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„Nur keine Langeweile“

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Erinnert man sich noch an das weltweite Echo, das im Sommer 1948 das erste große Tanzereignis nach dem Krieg auslöste? An den Wirbel, den es entfesselte — und an den Einfluß auf die Ballettrenaissance, nicht nur' an deutschen Bühnen? Es geschah zu München, im Prinzregententheater, „Abraxas“ war der Titel des Balletts, dessen Libretto sich der Komponist nach einer sehr eigenwilligen und originellen Version der Faust-Sage durch Heinrich Heine selbst geschrieben hatte. Marcel Luipart hatte das aus fünf Bildern bestehende Ballett choreographiert, zum erstenmal kamen Tänzerinnen aus Paris, die sich mit dem Ensemble der Bayerischen Staatspper vereinigten. Das dritte Bild, „Pandämo-nium“, hatte Anstoß erregt. Aber nicht bei der Uraufführung und an den folgenden fünf Abenden, sondern erst einige Wochen später, als „Abraxas“ nicht mehr ins Herbstprogramm übernommen werden durfte — eine Entscheidung des damaligen Kultusministers.

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Erinnert man sich noch an das weltweite Echo, das im Sommer 1948 das erste große Tanzereignis nach dem Krieg auslöste? An den Wirbel, den es entfesselte — und an den Einfluß auf die Ballettrenaissance, nicht nur' an deutschen Bühnen? Es geschah zu München, im Prinzregententheater, „Abraxas“ war der Titel des Balletts, dessen Libretto sich der Komponist nach einer sehr eigenwilligen und originellen Version der Faust-Sage durch Heinrich Heine selbst geschrieben hatte. Marcel Luipart hatte das aus fünf Bildern bestehende Ballett choreographiert, zum erstenmal kamen Tänzerinnen aus Paris, die sich mit dem Ensemble der Bayerischen Staatspper vereinigten. Das dritte Bild, „Pandämo-nium“, hatte Anstoß erregt. Aber nicht bei der Uraufführung und an den folgenden fünf Abenden, sondern erst einige Wochen später, als „Abraxas“ nicht mehr ins Herbstprogramm übernommen werden durfte — eine Entscheidung des damaligen Kultusministers.

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Nun, was da auf der Bühne vorging — wir halben es ja auch in Wien und andernorts gesehen — war damals vielleicht etwas ungewöhnlich. Heute wunde man ohne weiteres eine Maturaklasse in dieses Stück scbik-ken. Aber leider geriet Egks Ballett ins Schußfeld politischer Auseinandersetzungen über künstlerische Freiheit u. a. Die Folgen des Verbotes waren, daß im Jahr darauf sich in Hamburg eine ad hoc zusame.n-gestellte Ballettcompagnie bildete, die zunächst durch die deutschen Lande zog und dann das Ballett auch ins Ausland brachte, während die Städtische Oper Berlin über lOOmal ihre von Jeanine Charrat choreo-graphierte Eigenproduktion zeigen koninte. Und heute sind die Abraxas-Auiffühnungen überhaupt kaum. mehr zu zählen — wie übrigens auch die einiger anderer Werke, die Egk für die Musikbühne schrieb. Die wichtigste Folge des Münchner Abraxas aber war die Rehabilitierung des klassischen Balletts, das in den zwanziger und dreißiger Jahren in Deutschland fast ganz dem Ausdruckstanz gewichen war. Später vereinigten sich dann noch andere Strömungen in Ider gleichen Richtung (aus Leningrad, London und der amerikanischen Compagnie Balan-chines) zum Siegesaua des klassischen Balletts, das heute, zumindest als „Basis“ fast alller modernen Choreographien, durchaus dominierend ist.

Immer wieder hat Werner Egk seinen Beitrag zu dieser Gattung geleistet. Bereite 1940 hatte er „Joan von Zarissa“ geschrieben, eine dramatische Tanzdichtung über den Don-Juan-Stoff mit zehnstirnrnigen Vokal'interludien auf Texte von Oharies d'O-nleans. — Hierauf folgte ein leichtes, halbstündiges Ballett nach einer Idee von Faul Strecker, das 1950 an der Städtischen Oper Berlin, von Jeanine Charrat choreographiert, uraufgeführt wurde. — Darnach wieder etwas ganz anderes: „Die chinesische Nachtigall“ nach Hans Christian Andersens Märchen, 1953 an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt, Choreographie:

Tatjana Gsovsky, Ausstattung: Helmut Jürgens, mit Werner Egk als Dirigenten am Pult. — Die „Französische Suite nach Rameau“ von 1952 ist eine äußerst effektvolle, brillant instrumentierte Ballettfassung der gleichnamigen Orchestersuite, und der letzte Satz, „Les Tourbillons“, ein richtiger Konzert- und Tanzschlager. — Durch eine ausgedehnte Seereise angeregt wurden die „Variationen über ein karibisches Thema“, die unter dem Titel „Danza“ 1960 wieder in München uraufgeführt wurden. Das letzte Ballett Egks, von dem wir Kenntnis haben, ist „Casanova in London“, 1968 uraufgeführt, aber bei uns noch nicht präsentiert.

