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Nur mehr Erkenntnis kann Mißtrauen verhindern
Vor dem Internationalen Philosophenkongreß in Düsseldorf sprach Univ.-Prof. Manfred Eigen, München, über die ethische Dimension der biologischen Forschung. Mit dem deutschen Nobelpreisträger sprach FURCHE-Mitarbeiter Helmut Kohlenberger.
Vor dem Internationalen Philosophenkongreß in Düsseldorf sprach Univ.-Prof. Manfred Eigen, München, über die ethische Dimension der biologischen Forschung. Mit dem deutschen Nobelpreisträger sprach FURCHE-Mitarbeiter Helmut Kohlenberger.
FURCHE: Wie sehen Sie die ethische und politische Dimension der biologischen Forschung auf dem Hintergrund der heutigen erkenntnistheoretischen Problematik der Biologie?
EIGEN: Man sollte zuerst das erkenntnistheoretische vom ethischen
Problem unterscheiden. Uber das erkenntnistheoretische Problem läßt sich heute viel mehr sagen als etwa vor zehn Jahren, als Jacques Monod sein Buch schrieb, in dessen Titel die Komplementarität von Zufall und Gesetz zum Ausdruck kam. Er hat dem Zufall den Vorzug gegeben; das ist heute durch Theorien, die das evo-lutive Geschehen als einen deterministischen Prozeß beschreiben, etwas eingeschränkt worden. Keineswegs ist eingeschränkt worden, daß die historische Route immer noch eine rein zufällige ist, da das zufällige Elementarereignis verstärkt wird, dadurch makroskopisch zur Abbildung kommt
Gesetzmäßig ist die Richtung vorgegeben, es entwickelt sich vom Einfachen zum Komplexeren, zum höher adaptierten Organismus hin. Es handelt sich um Gesetzmäßigkeiten des Nichtgleichgewichts, sie widersprechen keineswegs den Hauptsätzen der Thermodynamik, sie finden nur unter Energiezufuhr statt, etwa wie eine Maschine nur bei Energiezufuhr läuft.
Der Zufall spielt aber eine weit größere Rolle als in Physik und Chemie, weil der Elementarvorgang durch die große Zahl der Ereignisse nicht herausgemittelt wird. Wenn eine vorteilhafte Mutante erscheint, bricht das vorherige System zusammen, die neue Mutante wächst heraus. Dieses mikroskopisch unwahrscheinliche Ereignis bildet sich makroskopisch ab. Das bedeutet, daß der historische Prozeß in seiner De-
„Wie sollten wir das Problem der Zunahme der Weltbevölkerung lösen ohne ein Mehr an Erkenntnis?“
tailstruktur weitgehend zufällig ist. Aber diese Instabilität tritt nur dann auf, wenn eine wertvollere Mutante auftritt. Der Wertgradient wird deterministisch befolgt, es kann nicht plötzlich gegen diesen Gradienten etwas evolvieren.
FURCHE: Sind die Begriffe .Zufall“ I „Notwendigkeit“ überhaupt noch geeignet, die komplexen Phänomene zu beschreiben?
EIGEN: Vielleicht ist „Spiel“ eine treffendere Charakteristik dieses Wechsels von Zufall und Gesetz.
Beim Spiel würfelt man, ich kenne nicht die Absicht des Gegners, aber es gibt auch Regeln, nach denen ich vorangehe. Ein Spiel kann auch sehr komplex sein, wenn Sie an Schach denken. Wenn man von Zufall und
gehen, daß der Zusammenhang zwischen beiden auf sehr komplexer Ebene stattfindet Wenn etwas zufällig geschieht, dann muß es Alternativen geben. Aber man kann schon bei einem Münzwurf, bei dem es sich entscheidet, ob Kopf oder Adler kommt, vom Zufall sprechen, ob-schon die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent liegt. Es ist nur nicht vorhersagbar.
FURCHE: Würden Sie sagen, daß der Zufall von einem Noch-nicht-Wis-sen herrührt?
EIGEN: Die Physiker unserer Tage glauben, daß die Unscharfe der Elementarereignisse etwas Prinzipielles ist, daß wir uns unserer Erfahrung heraus in den Mikrokosmos etwas hineinextrapoliert haben, bei dem diese Zusammenhänge, die wir gewohnt sind, nicht mehr zutreffen. Die Vertreter zumindest der Kopenhagener Schule der Quantenmechanik sind der Ansicht, daß hier etwas prin-zipell in der Natur der Dinge Verankertes ist. Für die Fragestellung in
der Biologie spielt es keine Rolle, ob es eine prinzipielle Verankerung ist, oder ob es einfach Nichtwissen bedeutet. Schon die klassische Statistik hat so viele Zustände, daß wir unmöglich Detailzustände kennen. Für
genommen wird, ist es gleichgültig, wie der Zufall letztlich bedingt ist.
FURCHE: Von der Geschichtsphilosophie her hat man den Eindruck, daß eine Epoche der Menschheit zu Ende geht. Was wird aus dem Menschen?
EIGEN: Der Hauptgrund, daß eine Epoche zu Ende geht, ist das ungeheure Bevölkerungswachstum auf der ganzen Erde. Sie werden mit Recht einwenden, daß dies eine Folge der Lebensbedingungen ist, die durch die Wissenschaft geprägt wurden. Wie wir dieses Problem, das sich aus der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung ergibt, lösen wollen, ohne ein Mehr an Erkenntnis, könnte ich nicht sagen. Das heißt nicht, daß ein Mehr an Erkenntnis schon automatisch die richtige Lösung bietet. Die Annahme, daß es uns ohne Erkenntnis besser ginge, erscheint mir irrig zu sein. Die Entwicklung, die zu unserer heutigen Problemstellung führte, hat - so glaube ich - schon mit der Herstellung der ersten Werkzeuge eingesetzt.
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