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NUR GROSSERE BETRIEBE üBERLEBEN

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Wie unterscheidet sich Österreichs Landwirtschaft und seine Agrarpolitik von jener der EG-Länder? Im folgenden eine Skizze der wichtigsten Probleme, um die es bei den EG-Agrarverhandlun-gen gehen wird.

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Wie unterscheidet sich Österreichs Landwirtschaft und seine Agrarpolitik von jener der EG-Länder? Im folgenden eine Skizze der wichtigsten Probleme, um die es bei den EG-Agrarverhandlun-gen gehen wird.

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FURCHE: Wie läßt sich die EG-Agrarpolitik kennzeichnen?

DOZENT MATTHIAS SCHNEIDER: Bis zur Reform der EG-Agrarpolitik 1992 kann man feststellen, daß sie keine großen Unterschiede zur österreichischen aufwies. In beiden Fällen wurden leistungsfähige, bäuerliche Betriebe, Effizienzsteigerungen und gute Qualität angepeilt. In den letzten Jahren ist auch Umwelterhaltung dazugekommen.

FURCHE: Also ähnliche Theorien. Und die Praxis?

SCHNEIDER: In der EG hat man stärker auf Preispolitik gesetzt, um mit Agrarüberschüssen zurechtzukommen. Österreich hat da eher mit administrativen Eingriffen reagiert: Kontingentierung von Milch und Brotgetreide etwa. So sind in Deutschland seit 1984 bei Getreide die Preise um etwa ein Viertel zurückgegangen, während sie in Österreich bis vor zwei drei Jahren gehalten haben.

FURCHE: Ist durch den Preisdruck in der EG die Zahl der Bauern stärker geschrumpft?

SCHNEIDER: Ja, aber von Land zu Land unterschiedlich. In Deutschland und Frankreich war die Schrumpfung größer als in Österreich.

FURCHE: Was hat 1992 zur Änderung der EG-Agrarpolitik geführt?

SCHNEIDER: Ich würde an erster Stelle die GATT-Verhandlungen nennen. Die Amerikaner laufen Sturm gegen den Schutz der landwirtschaftlichen Produktion und die Stützung der Agrarexporte. Der Importschutz soll verringert werden. Sämtliche nicht tarifäre Handelshemmnisse sollen in Zölle unigewandelt werden. Und diese wiederum sind innerhalb von sechs Jahren um 36 Prozent zu verringern. Reduziert werden müssen auch die

Subventionen (um 20 Prozent). Im Export müssen die gestützten Mengen um 21 Prozent verringert werden. Letzteres würde Österreich besonders weh tun.

FURCHE: Was ist die neue Stoßrichtung der EG-Agrarpolitik?

SCHNEIDER: Die Preise werden deutlich gesenkt, Getreide etwa um ein Drittel, Rindfleisch um 15 Prozent. Als Ersatz gibt es für die Landwirte Prämienzahlungen: Pro angebautem Hektar Getreide gibt es eine Förderung. Betriebe mit über 92 Tonnen Getreideproduktion müssen außerdem 15 Prozent ihrer Ackerfläche stillegen. Die Amerikaner und die EG haben sich geeinigt, sowohl Flächenais auch Tierprämien als „Grün-Maßnahmen", also als solche, die den Welthandel nicht wesentlich verzerren, zu werten.

FURCHE: Zurück zur neuen Agrarpolitik: Setzt die EG auch ökologische Akzente?

SCHNEIDER: Die EG-Kommission hat die Mitgliedsländer verpflichtet, den Bauern Umweltprogramme als Begleitmaßnahme anzubieten. Diese sind jetzt in Ausarbeitung. Die EG schießt 50 (in wirtschaftlich besonders schwachen Gebieten sogar 75) Prozent der dafür aufgewendeten Mittel zu. Die Bauern können, müssen aber nicht mittun. Andererseits geht es auch um die Marktentlastung: etwa um die Umwandlung von Ak-ker- in Grünland.

FURCHE: Wo liegen die größten Probleme im Falle eines EG-Beitritts?

SCHNEIDER: Bei unserer Wettbewerbsfähigkeit, sowohl im Bereich der Urproduktion, als auch im Sektor der Be- und Verarbeitung. Wir erzeu-

gen die landwirtschaftlichen Produkte mit geringerer Effizienz - aus verschiedenen Gründen. Zunächst, weil die natürlichen Verhältnisse schwieriger sind. Rinder im alpinen Bereich zu halten, ist aufwendiger, als in Holland oder Dänemark, wo es mildere Winter und Flachland gibt. Obst und Gemüse wiederum wachsen in den südlichen EG-Ländern besser.

