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Nur Moral reißt mit

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Wenn die FPÖ tatsächlich eine betont liberale Partei sein will, muß sie verstärkt um ein ethisches Fundament bemüht sein. Nach Reder ist diese Forderung umso dringender.

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Wenn die FPÖ tatsächlich eine betont liberale Partei sein will, muß sie verstärkt um ein ethisches Fundament bemüht sein. Nach Reder ist diese Forderung umso dringender.

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Der Liberalismus hat bis jetzt außer einigen pragmatischen, altruistischen Grundsätzen keine moralischen Parolen aufgestellt. Er ist zu lange im Kampf mit Scheinheiligkei1|und leerer Moral gestanden, als daß er seine Erneuerung von der moralischen .Seite her betrieben hätte.

Doch ohne klar formulierte Moral gibt es keine tiefergehende Erneuerung. Auch die liberalen Politiker brauchen die moralische Parole, nicht nur als Korsett gegen Opportunismus und Ziellosigkeit für sich selbst und ihre Partei, sondern auch, um weitere Kreise zu erreichen. Denn mit der Vernunft spricht man nur den Intellekt an, das heißt eine ziemlich kleine Wählerschaft.

Die politische Werbekraft der Nächstenliebe und der sozialistischen Freundschaft und Brüderlichkeit ist unbestritten; denn diese beiden gewinnen das Gemüt, unterbauen das Vertrauen — auch wenn diese Worte kaum mehr ausgesprochen werden.

Vernunft klärt auf, Moral reißt mit - insofern man ihr glauben kann.

Und dann: Von den unmenschlichen Verirrungen, an die wir gerade in diesen Tagen wieder erinnert worden sind und die uns wie ein Bleigewicht anhängen, hält uns Vernunft allein nicht ab. Dazu sind starke, in jeder Periode neu zu formulierende, moralische Begriffe vonnöten.

Auch der Liberalismus — in seiner weiteren Entwicklung - wird seine besonderen, moralischen Parolen herausstellen. Sie werden sich wohl im Bereich dessen bewegen, was hier als das liberale Ethos beschrieben wird: Mitweltengagement im Rahmen der eigenen Persönlichkeitsentfaltung. Und sie werden sich auch auf die bisher schon hervorgekehrten liberalen Verhaltensweisen - besser Tugenden — stützen.

Mit dem Wort Tugend hat man bis jetzt fast nur die höher geachteten Verhaltensweisen der konservativen Epoche bezeichnet, nämlich: die Treue (man meinte vor allem die Vasallentreue), die Tapferkeit, die Gläubigkeit, den Gehorsam und die Ehrfurcht.

Diese sind yon den Dichtern aufs schönste verherrlicht worden und beherrschen auch heute noch unsere Schulbücher, während von den liberalen Tugenden erst wenige überhaupt einen rechten Namen haben und auch die anderen nur allmählich in unser Bewußtsein treten.

Einige Beispiele für liberale Tugenden:

Die Mitverantwortungsbereit-sckaft: Damit ist nicht nur die große Verantwortung, die der Politiker übernimmt, gemeint, sondern auch die Mitverantwortung, die der Unternehmer für seine Mitarbeiter und die Mitarbeiter für ihr Unternehmen fühlen. So etwas ist mehr als Partnerschaft.

Die Eigenständigkeit, das heißt das Bemühen um ein selbständiges Urteil und der Verzicht auf das bequeme, ungeprüfte Nachbeten gängiger Ansichten.

Die höhere Einsicht, das heißt die Uberwindung der sogenannten Primär-Reaktion, mit der man zum Beispiel einen Menschen fremder Hautfarbe oder eines anderen Dialektes von vornherein ablehnt.

Die Toleranz, das heißt jene edle Gesinnung, die dem anderen Raum läßt für sein eigenes Denken und Urteilen, der Verzicht auf aggressive Bekehrung und die Scheu, sich in die heiligen Bezirke des anderen einzumengen.

