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Nur keine „heißen Eisen”

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Vom 11. bis 22. Februar war es wieder einmal soweit: die Berlinale, das wichtigste Filmfestival im deutschsprachigen Raum hatte ihre Tore geöffnet. Zum 43. Mal übrigens seit ihrer Premiere im Jahr 1950.

Das Programm heuer war umfangreich und vielfältig. Im Wettbewerb konkurrierten mehr oder weniger kommerzielle Filme aus allen Teilen der Welt um den „Goldenen Bären”. Eine Hommage an Gregory Peck und eine Retrospektive ermöglichten eine (Wieder-)Begegnung mi{ dem Kino vergangener Jahrzehnte. Das 16. Kinderfilmfest zeigte zehn Kinderfilme aus unterschiedlichen Kulturkreisen.

Daneben gab es noch einige Reihen, deren Zielpublikum die eingefleischten Kinospezialisten waren, solche, die sich auch für Dokumentationen interessieren oder für Produktionen aus exotischen Filmländern wie Syrien oder Burkina Faso.

Daß angesichts dieser Vielfalt schier unglaubliche Gegensätze aufeinanderstießen ist klar. Einigkeit herrschte unter den Filmfachleuten jedoch darüber, daß die interessantesten Streifen nicht unbedingt im Wettbewerb zu finden waren.

Klischees vor Zeitgeschichte

Ein Streifen, der demnächst ins Kino kommt, ist zum Beispiel „Jimmy Hoffa” von US-Regisseur Danny DeVito, die Titelrolle spielt Jack Nicholson. Er verkörpert einen charismatischen Gewerkschaftsführer, der es im Lauf der Jahre schafft, bis in die allerhöchste Politik vorzudringen und geprägt ist von einem Wechselspiel aus sozialem Engagement und persönlicher Machtgier. Verbindungen zum organisierten Verbrechen kosten Hoffa schließlich das Leben.

So zumindest will es der Film. In Wirklichkeit ist der Gewerkschaftsführer James R. Hoffa 1975 einfach verschwunden. Unter bis heute ungeklärten Umständen.

Der Film hätte einen Einblick geben können in ein Stück amerikanischer Zeitgeschichte. Er hätte Aufschluß geben können über die amerikanische Arbeiterbewegung. Er hätte das Porträt eines umstrittenen aber sicher interessanten Menschen zeichnen können.

Tatsächlich verfilmt ist nichts von alledem. Der Streifen bleibt oberflächlich und strotzt von Klischees (Männerfreundschaft auf Biegen und Brechen, Läuterung im Gefängnis).

Ebenfalls enttäuschend oberflächlich bleibt der neue Film von Stephen Frears. „Ein ganz normaler Held”, so der deutsche Titel, erzählt die Geschichte des kleinen Gauners Bernie Laplante (Dustin Hoffmann), derquasi zufällig an einem brennenden Flugzeug vorbeikommt und die 54 darin eingeschlossenen Personen befreit. Nach der Rettungsaktion verschwindet er wieder in die Nacht. Erst als ein privater Fernsehsender eine Million Dollar auf den Helden aussetzt und sich ein anderer (Jungstar Andy Garcia) für den Gesuchten ausgibt, tritt Laplante wieder auf den Plan. Auf zahlreiche Turbulenzen, Wortgefechte und jugendfreie Liebesszenen folgt '— wie nicht anders zu erwarten - das Happy-End.

Die schauspielerischen Leistungen von Hoffmann und Garcia sind großartig, die Dialoge sind einfallsreich, die Technik ist perfekt. Eigentlich ein guter Film bis auf die Tatsache, daß gesellschaftspolitische Probleme wie Obdachlosigkeit und Beeinflussung durch Medien (Stichwort Reality-TV) , auf regelrecht unmoralische Art und Weise verniedlicht beziehungsweise einfach als willkommenes Element in die Handlung eingebaut werden. Von Gesellschaftskritikkeine Spur, weder in „Jimmy Hoffa” noch in „Ein ganz normaler Held”, obwohl das von der Handlung her gesehen durchaus drin wäre. Es wäre wohl nicht Amerika...

Ganz ähnlich geht übrigens der norwegische Film „Der Telegrafist” (basierend auf einer Novelle von Knut Hamsun) vor. Erzählt wird die Geschichte des Erfinders Rolandsen und der Alltag im nördlichen Norwegen zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Probleme wie soziale Unterschiede, sexuelle Ausbeutung von Frauen (namentlich von Dienstmädchen) und Doppelmoral werden angesprochen. Nur geschieht dies auf so verharmlosende Weise, daß ein Bild entsteht, das mit der damaligen Realität wohl kaum etwas zu tun hat. „So schlimm war's doch gar nicht” - scheint die Botschaft dieser Filme zu lauten.

Dritte-Welt-Realität

Wie schlimm es wirklich war (und ist), zeigten dafür Filme aus anderen Berlinale-Reihen. Besonders Produktionen aus Ländern der Dritten Welt und aus dem ehemaligen Ostblock. Darin wurden sehr wohl heiße Eisen aufgegriffen, etwa die Streiks im Herbst 1988 in Algerien vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die ihren Weg sucht zwischen islamischem Fundamentalismus und westlicher Lebensart.

Bedauerlich dabei ist, daß diese nicht ausschließlich kommerziellen Filme kaum je in unsere Kinos kommen werden. Obwohl vermutlich ein Publikum dafür vorhanden wäre. In Berlin jedenfalls waren diese Filme regelmäßig ausverkauft.

Sicher in unsere Kinos hingegen kommt der österreichische Film „Mit Verlust ist zu rechnen” („Good News”) von Ulrich Seidl. Die Handlung ist nebensächlich. Es geht um das Leben in einem tschechischen und in einem österreichischen Grenzdorf, um den Umgang von Tschechen und Österreichern miteinander. Die Darstellung der Personen ist geprägt von Menschenverachtung und Arroganz des Regisseurs. Als österreichischer Zuschauer müßte einem dabei die Schamesröte ins Gesicht steigen, umso mehr als sonst kaum Beiträge aus Österreich in Berlin zu sehen waren (außer einer Konzertdokumentation und einem Kurzfilm).

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