

Um das Vertrauensdefizit in der Bevölkerung zu überspielen, bläst man hier unentwegt zum Großangriff gegen das „Gespenst Nationalismus“ (Vjesnik). Im Zuge dieser Einschüchterungskampagne kommt auch die. katholische Kirche zum Handkuß.

Bei jeder Gelegenheit wird offen behauptet, sie sei die „treibende Kraft“ hinter dem kroatischen Nationalismus. Als der ehemalige Ustaäa-Innenminister vor dem Zagreber Kreisgericht erklärte, er habe ein „herzliches Verhältnis“ zum Kardinal Stepinac unterhalten, meldeten die Parteizeitungen sofort, Stepinac sei am Ustasa-Regime „maßgeblich beteiligt“ gewesen.

Dabei unterliegt die Partei in der kroatischen Kirchenfrage einem grundlegenden Irrtum. Kroatiens Kirche ist keineswegs nationalistisch. Im 19. Jahrhundert stand sie sogar an der Spitze des Kampfes für den Einheitsstaat aller Südslawen (Bischof Josip Strossmayer).

Als sich um die Jahrhundertwende der Liberalismus mit seiner antiklerikalen Propaganda in Kroatien ausbreitete, wurde in einigen Kirchenkreisen die „rettende Formel“ erfunden, wonach der Katholizismus mehr der Tradition des kroatischen Volkes entspreche.

Die Formel, wonach der Glaube mit der Volkszugehörigkeit identisch sei, ist heute noch höchstens unter den bosnischen Kroaten als Relikt aus der türkisch-orientalischen Zeit präsent. In der vom Materialismus und Liberalismus geprägten Großstadt Zagreb ist sie kaum zu finden, in Jugoslawiens nördlichster Teilrepublik Slowenien ist sie sogar gänzlich unbekannt.

In Slowenien macht derzeit das Stichwort „defensiver Nationalismus“ die Runde. Daß es sich dabei nicht um leere Phrasen, sondern um einen modernen Nationalismus handelt, wird einem nach der Lektüre der Laibacher Polit-Zeitschrift „Problemi“ bewußt.

In der März-Nummer der Zeitung fordert nämlich der ehemalige Jugendführer Nanez Jansa die Aufstellung der Truppen nach „nationaler Zugehörigkeit“, die sich, so Jansa wörtlich, in der k. und k. Armee bewährt habe. Gleichzeitig fordert Janäa die Einführung des Zivildienstes. Im Unterschied zu Kroatien heißt der Gegner in Laibach nicht die katholische Kirche. Was die Partei hier am meisten fürchtet, sind pazifistische Tendenzen in der slowenischen Jugend.

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