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Notwendig ist: Der mündige Bürger

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„Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“, schrieb Karl Marx am 19. Mai 1842 in der „Rheinischen Zeitung“ und wollte damit zum Ausdruck bringen, daß schriftstellerische Tätigkeit nicht auf einer Gewerbeberechtigung, sondern einzig und allein auf Befähigung und Berufung beruhen müsse. Nichtsdestoweniger ist aber für Druck und Vertrieb von Druckwerken — setzte er fort — ein kommerzielles Unternehmen erforderlich. Ein solches ist nun — um weiter bei Karl Marx zu bleiben — unausweichlich dem Konzentrationsprozeß unterworfen, der durch Rentabilität begründet und daher auch rational gerechtfertigt ist.

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„Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“, schrieb Karl Marx am 19. Mai 1842 in der „Rheinischen Zeitung“ und wollte damit zum Ausdruck bringen, daß schriftstellerische Tätigkeit nicht auf einer Gewerbeberechtigung, sondern einzig und allein auf Befähigung und Berufung beruhen müsse. Nichtsdestoweniger ist aber für Druck und Vertrieb von Druckwerken — setzte er fort — ein kommerzielles Unternehmen erforderlich. Ein solches ist nun — um weiter bei Karl Marx zu bleiben — unausweichlich dem Konzentrationsprozeß unterworfen, der durch Rentabilität begründet und daher auch rational gerechtfertigt ist.

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Der Zeitungs„markt“ der Ersten Republik war reichhaltig beschickt. In der Zweiten Republik haben die Konzentrationstendenzen „Österreich in dieser Hinsicht an die Spitze demokratischer Länder Europas geführt (Pressekonzentration an westlichen Industrienationen: Großbritannien 76,95 Prozent, Österreich 73,31 Prozent, BRD 51,29 Prozent) und die Meinungsvielfalt im Pressewesen und damit die Informationsfreiheit der österreichischen Staatsbürger eingeschränkt“, wie der Bericht der Medienkommission an den Bundesparteitag der SPÖ im Februar 1974 feststellte. Der Bericht betonte weiter, daß diese Entwicklung nicht so sehr durch publizistischen Wettbewerb, sondern durch ständige Erhöhung des Kapitaleinsatzes hinter den Presseorganen stehender ökonomischer Machtgruppen herbeigeführt wurde.

Letzteres ist nur bedingt richtig, denn der Konzentrationsprozeß wurde insbesondere durch einen für Österreich neuen Typ eines Boulevardblattes beschleunigt, das die Informationen in der Erwägung, daß sie ohnehin durch Fernsehen und Hörfunk vermittelt werden, wesentlich zugunsten von Kolumnen, einander im Inhalt oft widersprechenden Kommentaren und minder wichtigen, aber an Gefühl oder Sonderinteressen appellierenden Nachrichten einschränkte. Schließlich ging allgemein die Boulevardpresse dazu über, neben Werbeaktionen auch populär scheinende Initiativen zu starten oder zu unterstützen.

Versuche der von Parteien oder Institdtutionen abhängigen Tageszeitungen, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, scheiterten. Es ginge an den Tatsachen vorbei, anzunehmen, es gäbe daneben eine wirklich unabhängige Presse. Die Herausgabe von Presseerzeugndssen ist interessengebunden, Presseorgane, deren Pressepolitik nicht direkt von Interessengruppen abhängig dst, werden vom Geschäftsinteresse diktiert und Inhalt und Stil sind so beschaffen, wie sie am besten bei den Lesern ankommen. Das Niveau dieser Presse orientiert sich nach dem Niveau der Leser.

