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Nur eine Privatsache?

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Ein wesentlicher Bereich der kirchlichen Sendung ist die Verkündigung der Offenbarung Gottes, die in Jesus Christus ihre Vollendung erreicht hat. Darüber hinaus kennt die Geschichte auch ein außergewöhnliches Einwirken Gottes durch Ereignisse, die nur von einzelnen erlebt werden, in ihrer Zielsetzung aber alle an- gehen, weil sie die Botschaft des Evangeliums und seine Anforderungen in Erinnerung bringen wollen. Die Kirche weiß sich verantwortlich, Berichte von übernatürlichen Mitteilungen zu prüfen,

ob *es sich dabei um Charismen einzelner zum Nutzen vieler handelt, oder ob es gilt, vor Irrtümern oder bewußter Täuschung zu bewahren.

Die offizielle kirchliche Untersuchung obliegt nach geltendem Kirchenrecht dem zuständigen Diözesanbischof, der für gewöhnlich eine Kommission von Fachleuten einsetzt, die in oft jahrelanger Arbeit alles kritisch prüft, was mit vorgeblichen Visionen im Zusammenhang steht. Die Untersuchung erstreckt sich zunächst auf den Inhalt der überbrachten Mitteilungen und die Glaubwürdigkeit der Seher, dann wird aber auch das ganze Umfeld der Ereignisse in die Beurteilung mit hineingenommen.

Heute ist es möglich, über die Auswirkungen des Ereignisses hinaus auch das Geschehen der Visionen selbst mit modernsten wissenschaftlichen Geräten und Methoden zu prüfen, wobei natürlich die Erscheinung als solche nie erfaßt werden kann. Hier bleiben wir auf die Mitteilung der Visionäre angewiesen.

Wenn die Kirche eine Mariener

scheinung anerkennt, bedeutet das keineswegs, daß der Inhalt ihrer Botschaft zum verpflichtenden Giaubensgut der Kirche erklärt wird, sondern daß er zum Nutzen und zur Belehrung der Gläubigen dienlich ist und daß einem offiziellen kirchlichen Kult nichts im Wege steht, eine Klarstellung, die als kirchenrechtliche Entscheidung schon auf Benedikt XIV. (1740-1758) zurückgeht. So gesehen drückt die Bezeichnung „Privatoffenbarung“ keineswegs aus, daß es sich bei solchen Botschaften um Privatangelegenheit irgend jemandes handelt, sie sind vielmehr als ein besonderer Gnadenerweis anzusehen, in dem sich die Liebe Gottes und die Stellung Mariens im Heilsplan Gottes deutlich kundtun.

Es ist zweifellos gerechtfertigt, hier den Maßstab des Herrenwortes anzulegen, daß an den Früchten Echtheit und Wert prophetischer Botschaften zu erkennen sei (Mt 7,20). Eine kirchliche Anerkennung erfolgt erst nach einer in allen Belangen positiv abgeschlossenen, äußerst strengen Untersuchung, was immer erst geraume Zeit nach den Ereignissen möglich ist. Für Fatima etwa dauerte es 13 Jahre, bis das kirchliche Urteil veröffentlicht worden ist.

In der Zeit seit dem Ersten Weltkrieg gelangten die kirchlichen Untersuchungskommissionen in mehr als 200 Fällen zu einer ablehnenden Stellungnahme, anerkannt wurden in diesem Zeitabschnitt außer den Geschehnissen von Fatima (1917) auch jene von Beauraing (1932/33) und Banneux (1933) und Siracus (1950).

Wegen ihrer Bedeutung für das Glaubensleben in Österreich und wegen der Aktualität, die sich aus Jubiläen und einer Zunahme von Wallfahrten ergibt, seien hier die

Marienerscheinungen von Lourdes (1858), Fatima (1917) und — dem kirchlich (noch) nicht anerkannten - Medjugorje (seit 24. Juni 1981) hervorgehoben. In einer Zusammenschau der Botschaften, die durch die Seher dieser drei Orte übermittelt sind, gewinnt man den Eindruck eines zusammenhängenden, immer intensiver werdenden Aufrufes nach echter Bekehrung.

