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Nur noch öl für 20 Jahre?

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Kaum einer Von uns hat je Erdöl in Händen gehabt. Auch nicht «eine flüssigen Procktkte. Lautlos fließt Benzin in die Auto- tanks. Dennoch ist das rock oil — wie es einst in Amerika genannt wurde — in den Dezennien vor der zweiten’ Jahrtausendwende zum bedeutendsten Machtfaktor der Weltpolitik und der multinationalen Wirtschaft geworden.

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Kaum einer Von uns hat je Erdöl in Händen gehabt. Auch nicht «eine flüssigen Procktkte. Lautlos fließt Benzin in die Auto- tanks. Dennoch ist das rock oil — wie es einst in Amerika genannt wurde — in den Dezennien vor der zweiten’ Jahrtausendwende zum bedeutendsten Machtfaktor der Weltpolitik und der multinationalen Wirtschaft geworden.

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Wechselnde Anforderungen des Energiemarktes und politische Einflüsse sind seit Jahren unverläßliche Partner der enormen Bemühungen der Erdölindustrie, neue Quellen dieser heute kostbarsten Energie zu entdecken. Für keinen anderen Wirtschaftszweig gilt das geflügelte Wort mehr, daß nichts so beständig ist wie die Veränderungen.

Dieser Ungewißheit wird Jahr für Jahr neuer Nährboden gegeben. Nur hinter den Kulissen der großen Diplomatie vermag man Tragik und Chaos zu lesen, die durch fündige Bohrstellen oder vermutete Reserven ausgelöst werden. Wohlgetarnte Waffenlieferungen versuchen die politische und ökonomische Einflußsphäre einzuzementieren. Manchmal mit Erfolg. Ein andermal vermuten es scharfblickende Journalisten; Das Erdöl schmiert die Panzer. Im direkten Sinn des Wortes und im übertragenen.

Es wäre ungerecht, davon zu sprechen, daß trotz dieses Dilemmas nur die große Mineralölindustrie mit ihren Gewinnen gut zu schlafen vermag. Auch der Konsument kann es. Denn die multikontinentalen Erdölgesellschaften haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr die Gewißheit erlangt, daß noch immer und überall auf der Welt genügend Erdöllagerstätten gefunden werden können.

1970 stieg der Erdölverbrauch der Welt um 2,3 Milliarden Tonnen. Das sind nahezu 8 Prozent. Um ganze 17 Prozent ist er dort gestiegen, wo es fast überhaupt keine Reserven gibt: in Japan. Frankreich folgt mit einer Steigerungsrate des Verbrauchs von 14 Prozent und Deutschland mit 11 Prozent. Die größten Erdölverbraucher waren die USA mit 727 Millionen Tonnen und die um fast 500 Millionen Tonnen (!) weniger verbrauchende Sowjetunion. Ihnen gegenüber nimmt sich Österreich mit e’ner Steigerungsrate von nicht ganz 8 Prozent und einem Ver brauch von 8,9 Millionen Tonnen eher winzig aus.

Es ist ein Leichtes, die Interessengebiete der Erdölindustrie und der hinter ihnen verschanzten Regierungen abzustecken. Der Vergleich von Verbrauch und Reserven genügt.

Der nordamerikanische Kontinent zeichnet in dieser Relation das ausgeglichenste Bild. Die neuen Funde am North Slope von Alaska und in den Eistundren Kanadas haben die Bohrtürme im Süden der Staaten entlastet .Dem jährlichen Verbrauch von etwa 800 Millionen Tonnen auf dem ganzen Halbkontinent stehen sichere, das heißt, sofort auswertbare Reserven von etwa 6,5 Milliarden Tonnen gegenüber. Neuesten Meldungen zufolge vermutet man die gigantische Summe von weiteren 81 Milliarden (!) Tonnen Erdöl im Ölschiefer der USA — aber noch nicht gewinnbar.

Südlich der texanischen Grenze sieht es allerdings anders aus. Reserven von mehr als 3,5 Milliarden Tonnen machen Mittel- und Südamerika zum begehrten „Freund“. Der Marktbedarf in den dünn besiedelten Gebieten von den Dschungeln Jukatans bis zum Hochland der Anden ist gering.