Ein Zeitungsverlag ist ein Unternehmen, das sich wie jedes andere möglichst selbst erhalten soll. Es wäre eine Illusion, zu erwarten, daß in einem Presseorgan dauernd gegen die Interessen seiner Herausgeber geschrieben werden kann. Bestenfalls wird es innerhalb eines weltanschaulich abgesteckten Bereiches Pressefreiheit für den Redaktionsstab geben. Das kann aber wieder nicht heißen, daß eine „Vielfalt in der Zeitung“ eine „Vielfalt von Zeitungen“ ersetzen kann. Jedes Zeitungsunternehmen wird nur ein begrenztes, aber nicht alles umfassendes Interessenkonzept haben können. Es muß sich An seiner Grundhaltung entweder nach ideologischen oder geschäftlichen Interessen orientieren.

Die Pressefreiheit garantiert die Freiheit der Presse in der Vertretung bestimmter Meinungen und Anschauungen, aber sie gibt noch keine Garantie für die Möglichkeit der Meinungsverbreitung. Durch steuerliche Erleichterungen und öffentliche Stützungsnaßnahmen kann die Meinungsplurälität gefördert werden, jedoch dürfte diese Förderung keinesfalls kontrollos geschehen, denn sie könnte ein Faulbett für schlechte Zeitungsmacher abgeben. Wenn schon gefördert wird, muß das verlegerische und redaktionelle Management Format haben. Ein Presseorgan hat nicht um seiner selbst willen zu erscheinen, es soll gelesen werden. Aber abgesehen davon, birgt öffentliche Förderung die Gefahr in sich, daß die Abhängigkeit vom Goodwill des Förderers doch die Schreibweise beeinflußt.

Nun ist es keineswegs Erfordernis der Pressefreiheit, jede subjektive, an sich vielleicht interessante Journalistenmeinung an die Öffentlichkeit zu bringen, wohl aber dient ein vielfältiges Meinungsangebot der Demokratie, das allerdings entsprechend seiner Qualität quantitativ sein soll.

Bei Rundfunk und Fernsehen ist das Interesse der politischen Parteien und dm gewissen Umfang auch das der großen Interessensverbände hinsichtlich entsprechender Berücksichtigung in der Berichterstattung gegeben. Um dies sicherzustellen, wird im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten im westlichen Europa der Einfluß der öffentlichen Hand vorwalten und, wenn überhaupt, werden private Rundfunk- und Fernsehstationen wie auch privates Kabelfernsehen nur geringe Bedeutung erlangen.

Schließlich kann die Feststellung allein, daß auch das Medienwesen dem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, noch nicht befriedigen. Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Ware oder um ein Geistesprodukt handelt. Ein in Massenauflage verbreitetes und, um dem Massenstil, entgegenzukommen, möglichst uniformes Medienprodukt mag kommerziell erfolgreich sein, aber damit wird noch keineswegs das geistige Niveau gehoben und einer profilierten Meinungsbildung genützt.

Die Macht der etablierten Verbände

Der Einfluß der Parteien und Interessenverbände auf die österreichische Presse ist nun weitaus geringer, als es den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen entspricht. Die Herausgeber eines Boulevardblattes sind finanziell unabhängig und das wirkt sich dm gewissen Umfang auch auf die Pressepolitik des anderen großen Boulevardorgans aus.

Unweigerlich wächst mit der organisatorischen Stärke von Interessengruppen der Druck zur Vorrangstellung ihrer Gruppenbelange. Hiefür ist nicht unbedingt der Appell an die öffentliche Meinung erforderlich. Je größer die Dynamik der Interessenverbände, desto notwendiger die Verweisung der Austragung von Interessenkonflikten an einen sachbezogenen Bereich und die Distanzierung der Staatsgewalt in der Form der Einnahme einer möglichst neutralen Position hiezu.

Durchaus legitim aus solcher Sicht ist das Bestreben jeden1 Interessengruppe und jeder politischen Partei, zu versuchen, möglichst breite Interessen- oder Wählerschichten für sich zu gewinnen. Die Folge — in den einzelnen europäischen Staaten graduell verschieden — dst die gegenseitige Repräsentanz von Funktionären und Politikern in Verbänden und Parteien. In den Vereinigten Staaten versuchen Lobbdes von außerhalb Einfluß auf die Abgeordneten zu gewinnen. In der Verbändedemokratie haben die Parteien die Lobbies integriert.

