6925854-1982_11_04.jpg
Digital In Arbeit

Nur ein Wunder könnte helfen

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder Partei geht es darum, eine möglichst große Zahl von Staatsbürgern für sich zu gewinnen. Das wichtigste Mittel, das die Partei zur Verfügung hat, um ihre Ideen zu popularisieren, ist trotz Fernsehen und Rundfunk noch immer die Presse.

Das verleitet dazu, die Meinungsbildung für das alleinige Kriterium einer guten, weil wirksamen Zeitung zu machen, ja sie vielfach für die einzige Aufgabe der Zeitung zu halten.

Darin liegt eine große Gefahr. Wo die Meinungsbildung wichtiger wird als die Information, verliert die Zeitung erheblich an Wert, sie wird für große Teile der Staatsbürger uninteressant.

Uninteressant zu werden aber bedeutet für eine Zeitung das Todesurteil.

Genau dieser Gefahr ist die Parteipresse in allen freien Ländern der Welt erlegen oder wird ihr erliegen, wo sie heute noch ein bescheidenes Dasein führt.

Heute steht fest, daß Parteizeitungen alten Stils nur mehr als Organe für Funktionäre und die treuesten Parteimitglieder geführt werden können. Je eher die politischen Führer das zur Kenntnis nehmen, desto besser.

Vielleicht besteht noch eine Chance für parteinahe Zeitungen, die in voller Freiheit und Verantwortung nach journalistischen Grundsätzen geführt und von allen Belastungen der reinen Parteipropaganda befreit sind.

Wenn die Tagespresse Österreichs heute eine Gesamtauflage von etwa 2,7 Millionen Exemplaren aufweist, von der allerdings fast 60 Prozent auf die beiden großen Boulevardzeitungen Wiens entfallen, so ist der Anteil der Parteizeitungen aller Parteien mit allen Nebenausgaben auf etwa 450.000 gesunken, also weit unter 20 Prozent.

Das heißt, um die Situation noch deutlicher zu machen: Die Gesamtauflage aller Parteizeitungen liegt unter jener des „Kurier", von der „Kronen-Zeitung" ganz zu schweigen.

Mit anderen Worten: Sie erreicht nicht einmal, ja bei weitem nicht die eigenen Mitglieder. Daß sie in der großen Masse der Nicht-parteimitglieder und der parteipolitisch nicht interessierten Staatsbürger neue Anhänger für jene Ideen gewinnen könnte, zu deren Verbreitung sie geschaffen wurde, ist daher eine Illusion.

Bleibt also neben der Betreuung der Funktionäre und jenes Teils der Mitglieder, die ohnedies nicht überzeugt werden müssen, die Hauptfunktion eines Sprachrohrs der Partei, der sie gehört - eine vielleicht notwendige, aber unter diesen Umständen sehr aufwendige Aufgabe, die sie in der Hauptsache dadurch erfüllt, daß sie gelegentlich zitiert wird.

Vor der Gründung neuer Parteizeitungen kann daher nicht eindringlich genug gewarnt werden: das würde dem Versuch gleichen, einen Beinamputierten bei einem Wettlauf starten zu lassen. Wenn er sich da behaupten könnte, käme das einem Wunder gleich. Wunder gibt es aber im Pressewesen nicht.

Man mag das alles bedauern, aber man muß es zur Kenntnis nehmen, weil es nicht zu ändern ist.

Auf die Gründe dafür kann hier nur ganz kurz und andeutungsweise eingegangen werden:

Parteizeitungen stellen rein publizistische Erwägungen zugunsten politischer Rücksichten zurück. Die Partei hält die Veröffentlichung, die zur Information der Leser notwendig wäre, nicht für opportun.

Grundsätzlich geht eine solche Auffassung von der Tatsache aus, daß Meinungsbildung nicht nur dadurch erfolgt, daß man etwas sagt, sondern auch dadurch, daß man etwas nicht sagt. Das Ergebnis ist, daß die eigenen Parteimitglieder ihre Informationen aus anderen Zeitungen beziehen müssen, die solche Erwägungen nicht anstellen.

Der Standpunkt, den wir seinerzeit mit den Worten ironisierten „Quod non est in Volksblatt, non est in mundo", ist unhaltbar. Der Leser kauft die Zeitung nicht, damit sie ihm etwas verschweigt, sondern damit sie ihn informiert.

Zum zweiten stellt die Parteizeitung allgemein interessierende Nachrichten zugunsten anderer zurück, die publizistisch wertlos sind, deren Veröffentlichung aber aus propagandistischen Gründen für nötig gehalten wird: Versammlungsberichte, Reden, Hofberichterstattung zum Beispiel.

Schließlich wird der Wert der Polemik weit überschätzt. Die Polemik ist für die politische Meinungsbildung — das zeigen alle Untersuchungen — weit weniger bedeutsam, als man in den Parteisekretariaten glaubt. Es ist oft besser, den gegnerischen Angriff verpuffen zu lassen, als ihn durch Polemik aufzuwerten. Wadlbei-ßerei wollen die Leser überhaupt nicht.

Franz Größl war Chefredakteur des „Volksblatt" bis zu dessen Einstellung 1970 und arbeitete danach mit Sondervertrag für den Bundespressedienst. Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Festvortrag anläßlich der Verleihung der Leopold-Kunschak-Preise 1982.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung