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Nur mehr Spott und Hohn

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Das ZK-Plenum der jugoslawischen Kommunisten sucht einen Ausweg aus der Spaltung des Landes. Der Süden fordert Rückkehr zu sozialistischen Idealen, der Norden endlich neue politische Perspektiven.

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Das ZK-Plenum der jugoslawischen Kommunisten sucht einen Ausweg aus der Spaltung des Landes. Der Süden fordert Rückkehr zu sozialistischen Idealen, der Norden endlich neue politische Perspektiven.

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Ungarn färbt ab. Man hat es vernommen: Mit einer Fülle von Gründungen informeller Gruppen und alter Parteien, die nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 ausgeschaltet wurden, blüht östlich von Wien der politische Pluralismus. Und südlich der Drau träumt man dem nach - zumindest in Slowenien. Doch mit zwiespältigem Erfolg.

Denn was in Ungarn heute erlaubt wird, gilt gerade deshalb, weil es erlaubt wird, in Nicolae Ceausescus Rumänien als unumstößliches Tabu, als „Dekadenz“, die dem Sozialismus fremd sei. Und als hätte der serbische Parteiführer Slobodan Milosevic mit Ceausescu nicht nur gemeinsam, daß seine Ehefrau den gleichen Vornamen trägt wie Genossin Elena C, donnert er unaufhaltsam gegen die Ex’perimentierkü-che in der Nordwestecke des Vielvölkerstaates.

Das müsse alles rückgängig ge-

macht werden, was der slowenische Republiksparteichef Milan Kucan genehmige. Gemeint sind damit Versuche von Kommunisten und Nichtkommunisten gleichermaßen, innerhalb der „Sozialistischen Allianz Sloweniens“, einer Massenorganisation ähnlich einer bolschewistischen Volksfront (und in weiten Teilen Jugoslawiens auch in dieser Weise straff und leninistisch geführt), eine Sozialdemokratische Partei ins Leben zu rufen, eine Bauernpartei und eine Christlichdemokratische Union.

France Tomsic, der wohl berühmteste Arbeiter- und Streikführer Jugoslawiens, ist einer der „Umgestalter“. Er macht kein Hehl aus seinen Absichten: „Die kommunistischen Genossen haben es nicht geschafft, aus sich heraus die nötigen sozialen Reformen einzuleiten. Wir Sozialdemokraten streben deshalb ein solches politisches System an, in dem die Kommunisten nur die Rolle spielen sollen, die sie bei freien Wahlen von der Bevölkerung zugestanden bekämen. Es muß Schluß sein mit der privilegierten

Sonderrolle der Kommunisten als einzige Partei.“

Man weiß, fiele das Machtmonopol des „Bimdes der Kommunisten Jugoslawiens“, sähe es mit der Zukunft der Partei düster aus. Einer kürzlich im aufmüpfigen Wochenblatt „Mladina“ veröffentlichten Umfrage zufolge würden die Sozialdemokraten bei freien Wahlen in Slowenien 35 Prozent der Stimmen bekommen, Christdemokraten 20 Prozent, Grüne 18 und die KP lediglich neun Prozent.

Dieses niederschmetternde Ergebnis machteh sich Politclowns in Laibach letzte Woche zu eigen. Sie gründeten eine „illegale“ Partei mit dem Namen „A-A-A-A“. „Akademisch geprägte anarchistische Antivereins-Allianz“. Die Polit-Kunst-Formation will in der Tradition der polnischen „Orange Alternative“ (FURCHE 17/1988) und der ungarischen „In-connu“ zu Happenings und Spottgesängen auf den „surrealen Sozialismus“ aufrufen.

Man wolle sich gegebenenfalls bald wieder auflösen, sagen die Spötter, doch solange es eine KP gebe, brauche man eine „A-A-A-A.“

Ein „Argument“, das in den ersten Reaktionen in den Fühnmgs-etagen der Belgrader zentralen Parteiführung nicht mit einem herzlichen Lacher aufgenommen wurde, sondern mit bitterem Ernst. Anders als General Jaruzelski, der sich mit den Happenings der „Orange Alternative“ abgefunden hat, drangen aus dem serbischen Machtzentrum um Slobodan Milosevic, dem derzeit einflußreichsten Politiker Jugoslawiens überhaupt, böse Worte gegen Nordwesten. Die slowenischen Genossen duldeten all diese „Entgleisungen“, um ein Klima zu schaffen, sich aus dem krisengeplagten Land fortstehlen zu können, nötigenfalls in einem eigenen Staat.

Als erstes gelte es, „Mladina“ zu zügeln. Die Redakteure gehörten eingesperrt, fordert gar das Belgrader Parteiblatt „NIN“ und ruft zum Boykott slowenischer Waren auf.

Die Reaktion aus Slowenien ist nicht minder schroff. Mit dem balkanischen Süden wolle man nichts mehr zu tun haben, vor allem Serbien sei für die Mißwirtschaft selbst verantwortlich. Es sei der „demokratische Konsens“, die Suche nach neuen politischen Umgangsformen bis hin zum Mehrparteiensystem, den man im Norden gefunden habe und der soziale Unruhen, anders als im Süden des Vielvölkerstaates, verhindere.

France Tomsic, der eingesteht, daß die serbischen Massendemonstrationen dem „Volkswillen“ entsprächen, wie Milosevic behauptet, was aber die slowenischen und kroatischen Genossen leugnen: „Unser Land wird immer mehr zweigeteilt. Im Süden geht es um Erneuerung der Kommunistischen Partei, dort hat man den Glauben an das sozialistische System noch nicht verloren und meint, mit dem Rücktritt des Establishments ließe sich das Land aus der Krise führen.“ Auf der anderen Seite stehen die der mitteleuropäischen Tradition verhafteten Völker, die diesen Glauben längst aufgegeben haben und nach Perspektiven abseits des real existierenden Sozialismus suchen.

Partei wie Gesellschaft sind in zwei Lager gespalten. Die Polit-Sprache der letzten Zeit läßt Schlimmes befürchten.

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