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Nun ein Bindeglied

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In den ersten Nachkriegsjahren befand sich Österreich in einer schwierigen Situation. Gewisse Kreise des Westens versuchten, die Österreich-Frage zur Verschärfung der Lage in Mitteleuropa auszunutzen. Im Ergebnis sah sich das Land Anfang der fünfziger Jahre unmittelbar mit der Gefahr einer Spaltung und der Umwandlung seines westlichen Teils in ein vorgeschobenes Aufmarschgebiet der NATO konfrontiert.

So schaute die Lage aus, als ich .nach Österreich abkommandiert wurde und dort meinen Dienst im Apparat des Hochkommissars der UdSSR im Alliierten Rat antrat.

Wie wir heute wissen, sahen die Urheber des Nordatlantik-Vertrages, als 1949 dieser Block gegründet wurde, für absehbare Zeit den Beitritt Österreichs vor. Deshalb sprachen sie sich für weitere Besetzung Österreichs auch nach Abschluß des Staatsvertrages aus. Wie der damalige Außenminister Österreichs, Karl Gruber, unumwunden zugab, hielten die besten Köpfe der amerikanischen Diplomatie die Räumung Österreichs für ein großes Risiko.

Wir m üssen dem Weitblick der österreichischen Staatsmänner jener Zeit, Julius Raab,. Leopold Figl, Adolf Schärf und Bruno Kreisky, Gerechtigkeit widerfahren lassen: Sie hatten die reale Situation richtig eingeschätzt und einen Ausweg daraus gefunden.

Dazu kam es allerdings nicht über Nacht. Die erste von der österreichischen Seite in dieser Richtung vorgenommene Sondierung, Ende 1953 und Anfang 1954, war ziemlich zaudernd und unentschlossen.

Sogar wir, Mitarbeiter des Alliierten Rates, sahen darin zunächst einen rein taktischen Schritt und verhielten uns dazu, offen gesagt, sehr skeptisch. Als aber die Österreicher die Sondierungen, darunter durch Vermittlung einiger blockfreier Länder, namentlich Indiens, verstärkten, wurde klar, daß sie doch ernsthafte Absichten hatten. /

Die sowjetische Seite reagierte positiv auf die Bereitschaft Österreichs, nach einer für alle Beteiligten annehmbaren Regelung der österreichischen Angelegenheiten im Interesse der Entspannung in Europa zu suchen. In verschiedenen westlichen Metropolen verhielt man sich jedoch zu einer derarti- . gen Entwicklung offensichtlich negativ. Dort wurde viel getan, um jegliche Wende in der Politik Österreichs, dem die Rolle einer „Alpenfestung” der NATO zugedacht war, zu verhindern.

Nach der Berliner Viermächte-Außenministerkonferenz, wo sich John Foster Dulles offen gegen die Proklamierung der Neutralität Österreichs ausgesprochen hatte, schienen Ende 1954 die im Rahmen der sowjetischösterreichischen Kontakte in erster Linie mit Bundeskanzler Julius Raab erzielten positiven Ergebnisse wieder zunichte gemacht.

Die Gespräche von Vizekanzler Schärf mit dem stellvertretenden Hochkommissar der UdSSR in Österreich, Kudrjawzen, am 13. September 1954, und des österreichischen Botschafters in Moskau, Norbert Bischoff, mit dem stellvertretenden Leiter der 3. Europa-Abteilung im Außenministerium der UdSSR, Gribanow, am 21. Oktober 1954, zeigten jedoch, daß die österreichische Seite geneigt war, das Suchen nach einer tragbaren Entscheidung fortzusetzen.

Die unter diesen Umständen von der Sowjetregierung Anfang 1955 in der Österreich-Frage ergriffene neue Initiative sowie die von der österreichischen Regierung bekundete Bereitschaft zu bilateralen Verhandlungen mit der UdSSR gaben die Möglichkeit, die Voraussetzungen für den Abschluß der Verhandlungen und Österreichs Ubergang zur Neutralität zu schaffen.

Am II. April 1955 flog die österreichische Regierungsdelegation in die Sowjetunion. An diesem Tag glaubten die österreichischen Repräsentanten kaum daran, daß ihre Reise erfolgreich sein würde. Wer bei der Verabschiedung der österreichischen Delegation auf dem Flugplatz Bad Vöslau dabei war, konnte nicht umhin, zu bemerken, daß die Stimmung ihrer Mitglieder keineswegs rosig, ja sogar etwas nervös war.

Sobald aber die Delegation in Moskau gelandet war, nahmen die Ereignisse, wie die westliche Presse gestand, einen sogar für die größten Optimisten „verblüffend raschen Verlauf”. Im Laufe der folgenden vier Tage wurden im Zuge der Verhandlungen sämtliche Fragen von beiderseitigem Interesse geregelt.

Am 15. April wurde das gemeinsame sowjetisch-österreichische Memorandum unterschrieben und somit eine'hi-storische Wende eingeleitet.

Schon am 14. Mai traten in Wien die Außenminister zusammen und am folgenden Tag fand die feierliche Unterzeichnung des Staatsvertrages über die Wiederherstellung des unabhängigen demokratischen Österreich statt.

Der Abschluß des Staatsvertrages und Österreichs Verpflichtung zu immerwährender Neutralität eröffneten diesem Land denkbar günstige Aussichten auf die Verfolgung einer unabhängigen, selbständigen Politik, auf aktive Beteiligung am internationalen Geschehen und auf einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung.

So begann ein völlig neues Kapitel in der Geschichte Österreichs. Zählte davor Österreich zu jenen Gebieten der .Welt, in denen Truppen beider Blöcke in hautenger Berührung miteinander standen, was nicht nur für das Land, sondern auch für den Frieden in Europa gefährlich war, so wurde es nach 1955 gewissermaßen zu einem Bindeglied der gesamteuropäischen Zusammenarbeit, ohne welches garantierte Sicherheit auf dem europäischen Kontinent undenkbar wäre.

Die Sowjetunion tritt nach wie vor für ein unabhängiges, neutrales Österreich ein, für die Festigung seiner Selbständigkeit und für freundschaftliche Beziehungen auf Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz und für die Zusammenarbeit auf Grundlage des Staatsvertrages und der strikten Neutralität. Das war und bleibt ein Eckstein der sowjetischen Außenpolitik gegenüber Österreich.

Der Autor. Viktor Belezki. ist Geschichtswis-senschafter und zur Zeit Prorektor der Diplomatischen Akademie des AufSenmimstcriums der UdSSR. Er war in den fünfziger Jahren Mitarbeiter beim Hochkommissar der UdSSR im Alliierten Rat.

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