Dazu kommt: In Österreich überwiegen die kleinen und kleinsten Produzenten. Klein heißt oft höhere Kosten. Typisches Beispiel: die Milchwirtschaft. In Betrieben mit mehr als 30 Kühen stehen bei uns weniger als zwei Prozent aller Kühe. In der EG findet man in dieser Betriebsgröße mehr als die Hälfte aller Kühe (siehe Tabelle). Das ergibt Kostenunterschiede zwischen Österreich und Bayern von 1,3 Schilling je Liter Milch.

FURCHE: Woher kommen diese Unterschiede in der Struktur?

SCHNEIDER: Wir haben von der Gesetzgebung her „betoniert", etwa durch Bestandsobergrenzen. Wer mehr als 400 Schweine oder mehr als 30 Kühe halten will, braucht eine Genehmigung des Landwirtschaftsministers. International gelten heute Bestände ab 60 Kühen als zukunftsträchtig. Das schafft eine bäuerliche Familie. Oder bei der Schweinehaltung: 1.000 bis 1.200 Schweine bewältigt ein Familienbetrieb stielend.

FURCHE: Werden die Bauern da nicht überfordert?

SCHNEIDER: Nein durchaus nicht. Ich kenne einen dänischen Bauern, der bewältigt einen Betrieb mit 196 Kühen allein. Seine Frau ist Kindergärtnerin. Es geht also um bäuerliche Größenordnungen mit den modernen Technologien. Wir sollten in Größenordnungen hineinwachsen, die noch bäuerlich sind, aber die Stückkostenverringerung ausschöpfen.

FURCHE: Verträgt die Umwelt solche Betriebsvergrößerungen?

SCHNEIDER: Die Umwelt wird am besten geschützt, wenn es eine gesunde Relation zwischen eigener Futterproduktion und der Fläche, die für die Gülle verfügbar ist, gibt. Ein 200-Schweinebetrieb mit nur zehn Hektar ist für die Umwelt eine größere Katastrophe als ein 1000-Schwei-nebetriebe, der das Futter auf einer eigenen Fläche von 200 Hektar produziert und die Gülle dort ausbringt.

FURCHE: Das soll eine Familie bewältigen?

SCHNEIDER: Ja, sicher. 40 bis 50 Hektar Ackerbau und 800 Schweine -das läßt sich machen. Dazu müssen jene, die diese Größenordnung erreichen wollen, genügend Zeit haben, um sich dorthin zu entwickeln. Andererseits müssen genügend Bauern, die etwa an der Altersgrenze sind, ausscheiden oder andere sich auf bestimmte Produktionen spezialisieren.

FURCHE: Mehr Effizienz in der Agrarproduktion würde also die Probleme lösen?

SCHNEIDER: Auf einem größeren europäischen Markt sitzen die Bauern in einem Boot mit der Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Und in diesem Industriezweig sieht es auch nicht gut aus. Die Molkereien, Schlachthöfe xicter,Mühten „sind .in Ästeraiinh ja1 zahlreich, zu klein, zu wenig rationell. Probleme gibt es auch beim Marketing in der Ernährungswirtschaft.

FURCHE: Unterscheidet sich Österreich diesbezüglich von den EG-Ländern?

SCHNEIDER: Wir hatten ja bisher die Situation, daß man den Konsumenten nicht wirklich umwerben mußte, denn: Der Bauer ist verpflichtet, seine Milch an eine bestimmte Molkerei zu liefern. Diese hat ein regionales Monopol für Rohmilch. Der Einzelhandel kann wiederum nur bei einer bestimmten Molkerei kaufen. Und die Importe sind gedrosselt. Also muß man sich nicht wirklich um den Absatz bemühen.

Es gibt daher kaum Marken, die im Bewußtsein des Konsumenten fest verankert sind. Und im Export ist die Lage noch schlechter. Österreich exportiert nur „no-name-Produkte". Als österreichische Spezialität kennt man bestenfalls die Mozartkugel. Und dabei stoßen wir überall auf volle Märkte. Es wird nicht leicht sein, dort anzukommen. Aber es ist der einzige Weg.

FURCHE: EG als einzige Lösung?

SCHNEIDER: Man sollte das EG-Problem nicht isoliert sehen. Sicher heißt EG für die Bauern tiefere Preise. Aber die kommen so oder so. Denn die Alternative zur EG ist nicht, daß alles so bleiben kann, wie es bisher ist. Es steht der GATT-Abschluß vor der Tür. Da sind die Vereinbarungen schon sehr weit gediehen. Und dann haben wir auch die Öffnung des Ostens. Viele der östlichen Nachbarstaaten, vor allem die Ungarn haben große Vorteile in der landwirtschaftlichen Erzeugung.

Unsere Bauern und unsere Nahrungsmittelindustrie kommen auf jeden Fall unter Druck - mit und ohne EG. Und so kann man durchaus argumentieren, daß dieser Druck unter Jflrp Janb jter £S? jwgxar leichter auszuhalten sein wird.

Dr. Matthias Schneider ist Referent am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) in Wien.

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