Dann: die Weltoffenheit, d.h. die Aufgeschlossenheit für das Neue, Fremde und Interessante, Erneuerungsmut, Zivilcourage, Menschlichkeit und Fairness in der demokratischen Auseinandersetzung.

Die Liste ist nicht vollständig. Zu ihrer Ergänzung müssen noch andere Köpfe und auch andere Umstände beitragen. Für jede besondere politische Situation sind ja besondere Tugenden herauszustellen.

Für alle diese Tugenden gilt eine Maxime, mit der sich die liberale Ethik von der Ethik der Religionen wohl etwas unterscheidet: Es sollen Tugenden sein, die den Menschen nicht überfordern. Also: Es sollen keine Extremtugenden sein, da solche doch oft zu Fanatismus oder Pharisäertum führen, sondern Tugenden, welche die vernünftige Mitte zwischen Genuß und Verzicht, zwischen Freizügigkeit und fester Ordnung und zwischen Reform und Bewahrung alter Werte halten, Verhaltensweisen, die das „rechte Maß” haben.

Nur dieses rechte Maß verhindert, daß extremer technischer Fortschritt die Umwelt zerstört und extremer Umweltschutz die Grundlagen unserer Zivilisation vernichtet.

Der Liberalismus diffamiert keines der naturgegebenen, materiellen Lebensziele: nicht den

Geldgewinn oder den Lustgewinn, nicht den Prestigegewinn oder den Machtgewinn. Diese vier haben alle ihren festen Platz unter den liberalen Wertvorstellungen. Aber sie sollen nicht allein da sein.

Sie finden ihren rechten Sinn und ihre gute Ordnung erst dann, wenn sie aufgewogen und in den Schatten gestellt werden von ihren ideellen Entsprechungen in der ausgebildeten Persönlichkeit — eben den mitweltbezogenen Tugenden.

Eine andere Maxime der liberalen Ethik ist die pragmatische, d. h. die vernünftige Anpassung seines Verhaltens an zwingende äußere Umstände. Und da sei auf eine Tugend hingewiesen, die in der liberal konzipierten Demokratie besonders wichtig ist und in der heutigen österreichischen Politik von allen Seiten stark vernachlässigt wird. Es ist die „Sorge um Wahrheit und Klarheit in der demokratischen Diskussion”.

Je aufklärungswilliger die Politiker sind, desto mehr wird die Parteiverdrossenheit schwinden. Das gilt nicht nur für Regierungs-, sondern auch für Oppositionspolitiker. Die Menschen, die informiert sein und mitdenken sollen, sind ja die wertvollsten Mitglieder der demokratischen Gemeinschaft.

Ja, man soll - um die Parteiverdrossenheit zu bekämpfen — noch weiter gehen: nicht nur informieren, sondern auch mitberaten lassen, Reformen ausarbeiten und zu Papier bringen lassen, im ganzen

Land in Hunderten von Arbeitskreisen, die auch für Nichtpartei-mitglieder geöffnet werden.

Die liberal konzipierte Demokratie ist ein sehr zerbrechliches Gebilde. Sie hat in der ganzen Geschichte eine viel kürzere Lebensdauer als die Monarchie und die Diktatur gehabt.

Es gibt viele Gefahren — darunter auch die Parteiverdrossenheit -, welche das politische Chaos herbeiführen können, aus dem dann allzuleicht die Diktatur entsteht.

Es ist daher gut, immer wieder über die Tugenden und Spielregeln der liberal konzipierten Demokratie zu diskutieren, sie zu benennen und schließlich fest im öffentlichen Bewußtsein zu verankern.

Der Autor ist Präsident des „Liberalen Klubs” und Herausgeber der Zeitschrift „Berichte und Informationen”. Der Beitrag ist ein Auszug eines Vortrags vor dem „Liberalen Klub” am 29. Jänner 1985 in Wien.

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