Als Komponist ist Egk niemandes Schüler und hat sich auch nie einer bestimmten kompositorischen Technik beidient, weder der Dodekapho-nik noch serieller Praktiken samt Aleatorik usw. Die einzigen nachweisbaren Einflüsse kommen, obwohl er eine Zeitlang mit Carl Orff arbeitete, von Strawinsky und — aus Frankreich. Und zwar nicht nur von Debussy und Ravel, sondern von der gesamten französischen Kultur, ihrem Formsinn, ihrem wachen Kunstverstand, ihrem „Rationalismus“, der die Bezauberung — von den altrörnischen Künstlern als „in-cantatio“ bezeichnet, nicht ausschließt — und von deren Raffinement. In mehreren Orchesterwjrken, vor allem aber in der „Französischen Suite“ und in „La Tentation de Saint Antoine“ nach- Arien und Versen des Dixhuitieme für Alt, Streichquartett oder Streichorchester, hat Egk der romanischen Kultur Reverenz erwiesen. Doch soll hier hauptsächlich vom Musikdramatiker Egk die Rede sein.

Dieser begann, recht ungewöhnlicherweise, mit von ihm erfundenen Funkhörspielen, einer Gattung, die von dem damals wohl modernsten Sender Europas, der „Berliner Funkstunde“, wo auch Kurt Wenll arbeitete, gefördert wurde. „Zeit im Funk“ hieß der erste Versuch für einen Tenor, .Männerstimmen und zwei Sprecher mit Begleitung eines kleinen Orchesters. „Sie nören jetzt von Ereignissen, welche sich zwischen dem 1. Oktober und 1. November 1929 zutrugen.“ Und dann folgten Tages-meldungen ... „Binundneunaig Tage“ hieß der zweite Versuch, danach schrieb er Singspiele für Kinder in Fabelform.

In München hatten sich inawischen die Komponisten Orff, Marx, Büchtger und Egk zur „Vereinigung für zeitgenössische Musik“ zusammengeschlossen. Hermann Scherchen förderte die Bestrebungen dieses Kreises, und bei den Musikfestwochen 1931 wurde Werner Egks erste größere Arbeit, das Oratorium „Furchtlosigkeit und Wohlwollen“ auf einen eigenen Text mach einer indischen Fabel uraufgeführt. (Für die Wiener Konzerthausgesellsehaft hat Egk dies Jugendwerk als Beitrag zu den Wiener Festwochen 1959 neu komponiert.)

Im Auftrag des Bayerischen Rundfunks entsteht sein erstes aufsehenerregendes Werk „Columbus“ mit dem Untertitel .^Bericht und Bildnis in idrei Teilen“. Zehn Jahre später machte Egk au.l dieser Radio-Oper eine Bühnenfassung, die 1942 von den Städtischen Bühnen Frankfurt in Bühnenbildern von Helmut Jürgens und von Franz Koniwitschny dirigiert, uraufgeführt wurde. Hier hat Egk zum ersten Mal einen großen Apparat in Bewegung gesetzt: ein halbes Dutzend Gesangspavtien nebst Sprechrollen, Chor und Ballett sowie ein mittelstarkes Orchester und eine kleine Bühnenmusik.

Dann wandte sich Egk der Oper im engeren Sinn zu und schrieb 1935 nach einem Text von Pocci, gemeinsam mit Ludwig Andersen, die Oper „Die Zaubergeige“, die noch im gleichen Jahr in Frankfurt uraufgeführt wunde und von der er 1954 eine Neufassung herstellte. — 1938 folgte, auf einen eigenen Text nach Ibsens bekanntem Stück, „Peer Gynt“, in der Berliner Staatsoper unter seiner Leitung uraufgeführt. Und diese damals allzu kühne Musik brachte ihm die ersten Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt. — 1955 komponierte Egk für die Salzburger Festspiele die „Irische Legende“, wieder auf einen eigenen Text nach William Butler Yeats, „Gräfin Cathleen“ nach einer alten Legende aus dem Keltischen, zu dessen Renaissance Yeats (1865 bis 1939) viel beigetragen hat und wofür er 1923 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wunde. Die Uraufführung erfolgte am 17. August 1955 im Rahmen der Salzburger Festspiele in der Inszenierung von O. F. Schuh in den phantastischen Bühnenbildern

Caspar Nehers und unter der musikalischen Leitung von George Szell. 1970 machte Egk eine Neufassung, die von Antoine Golea ins Französische übertragen wunde.

Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen diesem Sujet und dieser Musik und dem im Jahr darauf bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführten „Der Revisor“, einer komischen Oper in fünf Akten nach Nikolai Gogols bekanntem Stück, nach dem sich Egk wieder den Text selbst geschrieben hatte. Nicht weniger als 25 Bühnen haben den „Revisor“ nach seiner Premiere am 9. Mai 1957 (Regie: Günther Rennert, Dirigent: der Komponist mit dem Ensemble der Württembergischen Staatstheater) angenommen und inzwischen unzählige Male aufgeführt, und er blieb auch bis heute, im Jahr von Egks 75. Geburtstag, ein Bühnenhit. — Sehr typisch ist, daß in 'dieser „russischen Oper“ Egk nicht die gesamte russische Kunst-imiusik konsultiert, sondern sich für die 22 Nummern, aus denen iclas labendfüllende Werk besteht, von der altrussischen Folklore inspirieren ließ.'

Erwähnen wir wenigstens noch „Die Verllabung in San Domingo“, nach Kleists bekannter Novelle 1963, .zur Eröffnungsfestwoche des Bayerischen Nationaltheaters, mit dem Komponisten am Pult uraufgeführt ((Regie: Günther Rennert, Ausstattung: Theo Otto). Und schließlich die Opera semibuffa „Siebzehn Tage und vier Minuten“ (die bei uns noch nicht au hören war) nach Calderöns „El mayor encanto amor“.

Das zentrale Thema fast aller Bühnenwerke Egks ist die freie Seibstverantwortung des Menschen.

Er distanziert sich damit: einerseits vom roiman tischen Rausch- urjd Affekttheater, anderseits vom epischen Lehrstück in der Art Brechts und Weills, das den Menschen als Marionette zeigt, die nach den Normen und Gesetzen gewisser gesellschaftlicher Zustände agiert und reagiert. Was Egk also interessiert, ist nicht der psychologisch-neurotische Sonderfall, sondern das Allgemeingültige, Menschliche, jenseits zeitlicher und sozialer Bedingungen: der Mensch in der Entscheidung. Daher wind in den meisten Opern Egks — wie übrigens auch in denen Gottfried von Einems — bevor sich der Vorhang schließt, Gericht gehalten über den Helden. So hat sich Columbus vor Isabella zu verantworten, Peer Gynt vor Solveig, Don Juan vor seinen Opfern, Abraxas am Höllentor vor seinen Gegenspielern, und in der „Irischen Legende“ steht ebenfalls eine ethische Entscheidung im Mittelpunkt.

Vor allem aber wollen Egks musikdramatische Werke gute Unterhaltung bieten. In dem ebenso gedankenreichen wie witzigen „Lochhamer Opernbrief“ (nach dem bis vor kurzem ständigen Wohnsitz des Komponisten so genannt) beschreibt er seine Gefühle und Gedanken, wenn er, als Musiker vom Bau, gewissermaßen „auf Urlaub“ einmal in die Oper geht. Da stellte sich, nicht nur bei ihm, oft Langeweile ein: infolge Univerständilichkeit des Textes — der oft auch schlecht ist; infolge der durch Arien und Koloraturen übermäßig zerdehnten Handlung (zauberhaften Gesängen zuweilen, die aber der theatralischen Spannung abträglich sind). Und die Folgen: Nicht nur er, sondern auch seine Nachbarn bekamen zuweilen „Schlafaugen“. Das, nahm er sich vor, sollte dem Besucher seiner Werke nicht passieren.

Und wie begegnet man dem als Musiker? Durch einfache Formen, gute Proportionen, plastische, einprägsame Themen und interessante (Instrumentierung. — Erfreulich, daß Egks Liebe au Frankreich nicht unerwidert blieb: Man spielt und tanzt dort nicht nur häufig seine Werke, sondern er hat auch zahlreiche Komponistenfreunde jenseits der Grenze, und der in Le Havre geborene frankophone Arthur Honegger, der übrigens zur Pariser Gruppe der Six gehörte, bestätigte ihm: „Die Musik von Werner Egk ist vor allem lebendig, kraftvoll und farbig. Ihre Stärke stammt aus den gleichen Quellen, die die Meisterwerke unseres Jahrhunderts gespeist haben. Seine Musik begnügt sich keineswegs mit der Rückwendung au klassischen Formeln, die uns so häufig enttäuscht haben. Egks Sprache ist direkt, ur-twüchsig, häufig voll Charme, sie berührt den Hörer unmittelbar und ist allgemein verständlich.“ Besseres läßt sich über einen Komponisten wohl kaum sagen.

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