Im gewissen Umfang wird dadurch ein geringeres Pressepotential kompensiert, denn Institutionen wie Parteien, einschließlich des Parlaments, sind Sprachrohre für Gruppeninteressen. Die „gegenseitige personelle Verflechtung zu bestimmten Parteien und Verbänden“ mag dem Idealibild der parlamentarischen Demokratie widersprechen, aber sie ist den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen in unserem Staatswesen konform.

Die in Österreich zur Sozialpartnerschaft perfektionierte Verbändedemokratie dst überdies ein Isolator für soziale Spannungen, denn viele ernste Konflikte werden außerhalb des Parlaments ohne ideologisches Getöse einer Lösung zugeführt und soweit diese legislativer Beschlüsse bedarf, werden sie fix und fertig dem Parlament überantwortet.

Objektiverweise darf allerdings nicht verhehlt werden, daß wirtschaftlich oder zahlenmäßig schwache, von den Großverbänden nicht erfaßte Interessengruppen Mauerblümchen in diesem Kräftespiel bleiben. Dasselbe gilt für Probleme, die von Parteien oder Verbänden nicht oder nur unvollkommen aufgegriffen werden, doch sollte nicht die Stärke einer agierenden Gruppe darüber entscheiden, was „medienwürdig“ ist, sondern die Bedeutung des Problems.

Freiheitsspielraum sichern

Immerhin ermöglicht der gegebene Abhängigkeitsrahmen der Presse eine freie Konfrontation mit nicht von Etablierten getragenen Meinungen — in der Nutzung dieses Spielraumes liegt die Attraktivität der Demokratie, denn „Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet“ (Carl Friedrich von Weizsäcker).

Die Massenmedien haben die Aufgabe, in einer kompliziert und durch den immer mehr anschwellenden Informationsstrom schwer überschaubar gewordenen Welt den Menschen die Orientierung zu erleichtern. Die

Massenmedien vermitteln so Denknormen und Verhaltensweisen. Die großen tragenden Gesellschaftsgruppen kommen nicht darum herum, zu trachten, Einfluß auf die gesellschaftliche Bewußtseinbildung zu er-langen^Der latenten Gefahr der Einseitigkeit und Manipulation kann durch demokratische Formen der Mitbestimmung und Kontrolle, aber auch durch einen möglichst großen Freiheitsspielraum, insbesondere für die Presse, entgegengewirkt werden. Es hat einiges für sich, daß „man es den Medien nicht verargen kann, wenn sie unter Umständen mangels demokratischer Bewußtseinsinhalte in der Öffentlichkeit und mangels normativer Ausgestaltung des Staates mit demokratischen Elementen sich selbst außerstande sehen, im Sinne ihrer Funktion für die Demokratie zu wirken*“, es liegt meiner Meinung nach aber weniger an der „normativen Ausgestaltung“ als an einer dem wirklichen Demokratiebewußtsein nicht immer adäquaten Anwendung bereits gegebener demokratischer Elemente.

Den mündigen Staatsbürger heranbilden zu helfen, der in breiter Front in Staat, Gemeinde, Betrieb und Organisationen sachbezogen und tolerant selbst seine Interessen — einer „Vermachtung“ entgegenwirkend — mdtvertrdtt, das ist die große, noch unvollkommen aufgegriffene Aufgabe der Presse, wie überhaupt der Massenmedien in einem demokratischen Staatswesen.

Die Aufgabe ist gar nicht so schwer, denn gerade Österreichs Bürger beweisen immer wieder ein klares Urteilsvermögen, das zwar manchmal korrigiert gehört, oft aber nur einer Akzentuierung und Profilierung bedarf, um in die öffentliche Meinung einzugehen.

Die „Gewerbe“abhängigkeit der Presse ist dabei sicherlich behindernd, doch freie Meinungsäußerung kann als demokratiestärkendes Mittel, auf Dauer nicht minder wirksam, auch in kleinen Dosen verabreicht werden.

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