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Nur beten?

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„Für Leut, die immer nur beten, hab’ i nix übrig!“ Der Autobusfahrer ist zuvorkommend und freundlich; er erzählt, daß „da oben“ momentan sehr viel los sei und zur Besichtigung des neu adaptierten „Faniteums“ Zusatzfahrten vorgenommen werden mußten, weil soviel Leut gekommen waren, der Chauffeur steht auch sozial engagierten Orden durchaus positiv gegenüber. Aber eben: „nur beten“ - dafür hat er nichts übrig.

Die Schwester, mit der man im Fani- teum ins Gespräch kommt, sagt gär nicht viel anders: aber mit umgekehrtem Vorzeichen. „Wer vom Glauben her keinen Zugang zum Leben im Karmel findet, für den müssen wir ja Verrückte sein!“ Sie ist mit 21 Jahren nach sechs Semestern Medizinstudium in den Karmel eingetreten. Sie hatte am Krankenbett erkannt, was die Menschen wirklich brauchen. Als sie Ärztin werden wollte, war es ihr Anliegen, aktiv zu helfen. Als sie Karmelitin wurde, war sie zu der Einsicht gekommen, daß die schwerste Krankheit in unserer Zeit ist, nicht mehr beten zu können. Jetzt betet sie stellvertretend für die vielen, die keinen Zugang mehr zum Gebet haben.

Die Karmelitinnen verdienen sich ihren nicht eben aufwendigen Le bensunterhalt durch kirchliche Hilfsdienste wie Hostienbäckerei und Reinigung der Kirchenwäsche. Aber sie machen gar keinen Versuch, Aktivität vorzutäüschen und damit ihre Existenzberechtigung nachzuweisen. Sie wollen gar nichts anderes, als eben das tun, wofür der Autobusfahrer nichts übrig hat. Nur beten. Der Autobusfahrer steht mit seiner Meinung nicht allein.

Zur Besichtigung des neuen Kar- mels waren Tausende gekommen, die Polizei wollte für geordneten Ablauf sorgen, sie brauchte nicht schützend eingreifen. Aber sie hatte gezählt: bei 3000 gab sie auf. Nachher kamen noch viele.

Der Wiener ist sensationslüstern, er will dabei sein, ob nun die Reichsbrücke eingestürzt ist oder ein Karmel eröffnet wird. Aber die Schwester er zählt: „Es werden sehr viele Gebetswünsche deponiert. Immer wieder sagt jemand: .Schwester, beten S’ für mich mit!* “Es war also mehr dahinter - oder wurde mehr daraus - als bloße Neugier. Zweifellos lohnt es sich, das- Faniteum als Bauwerk zu besichtigen, das Graf Lanzchoronski 1894 - 1896

zum Gedenken an seine Gattin Fanita errichten ließ und das nun, nach den Zubauten durch den Architekten Walter Hildebrand, eine gekonnte Synthese zwischen dem vornehmen Bau der „belle epoque“ und moderner Architektur darstellt. Der prachtvolle Park öffnet in einer Lebensbaumallee den Blick zum Stephansdom. Aber das alles ist nicht das Wesentliche.

Die Karmelitinnen, bis dahin in der Linzerstraße in einem abbruchreifen Haus untergebracht, werden bald das neue Haus beziehen, das am L Okto ber von Kardinal König eingeweiht wurde. Werden sie nun modernen Komfort im neuen Haus zu schätzen wissen? Es gibt keinen, wenn man von einer Waschmuschel in jeder Zelle und zwei Badezimmern absieht. Außer in der Rekreationszeit herrscht Stillschweigen, strenge Fastengebote werden eingehalten. Die Karmelitinnen nehmen teil am Geschehen in der Welt, obwohl es kein Radio, kein Fernsehen gibt und nur die Priorin die Zeitung liest - die FURCHE kam gerade mit der Post an. Die Priorin teilt den Schwestern die Nachrichten mit, sie werden sofort in Gebetsanliegen umgemünzt und ausgewertet.

Kann ein so unmoderner Orden überhaupt bestehen? Nicht nur das, er hat sogar keinerlei Nachwuchssorgen. 21, im Höchstfall 25 Schwestern gehören zu einer Kommunität, zwei davon sind Novizinnen.

Im Wiener Karmel sind es eine Kindergärtnerin und eine Mittelschulprofessorin, die ihren Beruf aufgaben, um im Karmel zu leben.

Als das „Faniteum“ gebaut wurde, durchlebte und durchlitt im Karmel von Lisieux Therese die letzten Jahre ihres Lebens. Die „kleine heilige The resia vom Kinde Jesu“, dreißig Jahre nach ihrem Tod bereits auf der ganzen Welt als Heilige verehrt, übte vor einem halben Jahrhundert eine unerklärliche Anziehungskraft aus. Später wurde sie auf die Seite geschoben; was sollte schon eine 24jährige Karmelitin aus dem vorigen Jahrhundert unserer Zeit zu sagen haben?

Aber, wie das Faniteum nun wieder ein Mittelpunkt religiösen Lebens wird, so ist es ganz unbemerkt Thėrėse auch wieder geworden. „Theresianische Exerzitien“ locken Tausende für einige Tage zu Thėrėse in die „Wüste“, das Theresienwerk, 1972 gegründet, gewinnt ständig neue Mitglieder. Warum? Das Gedankengut von Thėrėses Zeitgenossen hat seinen äußeren Siegeszug in der Welt angetreten: Nietzsches Übermensch, das „Paradies auf Erden“ des Karl Marx. Wir sehen, wohin das geführt hat. Thėrėse lehrt den „kleinen Weg“ des Vertrauens auf Gott, den Vater. Da wir am Ende unserer menschlichen Weisheit sind, gehen plötzlich die Augen auf für die alte und neue Wahrheit, die Reinhold Schneider in die Worte gefaßt hat: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten.”

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