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Nur Nesthocker?

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Der Sozialminister will die innerbetriebliche Mitbestimmung auch gegen den erklärten Willen der Unternehmer ausbauen. Der Handelsminister will die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten durchsetzen, auch wenn sich Gewerkschaft und Handelskammer nicht einig werden.

Und im Zuge des Weinskandals wird die Wurzel allen Übels in einem sozialpartnerschaftlich zusammengesetzten Gremium, dem Weinwirtschaftsfonds, ausgemacht.

Die Sozialpartnerschaft, jenes Modell der wirtschafts- und sozialpolitischen Konfliktregelung, um das Österreich nach wie vor in der Welt beneidet wird, ist, so scheint es, mit der weltweiten ökonomischen Krise selbst in eine Krise geraten.

Die historischen Verdienste des Kompromiß-Modells der Sozialpartner stehen indes außer Streit. Der ungeheure wirtschaftliche Aufschwung, der Ausbau des Sozialstaates und damit einhergehend die große politische Stabilität in Österreich seit 1945 sind ohne Sozialpartnerschaft kaum denkbar.

Und dennoch: wer Erfolg hat, bleibt auch von Kritik nicht verschont. Dabei ist eben diese Kritik fast so alt wie die Sozialpartnerschaft selbst:

Die verschiedensten sozialpartnerschaftlichen Einrichtungen hätten sich allmählich in allen Nischen der Gesellschaft eingenistet. Nicht allein Löhne, Preise und Marktmechanismen würden von den Sozialpartnern ausgehandelt und bestimmt. Bis hinein in die Vorstandsetagen der staatlichen und halbstaatlichen Unternehmungen, ja selbst in die privaten Betriebe reichte ihr starker Arm. Ob Medien- oder Kulturpolitik, Sport und Freizeitbetrieb — die Sozialpartner hätten davon schon längst Besitz ergriffen.

Die Allumfassendheit der Sozialpartnerschaft ist aber gleichzeitig ihre Schwachstelle — so paradox das auch klingen mag. Denn wer gesellschaftliche Strukturen gleichsam mit einem Interessenkartell überziehen will, wird gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel bald unbeweglich.

Ein Kartell lebt (und überlebt) durch die Ausgrenzung anderer Interessengruppen. Die Kartellmitglieder ergänzen sich in der Regel selbst, entwickeln als Selbstschutz ein starres Gruppenbewußtsein, das nur mehr der Selbstbestätigung dient. Dann kann es leicht passieren, daß der Anschluß an die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung verpaßt wird.

Tatsächlich haben die Sozialpartner gegenüber Regierung, Parlament und den politischen Parteien an Macht verloren.

Obwohl zum Beispiel Bundeskammer, Industriellenvereinigung und Gewerkschaftsbund vehement auf die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwebendorf oder den Bau des Donaukraftwerkes bei Hainburg drängen, haben sich die gewählten Volksvertreter und Parteifunktionäre diesen Wünschen bisher mit Erfolg widersetzt.

Dennoch stellt der Herausgeber eines brandneuen Sammelbandes zum Thema „Sozialpartnerschaft in der Krise“ (Böhlau Verlag), der Wiener Politikwissenschafter Peter Gerlich, fest, daß — heute mehr denn je zuvor — das Verhältnis der Sozialpartner zur Regierung durch wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet ist.

Das ist gut so und nützt letztlich auch beiden Seiten. Im erwähnten Sozialpartnerschafts-Buch wird auch eine quantitative Analyse der makroökonomischen Ergebnisse von 17 westlichen Industrieländern präsentiert. Eindeutige Tendenz: Länder mit einem kooperativen sozialen Klima wie zum

Beispiel Österreich, Schweden oder Norwegen konnten in den letzten zwei Jahrzehnten ein höheres Pro-Kopf-Wachstum und eine geringere Arbeitslosenrate erzielen als Länder — wie etwa Großbritannien — mit besonders konfliktorientierten institutionellen Strukturen.

Trotz aller positiven Daten ist Nachdenken über die geänderten Rahmenbedingungen und die Reaktion der Sozialpartner darauf dringend geboten.

Wie kann der Lebensstandard, wie können die sozialen Errungenschaften gehalten werden? Gilt es nicht nur den Ertrag, sondern auch die Arbeit neu zu verteilen? Und wie soll das alles bewerkstelligt werden, ohne daß wir unsere ökologischen Grundlagen endgültig zerstören?

Eine andere Frage ist die, ob die Teilnehmer im sozialpartnerschaftlichen Prozeß selbst flexibel genug sind, ihr Selbstverständnis neu zu definieren, etwas mehr Bescheidenheit im gesellschaftlichen Kräftespiel an den Tag zu legen und überhaupt ihre Organisationen und Entscheidungen transparenter zu gestalten.

Letztlich werden sich Gewerkschaften und Unternehmerverbände mit dem mündigen Bürger auseinandersetzen müssen. Nicht die totale Gängelung des einzelnen kann Ziel von Intere senver-bänden sein, sondern die Schaffung von mehr Freiräumen für den einzelnen, die erst zu mehr Leistung und Anteilnahme am Allgemeinwohl anspornen.

In den Sozialpartnerinstitutionen wird hoffentlich in die richtige Richtung gedacht. Johannes Farnleitner von der Bundeswirtschaftskammer jedenfalls glaubt, daß die Sozialpartnerschaft gerade in der Krise nicht in Frage gestellt ist. Schließlich sei die Sozialpartnerschaft keine Schönwettereinrichtung. Denn je größer die Herausforderung, umso effektiver arbeiten die Sozialpartner.

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