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Nur Anwalt der Stillen?

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Zum 50. Jahr der Verfassungsnovelle 1929 gab es keine Feiern. Das ist bei unserem Feiereifer geradezu auffallend. Vielleicht erinnern sich die politischen Lager nicht gern an diese Zeit. Vielleicht wäre wieder einmal zur Diskussion gestellt worden, ob diese Novelle nicht eine Gesamtänderung des Bundesverfassungsgesetzes (BVG) gewesen ist und einer Volksabstimmung hätte unterzogen werden müssen.

Wahrscheinlich wäre klar geworden, daß Verfassungen mit ihrem Text in einem sozialen Kontext stehen, von dem die Staatspraxis mehr beeinflußt wird, als man hierzulande oft glaubt.

Zu den „Merk-Würdigkeiten” der Novelle 1929 gehört der nach dem Wollen der Initiatoren und noch nach den Worten des BVG „starke” Bundespräsident, der doch in der Wirklichkeit „schwach” in Erscheinung tritt.

Ein bekannter sozialistischer Universitätsprofessor wartet auf einen Bundespräsidenten, der von seinen Kompetenzen nicht behutsam und zurückhaltend, sondern voll und ganz Gebrauch macht: Er will einmal einen Bundespräsidenten erleben, der den verheißungsvollen Wortlaut des BVG auch verwirklicht.

Aber soll man sich einen ständig „starken” Bundespräsidenten wünschen? Macht die Verfassung ihn nicht nur als „Nothelfer” stark? Ist seine „Schwäche” nicht ein Indiz für die Stärke des parlamentarischen Regierungssystems?

Theoretisch kann man sich einen „starken” Bundespräsidenten leicht vorstellen: Durch die Volkswahl legitimiert, gestützt auf persönliche Autorität und auf praktische Unabsetzbar-keit, könnte ein Bundespräsident, seine Befugnisse zur Entlassung der Regierung und zur Einberufung und Auflösung des Parlaments voll ausnützend, unter Einsatz von Demoskopie, Werbung und Massenmedien zum führenden Staatsmann werden, der durch seine Vertrauenspersonen in Regierung und Parlament regiert.

Bundeskanzler und Bundesminister wären seine politischen Erfüllungsgehilfen, welchedie Richtlinien seiner Außen- und Innenpolitik mit Hilfe der Staatsbürokratie exekutierten. Man denke an einen Parteichef, der, seine Parteiführerschaft formell ablegend, die Bundespräsidentenwahl gewinnt und dessen Partei, formell geführt von einem Vertrauensmann des Staatsoberhauptes, über die absolute Mehrheit im Nationalrat verfügt.'

Theoretisch ist auch die Vorstellung, daß sich unser hinkendes Dreiparteiensystem, das aus einer sehr großen, einer großen und einer kleinen Partei besteht, in die Richtung eines Vielparteiensy-stems entwickelt, in dem mehrere gleich starke Parteien bestehen.

Der Bundespräsident wäre dann die einzige politische Kraft, die von der Mehrheit des Volkes getragen wäre. Er wäre der einzige Staatsmann, der per-sonalplebiszitär legitimiert wäre. Das Gesetz des Handelns würde nicht nur nach Parlamentswahlen bei ihm liegen. Durch Änderung der politischen Realität könnten Spielarten eines französischen oder finnischen Präsidialismus entstehen.

Weniger theoretisch ist die Vorstellung, daß unser Proportionalwahlsystem bei der nächsten Nationalratswahl keine absolute Mehrheit einer Partei ergibt. Damit wäre der Aktionsspielraum des Bundespräsidenten zumindest bei der Regierungsbildung größer als jetzt, und die im Entlassungsrecht steckende politische Abhängigkeit der Regierung vom Bundespräsidenten würde aktuell werden.

Er kann z. B. zum „Katalysator” großer oder kleiner Koalitionen werden oder zum „Mehrheitsersatz” einer Minderheitsregierung. Immer aber ist er durch die Notwendigkeit von Vorschlag und Gegenzeichnung für seine Akte an die Mehrheitsverhältnisse des Nationalrates und an die Regierung gebunden. Damit muß er aber auch auf das Verhältnis der Parteien zueinander Rücksicht nehmen. In diesen Verhältnissen liegt die Stärke und die Schwäche des Bundespräsidenten begründet.

Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Entlassung der gesamten Bundesregierung, die Beurkundung der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen, die Führung des Oberbefehls über das Bundesheer und Angelobungen sind Kompetenzen, die der Bundespräsident ohne Vorschlag wahrnehmen kann.

Dasselbe gilt für Repräsentationsakte. Hier kann der Bundespräsident zum Teil besonders initiativ tätig werden, zum Teil kann er kontrollieren.

Von den etwa fünf Dutzend Einzelkompetenzen sind aber die meisten über Vorschlag wahrzunehmen. Hier hat der Bundespräsident bei den meisten die Möglichkeit, „nein” zu sagen. Das gibt ihm die Möglichkeit, vor seinen Akten umfassend informiert zu werden. Damit ist aber eine umfassende Kontrolle gegeben, und zwar auch dann, wenn er nicht nein sagt. Die Regierung muß ihn immer „mitdenken”.

Allerdings ist die Rolle des Bremsers und Kontrollors undankbar und schwierig. Wenn die Kontrolle besonders aktuell wird, nämlich dann, wenn eine seit zehn Jahren von Wahl zu Wahl gewachsene Mehrheit einer Partei verschiedene Bereiche des Regierungssystems gewissermaßen zu Teilen einer Maschine macht, die vom selben Motor betrieben werden, kann diese Rolle schwer in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Arbeitet der Bundespräsident aber hinter den Kulissen, so registriert man diese Rolle kaum in der Öffentlichkeit.

Neben dem nunmehr zehn Jahre dauernden Strukturwandel des Regierungssystems auf Bundesebene (wobei die SPÖ nicht nur eine Legitimation durch Majorität, sondern auch eine Legitimation durch Kontinuität erreicht hat) fand auch ein Strukturwandel der Öffentlichkeit in Österreich statt. Diesen Strukturwandel hat der Bundespräsident nicht mitgemacht.

Weder regelmäßige Pressekonferenzen noch regelmäßige Fernsehauftritte oder Rundfunkinterviews Finden statt. Weder Demoskopie noch public per-suasion (öffentliches Uberzeugen) wurden durch die amtierenden Bundespräsidenten eingesetzt.

Der Bundespräsident ist zwar plebis-zitär legitimiert, aber er amtiert nicht plebiszitär. Damit ist der Bundespräsident eine stille Spitze geworden, auf die zumindest in der Öffentlichkeit nichts hinläuft. Vielleicht ist er dadurch zum politischen Symbol der Stillen im Lande geworden, zum Symbol des einzelnen im Parteien-, Verbände- und Medienstaat.

Gerade aber bei dieser Sicht ist die Wahl des Anlasses, die Wahl des Ortes und der Zeit, die Wahl des Wortes zu einer besonderen politischen Aufgabe geworden. Das Repräsentieren wird zum „Regieren” des Bundespräsidenten.

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