Die seit über einem Jahrhundert andauernde Wallfahrtsbewegung aus der ganzen Welt nach Lourdes schließt auch Österreich mit ein. Die Gemeinschaft von Behinderten und Gesunden, die für einige Tage auf das vertraute Zuhause verzichten, um sich ungehinderter Gott zuwenden zu können, läßt die Situation des pilgernden Gottesvolkes erfahren, läßt erleben, daß wir auf unserem Lebensweg hin zu Gott aufeinander angewiesen sind, schenkt am Wallfahrtsort aber auch die Erfahrung der mütterlichen Liebe Mariens. So etwa drücken es die Pilger aus, wenn sie sagen wollen, was ihnen die Wallfahrt nach Lourdes bedeutet.

Fatima, das als Weltheiligtum der Christenheit heuer sein 70- Jahr-Jubiläum begeht, bewirkte in Österreich eine gewaltige Gebetsbewegung. Im Rahmen des „Rosenkranz-Sühnekreuzzuges“ haben sich seit dessen Gründung vor 40 Jahren schon Millionen Menschen zum täglichen Beten des Rosenkranzes verpflichtet.

Medjugorje, dessen Ereignisse derzeit noch von einer Kommission geprüft werden, zieht aus aller Welt Besucher in immer größerem Maß an. In den ersten Tagen

der heurigen Karwoche konnten Tausende Österreicher in Medjugorje gezählt werden. Wichtiger als Zahlen von Wallfahrern ist das Entstehen immer neuer Gebetsgruppen in der Heimat, die sich an den Botschaften von Medjugorje orientieren. Eine vertiefte Chri- stusbezogenheit und ein erneuertes Kirchenbewußtsein kann bei

ihnen genauso festgestellt werden wie regelmäßiges sakramentales Leben, bewußte Zuwendung zum Mitmenschen und Verantwortungsbewußtsein für die Welt von heute.

Weniger bekannt bei uns ist, daß auch in Kibėho, einem Ort des ehemaligen Deutsch-Ostafrika, seit 1981 Mädchen im Schulalter berichten, die Gottesmutter zu sehen und von ihr Botschaften zu empfangen. Im April dieses Jahres hatte ich Gelegenheit, den aus Zaire, einem Nachbarland von Rwanda, auf Heimaturlaub in St. Gabriel weilenden Missionspater Hermann Hochegger SVD über Kibėho zu fragen. Er sagte, daß ein Grenzübertritt sehr schwierig sei, daß die Nachrichten, die von drüben kommen, aber sehr beeindruckend seien. Kibėho sei ein großer Wallfahrtsort geworden, ein echter religiöser Aufbruch sei festzustellen, zweifellos sei das alles von größter Bedeutung für das Land und die Kirche in Rwanda, auch wenn noch keine offizielle Stellungnahme der Kirche vor liege. Durch Kassetten werde die Botschaft von Kibėho auch in Zaire verbreitet.

Das Marienbild an sich erfährt durch ihre Erscheinungen vor begnadeten Sehern keinen Wandel. Der Inhalt der Botschaften deckt sich mit dem, was im Evangelium über Maria und ihre Beziehung zu Jesus und zu uns enthalten ist. Schrifttexte wie „Was er (Jesus) euch sagt, das tut“ (Jo 2,5), „Siehe, deine Mutter“ (Jo 19,27), „Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,48) oder „Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15) zeigen die Bezogenheit der Botschaften zum Evangelium, spiegeln sich geradezu in ihnen. „Ich bin eure Mutter und will euch zu Jesus führen“ ist eines der Worte, die uns die Seher von Medjugorje von Maria überliefert haben. In knapper Form sagt es Sinn und Ziel der Marienerscheinungen aus.

Der Autor ist Spiritual und Professor am Seminar und Gymnasium der Erzdiözese Wien in Sachsenbrunn.

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