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Nur Kirche kann gegen Kommunismus kämpfen

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Die russisch-orthodoxe Kirche feiert heuer ihr Millennium. Trotz der Umklammerung durch den Kommunismus lebt diese Kirche. Über ihre Lage 70 Jahre nach Beginn des Kirchenkampfes ein Dossier von Franz Gansrigier.

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Die russisch-orthodoxe Kirche feiert heuer ihr Millennium. Trotz der Umklammerung durch den Kommunismus lebt diese Kirche. Über ihre Lage 70 Jahre nach Beginn des Kirchenkampfes ein Dossier von Franz Gansrigier.

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Ich komme aus einem Land, in dem es professionelle und „gläubige“ Atheisten gibt. Ich habe sie nicht nur gesehen und kennengelernt, sondern wurde zu Hause, im Kindergarten und in den Schulen auch in diesem Geist erzogen.

Ich erinnere mich, daß in unserer Wohnung eine alte Frau aus Leningrad lebte, die eine Bibel und eine Ikone besaß und auch betete. Das war nach dem Krieg. Ich war zehn/elf Jahre alt, und es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich jemanden beten sah. Das war für mich nicht nur lustig, sondern sogar absonderlich.

Im Gymnasium diskutierten wir über viele Probleme. Auch über Politik (man konnte schon, Stalin war bereits tot), nicht aber über Religion, die war indiskutabel. Ein Bursch aus unseren Kreisen, Sohn des ehemaligen KGB-Chefs Arutunow, arbeitete beim Bischof in Perm als Sekretär. Er erzählte, wieviel dieser trinke, welches Auto er habe, über dessen Beziehungen zu Frauen. Ich weiß natürlich nicht, wieviel Wahrheit in seinen Erzählungen steckte. Aber alles paßte zu meinem Bild von der Kirche.

1959 - mit zwanzig - ging ich nach Moskau an das Pädagogische Institut. Von dort wurde ich bald ausgeschlossen und in der Folge auch von den Komsomolzen, der Jugendorganisation der Partei. Ich war nämlich ein zu „guter“ Kommunist, stellte zu viele Fragen und hatte auch Verbesserungsvorschläge. Dennoch schaffte ich es, mit nicht ganz korrekten Papieren an die Universität zu kommen. Studieren dürfen nur Komsomolzen.

Aber ich war erbost und begann zu denken. Ich suchte mich bereits von allen offiziellen Lügen zu lösen. In der Folgezeit beschäftigte ich mich viel mit theosophischen Problemen, nicht mehr bloß aus politischen Gründen. Irgendwann ging ich dann in die Moskauer russisch-orthodoxe Kirche. Ich versuchte nicht zu hören, was man über das Regime redete; es gelang mir aber nicht, ich hörte immer die sowjetische Tendenz heraus. Durch meine theosophischen und philosophischen Studien war mir schon klar, daß nur die Kirche gegen den Kommunismus ankämpfen könne. Die Moskauer Kirche und ihre Priester waren nicht schlecht, aber nicht ideal. Ich versuchte sie zu verstehen. Sie wollten die Kirche retten und irgendwie erhalten. Sie beteten auch für die Partei, für die Regierung und einzelne Politiker.

Durch einen glücklichen Zufall begegnete ich Anatolij Lewitin-Krasnow, durch den ich mit vielen Studenten der Theologischen Akademie bekannt wurde, die fast allesamt mit der offiziellen religiösen Linie nicht einverstanden waren. Ich war auch dagegen, aber schon eindeutig für die russisch-orthodoxe Religion.

1969 - als Dreißigjähriger -wurde ich getauft, in einer Moskauer Kirche. Mein Taufpate war Lewitin-Krasnow — ebenso wie mein Taufpriester politischer Häftling in der Stalinzeit. Kurz nach meiner Taufe wurde Lewitin-Krasnow erneut verhaftet, bekam drei Jahre Gefängnis. Heute lebt er als christlicher Schriftsteller in der Schweiz.

Durch meine Beschäftigung mit illegaler Literatur befürchtete ich eine baldige Verhaftung. Und tatsächlich: im September 1970 wurde ich meiner politischen Aktivitäten wegen (Paragraph 70 - Antisowjetische Agitation und Propaganda) angeklagt und zu drei Jahren Lager verurteilt.

Somit war ich ein „besonders gefährlicher Verbrecher“ und als solcher mit anderen „Politischen“ gesondert von Kriminellen inhaftiert. Da wir sowieso aus politischen Gründen verurteilt waren, achtete kein Mensch auf unsere Gespräche. Wir hatten Redefreiheit. Vielleicht der einzige Ort in der UdSSR, wo das möglich ist. Die Kriminellen werden überwacht und haben bei freimütigen Äußerungen mit Sanktionen zu rechnen.

Wir hatten geschmuggelte Bibeln. Es gab auch illegale Gottesdienste. Im Gefängnis war das noch etwas schwierig, weil sich in den Zellen bis zu acht Personen befinden. Im Lager gab es schon mehr Möglichkeiten und auch Priester verschiedener Religionen. Normalerweise werden die Gottesdienste beim Spaziergang abgehalten.

Nach meiner Entlassung 1976 bis zu meiner Emigration 1977 wohnte ich in einer kleinen Stadt, wo ich die Bekanntschaft mit einer Gruppe junger russisch-orthodoxer Leute machte, die sich „Christliches Seminar“ nannte. Als ehemaliger Politischer konnte ich nicht aktiv mittun, da ich sie nur in Gefahr gebracht hätte. Ich war ein gläubiger Mensch. Wollte aber nicht in die Kirche gehen, da ich nicht andächtig den Worten eines möglicherweise KGB-Be-amten lauschen konnte.

Der Autor, 1939 in Perm geboren, studierte in Moskau russische Sprache und Literatur und wirkte in der Samisdat-Bewegung mit Drei Jahre verbrachte er im Wladimir-Gefängnis und drei Jahre in einem Lager nördlich von Perm. Seit 1977 in Wien.

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