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Nur ein Sturm im Wasserglas?

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Der Chef der Osteuropa-Redaktion des ORF, Paul Lendvai, kann der ganzen Affäre mittlerweile sogar positive Seiten abgewinnen: „Es war vielleicht ein heilsamer Schock für mich und meine Mitarbeiter und ein klärendes Gewitter für die Öffentlichkeit.“

Nach einem Interview des designierten ORF-Generalintendanten Thaddäus Podgorski in der kommunistischen „Volksstimme“ vom 19. September waren die Wogen der öffentlichen Erregung hochgegangen. Dabei war der Stein des Anstoßes in besagtem Interview gar nicht als Zitat ausgewiesen. Konkret schrieben die kommunistischen Zeitungsmacher:

„Die jetzige ORF-Berichterstattung über die sozialistischen Länder hält Podgorski nicht für einen Versuch, diesen am Zeug zu flicken. Daß aber allein schon die Bezeichnung .Osteuropa-Redaktion' nicht günstig interpretiert werden kann, ist ihm klar, das werde sich ändern. Schließlich gäbe es ja auch keine Nord-, Südoder West-Redaktion. Diese Abteilung soll in die gesamte internationale Berichterstattung eingebunden werden.“

So weit, so gut. Aber obwohl die „Volksstimme“ nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheint, wurde das Podgorski-In-terview von den marktbeherrschenden Medien des Landes begierig aufgenommen und kolportiert.

Selbst der renommierten „Neuen Zürcher Zeitung“ war das Podgorski-Interview eine längere Geschichte wert unter der Schlagzeile „Der österreichische Rundfunk auf Abwegen“.

Tatsächlich rührt das Podgor-ski-Diktum, wie immer es auch gemeint gewesen sein mag, am Selbstverständnis des ORF. Denn schon immer hat sich die staatliche Informationsanstalt nicht nur als Drehscheibe für den Nachrichtenaustausch zwischen Ost und West verstanden. Vor allem dem scheidenden Generalintendanten Gerd Bacher lag die Berichterstattung über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den europäischen Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs besonders am Herzen.

Mehr noch: Nach dem Verständnis von Gerd Bacher soll der ORF zwar nicht durch einseitige Propaganda-Sendungen versuchen, die kommunistischen Nachbarländer zu „missionieren“. Allerdings dürften die ORF-Journalisten und die ORF-Programme auch keinen Zweifel daran lassen, daß sie auf dem Boden der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie stehen.

Gerd Bacher war es dann auch, der Paul Lendvai in den Rundfunk geholt hat. Und im Dezember 1983 wurde das bestehende Osteuropabüro in den Rang und Titel einer eigenen „Redaktion für Ost- und Südosteuropa“ gehoben und mit elf ständigen Mitarbeitern besetzt.

Die professionelle Arbeit und die Kompetenz der Redaktion, die Verläßlichkeit und Qualität der Analysen und Produktionen der ORF-Osteuropa-Redaktion fanden inzwischen internationale Anerkennung bis hin in die Vereinigten Staaten. Und trotz wiederholter Verstimmung in Prag, Warschau oder Bukarest wird die ORF-Berichterstattung ob ihrer Fairneß und Ausgewogenheit mittlerweile auch in diesen Ländern geschätzt.

Dennoch: Der konkrete Anlaßfall könnte dazu beitragen, doch einige Klarstellungen zu treffen.

Der Intendant des Landesstudios Niederösterreich, Paul Twa-roch, der seinerseits auf eine mehrjährige fruchtbare Zusammenarbeit mit der CSSR-Rund-funkanstalt verweisen kann, weiß zum Beispiel aus eigener Erfahrung, wie sensibel etwa die Tschechen reagieren: „Die Prager fühlen sich als Mitteleuropäer, für sie beginnt Osteuropa jedenfalls erst hinter ihrer Grenze.“

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