Lediglich 131 Millionen Tonnen.

Trotz der erfolgreichen Bohrungen in der Nordsee weiß das von der Natur benachteiligte und von der Industrie überflutete Europa von der problematischen Lage seiner Rohölversorgung. Mit seinen Reserven könnte es kaum ein drei viertel Jahr lang den Erdöldurst seiner motorisierten Kinder mehr stillen. Europas Los ist hier das der Abhängigkeit Es muß alle Hebel — politische uod wirtschaftliche — ln Gang setzen, um die enorme Menge von 732 Millionen Tonnen schwarzen Goldes zu importieren. Mit dieser Menge erreicht das westliche Europa etwa den amerikanischen Jahresverbrauch.

Südlich und östlich vom europäischen Hausmeer aber liegen jene sandigen Weiten, in deren Tiefe endlose Teiche der schwarzbraunen Brühe schlummern. In Afrika warten fast 10 Millionen Tonnen auf ihre Förderung, während der Nahe Osten die größten Erdölschätze der Welt birgt. Mehr als die Hälfte der gesamten bekannten Weltreserven, fast 47 Milliarden Tonnen. Die heute bekannten Gesamtvorräte würden für etwa 20 Jahre reichen. So gebiert der heiße Wüstensand heiße Sehnsucht aller jener, die Erdöl als Energie benötigen. Immer neue Erdölfelder werden entdeckt: in Libyen, in Algerien, im Irak, im Persischen Golf und in Nigerien. Aber stets dort, wo man sie nicht benötigt. Das Resümee, das die Ölindustrie daraus ziehen muß, heißt: Investitionen in immer größere Tanker und immer längere Pipelines.

Eher autonom zeigen sich heute Osteuropa, die Sowjetunion und China hinsichtlich ihres Verhältnisses von Produktion und Nachfrage auf dem Erdölsektor. Die Ver um der Spur des schwarzen Goldes zu folgen.

Bleiben der Mittlere und der Feme Osten. Hier ist die Situation ähnlich wie in Europa, wenn auch nicht ganz so trist. Im ganzen gesehen, könnte sich diese Region mit einem Jahresverbrauch von 305 Millionen Tonnen etwa sechs Jahre lang selbst versorgen. Denn es sind etwa 2 Milliarden Tonnen Reserven vorhanden. Eine Ausnahme macht Japan. Das Land mit dem rasanten Wirtschaftswachstum, abgekapselt und isoliert, abseits der großen Kontinente, verbrauchte 1970 an die 190 Millionen Tonnen Erdöl. Zehn Jahre zuvor waren es 30 Millionen. Erdölvorräte besitzt das Land der Kirschblüten überhaupt keine. Aber es baut seine Wirtschaft weiter aus. Seine Interessensphären im Offshore- Gebiet Indonesiens und Südostasiens, in Nordafrika und im Nahen Osten. Es baut weiter Tankergiganten bis zu einer Million Tonnen Tragfähigkeit und flicht so seine lebenspendende liarden Tonnen Erdöl. 1980 werden es wahrscheinlich mehr als 4 Milliarden Tonnen sein. Bis dahin muß die Erdölindustrie etwa 300 Milliarden Dollar (7,5 Billionen Schilling!) investieren, um die Erwartungen der Konsumenten nicht zu enttäuschen (und die eigenen Dividenden nicht zu gefährden). Dieses Geld wird meist dorthin fließen müssen, wo politische Instabilität und wirtschaftliches Risiko auf der Tagesordnung stehen. Neue Probleme werden zu lösen sein, wobei der Verbraucher gleichbleibende, eher sinkende Preise erwartet. Fast alle Investitionsregionen liegen in Entwicklungsländern, deren Regierungen die fiskalischen Abgaben für ihren ökonomischen und sozialen Aufbau immer weiter erhöhen wollen. Im Brennpunkt dieser beiden wirtschaftlichen Zielvorstellungen stehen die multikontinentalen Erdölgesellschaften auf ihrer Suche nach immer neuen Erdölquellen.

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