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Nur keine Moralpauke

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Aids: Eine unheilbare Krankheit wurde zum Medienschlager. Nicht weitere Details bieten die folgenden drei Beiträge, sondern Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem.

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Aids: Eine unheilbare Krankheit wurde zum Medienschlager. Nicht weitere Details bieten die folgenden drei Beiträge, sondern Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem.

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Die Tatsache, daß Familienangehörige eines Aids-Erkrankten nicht unmittelbar gefährdet sind — ausgenommen der Sexualpartner —, verstärkt die bisherige Erfahrung, daß eine Ansteckung vornehmlich durch intime Sexualkontakte und Verletzungen, die zu Blutungen führen, erfolgte. Das Ansteckungsrisiko ist besonders hoch, wenn solche Kontakte mit häufig wechselnden Partnern vorgenommen werden.

Es liegt nahe, daß in diesem Zusammenhang „Moralprediger” von einer „Strafe Gottes” für wähl- und zügelloses Sexualverhalten sprechen. Eine solche Redeweise erscheint jedoch abwegig, ja unhaltbar.

Sie entlarvt zunächst eine gewisse Fixierung von „Sittlichkeit” und „Moral” auf das Sexualverhalten, aus der wir uns Gott sei Dank innerhalb der christlichen Moral in den letzten Jahren gelöst haben. Wenn man zudem Krankheit, Mißgeschick und Unglück als „Strafe Gottes” ansieht, dann müßte man in gleicher Weise die heute aufbrechenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit, Armut in der Dritten Welt und so weiter als „Strafe Gottes” für gottloses Verhalten bezeichnen.

Das Alte Testament kennt ähnlich wie alle übrigen Religionen durchaus ein solches „Zornmo-dell”, wonach negative Erfahrungen, Unglück und Krankheit als „Strafe Gottes” gedeutet werden. Einer solchen Sicht liegt noch ein Ausgleichsdenken zugrunde, das zumindest im Neuen Testament von Jesus nicht mehr beibehalten wird.

Angesichts eines blind Geborenen fragen die Jünger Jesus, wer denn gesündigt habe: er oder seine Eltern, daß dieser blind geboren wurde? Die Antwort Jesu aber lautet: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden” (Jo 9,3).

Der kranke Mensch als solcher bedarf unserer Hilfe — unabhängig davon, ob und inwieweit diese Krankheit von einem Verhalten verursacht wurde, das unter bestimmten Wertvorstellungen sittlich nicht zu billigen ist. Zudem gibt es ja auch anderweitige Ansteckungsgefahren. Es wäre darum ebenso verfehlt, bei einem Aids-Erkrankten von vornherein anzunehmen, daß er einer der genannten Risikogruppen angehört.

Eine Rückkehr zu einer überholten Moralkasuistik, wie sie in der Vergangenheit im Bereich des Sexualverhaltens üblich war, erweist sich nicht als richtiger Weg. Sie könnte wieder zu einer erst überholten leibfeindlichen Einstellung gegenüber der menschlichen Sexualität führen.

Im übrigen kommt dem Erwachsenen eine Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seiner leiblichen Integrität und der von ihm aufgenommenen sexuellen Beziehungen zu, die gesellschaftlich so lange nicht gesetzlich reglementiert werden sollte, als auch in schwerwiegender Weise Rechte anderer nicht verletzt werden.

Der Ethiker wird jedoch zu einem höheren Maß an Eigenverantwortung aufrufen und hierfür entsprechende Hilfeleistungen vermitteln. Eigenverantwortung schließt mit ein. daß die Folgen des Tuns für den Betreffenden und für die gesamte Gesellschaft berücksichtigt werden.

Solche größere Eigenverantwortung tut uns nicht nur im Bereich der zwischenmenschlichen partnerschaftlichen Beziehungen, sondern erst recht in unserem gesamten Sozialverhalten und in unserer Einstellung zur Umwelt not.

Die Tatsache, daß es nicht wenige Menschen gibt, die das Aids-Virus in sich tragen, legt es nahe, Reihenuntersuchungen (Screenings) anzubieten oder im Interesse der öffentlichen Gesundheit sogar zu fordern. Zunächst dürfte eine solche Situation — wenngleich sie im Rahmen einer rapide um sich greifenden Seuche denkbar wäre — bei uns noch nicht gegeben sein.

Um gerade eine solche Situation nicht entstehen zu lassen, bedarf es vielmehr einer weitreichenden Aufklärung und einer entsprechenden Hinführung zur Eigenverantwortung, ohne daß dabei eine nicht zu verantwortende Angst geschürt wird.

Der Ethiker wird durchaus auf jene Gefahr bringenden gesellschaftlichen Tendenzen verweisen, die im Zusammenhang mit seiner „sexuellen Befreiung” gegeben sind: Wo Freiheit als unpersönliche Begegnung sexueller Erlebnisse verstanden wird und sexuelle Akte ohne jede personale Bindung immer wieder sporadisch gesucht werden, wird schließlich eine Triebverhaftung im Sinne der Sucht nach stets stärkeren Reizen entstehen.

Auf diesem Hintergrund erscheinen die inzwischen als Vorsorgemaßnahmen vorgeschlagenen Empfehlungen „weg vom harten Sex zu einem safer sex” bedeutsam, wenn sie verstanden werden als Aufruf zu einer stärkeren Personalisierung vorhandener sexueller Beziehungen.

Auf Grund negativer Erfahrungen erweist sich auch die so naiv proklamierte Forderung eines „Recht auf Sex” als Weg in eine Sackgasse. Aids-Erkrankte wie Träger des Aidsvirus sind Menschen, die gewissermaßen unter einem „Damoklesschwert” leben und in besonderer Weise auch der Zuwendung und Hilfe der Gesunden bedürfen. Jedenfalls könnte gerade unser Verhalten zu Aids und den davon Betroffenen beispielhaft dafür sein, wie ernst wir es mit der christlichen Nächstenliebe und mit dem christlichen Glauben als Frohbotschaft, die Hoffnung vermittelt, nehmen.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Universität München, sein Beitrag ein Auszug aus „Aids-Forschung”, Heft 12 vom Dezember 1986.

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