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Notizen im Kaffeehaus

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Gerne hätte ich der persönlichen Vertreterin meines Kollegen Ronny Reagan eine Kiste Zigarren zur Hochzeit geschickt - ist doch bekannt, daß ihre Vorgängerin für schöngedrehte Tabakblätter eine Schwäche hatte. Aber wenn ich nicht das Beste schicken darf, dann lieber gar nichts. Also nix, denn Kuba-Zigarren wird l'Embassadrice sicher nicht paffen wollen, nicht einmal über den Umweg über Freund Davidoff. Bleiben halt nur herzliche Gratulationen und die Hoffnung, daß wir im „Sacher” von nun an nicht den Gürtler enger schnallen müssen und die Tafel und andere Spitze sich nicht auf den Tellern verkleinern mögen.

Wenn auch viel fremdes Volk das Nobelhotel hinter der Oper behaust, so sind doch die Einheimischen noch immer in der Uberzahl — vornehmlich im Winter. Ernst Waldbrunn logierte hier wie Altenberg im Grabenhotel, mit Jahreszimmer, Curd Jürgens durfte sogar mit einem Spagat-schnürl um den Hals in den Speisesaal, und die „Faschingsgesellschaft” empfängt ebendort. Natürlich sind die Zeiten vorbei, da ein Erzherzog pudelnackt - umgeschnallt, mit Stiefeln, Kappe und Handschuhen - durch die Halle marschierte. Und die Separees? Adieu Schnitzler, Saiten und wie sie alle hießen. Der Ton ist trockener geworden, sogar und leider auch beim „Demel”. Oh, Frau Mitzi! Nie vergeß ich ihr hingelächeltes „Leben am Mond?” an die Dame, die Unmögliches verlangte.

Rr mich — ich bin noch beim irk promeniert, als das noch ein Ledergeschäft war — waren und sind Sacher, Demel und Imperial immer das Dreigestirn, gewesen, der Parnaß der Eleganz und des österreichertums, auch wenn ich es, aus Geldmangel, nur vom ersten Stock aus, von der Meinlstu-be, betrachten konnte. Heute könnte ich mir's leisten, tu es auch zuweilen, aber — alles verliert an Glanz, Glorie und Herrlichkeit. Geblieben ist mein „Imperial” — mein Cafehaus, mein Restaurant, mein Büro, mein Empfangsraum, mein Stammlokal. Und jetzt bin ich dort, wo ich hin wollte, um eine Geschichte erzählen zu können, die mich noch immer tief berührt.

Es war knapp nach Weihnachten, und ich hatte eine Verabredung im Imperial. Zu früh, was sonst nicht meine Art ist, bin ich dort angekommen, hab mir meinen Türkischen bestellt und Zeitung gelesen. Da kommt eine alte Dame an meinen Tisch und sagt:

„Ach du mein Gott, Sie sind es ja wirklich — meine Freundin da drüben hat Sie erkannt. Sie müssen wissen, ich seh sehr schlecht, was ja bei meinen dreiundachtzig Jahren kein Wunder ist. Herr M., Sie sind mein großer Liebling, ich lebe in Stuttgart und sehe Sie immer im Fernsehen. Sie machen mir viel Freude, und die hab ich notwendig, nach all dem, was ich mitmachen mußte.”

Ich bot der Dame Platz an, und sie setzte sich schüchtern, wie ein kleines MäderL Ihr Ärmel rutschte hoch, als sie nach einem Glas Wasser griff, und die eintätowierte Nummer war deutlich zu sehen.

„Wo?” frage ich.

„Auschwitz”, sagte sie still und ohne Emotionen. Zu oft hat man sie wahrscheinlich in den vergangenen Jahrzehnten gefragt.

„Wissen Sie, Weihnachtsurlaub in Wien und jetzt die Worte mit

Ihnen - darf ich Sie um ein Autogramm bitten?”

Sie lächelte verlegen, zart und lieb - und sank ein wenig in sich zusammen, war tot. Ja, ganz schnell und still war sie davongeflogen.

Ich nickte, der Kellner kam,, stützte sie, und ich ging zum Pianisten und bat ihn, er möge aufhören zu spielen. Niemand nahm Notiz von der Toten, es murmelte und gluckste weiter im vollen Cafe. Als die Rettung kam, brachte man sie hinaus, und mancher Gast mag geglaubt haben, es sei ihr schlecht geworden. Ich beobachtete mich und sah, daß ich wohl erschüttert war, aber nicht besonders unruhig. War es, weil ich sie nicht näher gekannt hatte? Ich weiß es nicht. Erst später, vielleicht jetzt, beim Niederschreiben dieser Zeilen, erfasse ich einen Hauch der Tragik dieses Augenblicks.

Seither betrete ich das „Imperial” immer mit einer innerlichen Verbeugung vor der—ja, wie heißt das im „Besuch der alten Dame”? - sich eingeprägt Habenden. Denke nicht so wie früher an den Komponisten Richard Wagner, der hier logiert und vierzig Schlafröcke mitgebracht hatte, nicht an den Kardinal, der hier — nicht dem eigenen Triebe, sondern politischen Erwägungen folgend — dem Zerstörer der „alten Welt” einen Höflichkeitsbesuch machte. Ich denke nicht an Golda Meir, die im nämlichen Zimmer logierte, wie vor ihr dieser österreichische Hochverräter Hitler, was mir immer als ein gewisser Schlußstrich erschien. Ich erinnere mich nicht der Könige von Württemberg, deren Palais das spätere Nobelhotel einst war, nicht der Gespräche mit Freunden an irgendeinem Tisch des gastfreundlichen Hauses. Ich denke, kurz, aber intensiv, nur an sie, an diese kleine Dame mit der traurigen Nummer an der Außenseite ihres linken Unterarmes.

Und weiter denke ich: Wie seltsam, da kommt jemand, ein Zufallsgast im Strom der vielen Kaffeehäusbesucher, und rückt wenigstens bei einem Menschen zur Hauptfigur auf, wird Mittelpunkt einer wehmütigen Erinnerung.

Ihr Tod war nur ein kurzes Lächeln — so schnell kann das gehen, wenn Gott es so will, und ich bin froh, gesehen zu haben, daß er es manchmal so will, es ist so beruhigend, so Mut spendend, so wichtig, auch an friedliche Lösungen glauben zu dürfen.

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