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Wer tinmittelbar nach dem Krieg in Paris die Zeitungskioske musterte, fand dort eine Vielzahl von Tageszeitungen, die den verschiedensten politischen und philosophischen Richtungen angehörten. 1945 waren 34 täglich erscheinende Titel auf dem Markt, zählte man die Provinzzeitungen dazu, so kam man auf deren 203. 1914 dagegen verfügte Frankreich noch über 349 Publikationen. 1975 wird Paris mit 9 Tageszeitungen versorgt, die übrigen Regionen müsseh . mit 55 vorliebnehmen. Das kontinuierliche Sterben dieses Informationszweiges ist keineswegs beendet. Gegenwärtig klagen fast alle Verlagsanstalten und Redaktionen über die Gefahren, die in verstärktem Ausmaß auch schon lang etablierte Blätter bedrohen. Bei einer der auflagenstärksten Zeitung von Paris, dem „Parisien Libere“ ist eine offene Krise ausgebrochen, und selbst die älteste Gazette Frankreichs, „Le Figaro“, muß mit Schwierigkeiten rechnen.

Am ärgsten betroffen sind jene Publikationen, die eine weltanschaulich oder politisch festumris-sene Linie vertreten, wie zum Beispiel die einzige katholische Tageszeitung „La Croix“ und das Zentralorgan der kommunistischen Partei, „L'Humanite“. Die dritte im Bunde, „La Nation“, Sprachrohr der gaullistischen Sammelpartei UDR, starb 1974 einen sanften Tod. Sie wurde wenig gelesen und hauptsächlich von anderen Blättern zitiert Fast alle Versuche der letzten Jahre, den Pariser Zeitungsmarkt durch Neugründungen zu bereichern, scheiterten. So konnte der Flugzeugkonstrukteur Marcel Dassault trotz Aufwendung gewaltiger finanzieller Mittel die Tageszeitung „Vingt-Quatre Heures“ nur vorübergehend halten.

Für kleine Zeitungen, wie es „La Croix“ mit einer Auflage von 130.000 Exemplaren ist, davon 120.000 im Direktabonnement, wirkte der lange Poststreik Oktober/November 1974 beinahe tödlich. Es wurden 1,5 Millionen Francs Verlust verzeichnet, die sich zum jährlichen Defizit von 3,2 Millionen Francs hinzugesellen. „Bayard-Presse“ sowie andere Zeitungsverleger müssen sich auf publikumswirksame Wochenausgaben stützen, um diese Verluste aufzufangen, wie zum Beispiel der genannte katholische Verlag auf das Wochenblatt „Der Pilger des 20. Jahrhunderts“, Auflage 550.000. Ähnlich verfahren die Kommunisten, die in ihrem Magazin „Humanite-Diman-che“ ein Mittel gefunden haben, die Gründung des berühmten Sozialisten Jaures, „L'Humanite“, weiter publizieren zu können. Auch der französische Staat unterstützt durch jährliche Subventionen von 3 Millionen Francs die meinungsbildende Presse, die mit nur geringen Werbe-1 einnahmen arbeitet.

Aber nicht nur „La Croix“ und „L'Humanite“ kämpfen einen verzweifelten Überlebenskampf. Sie können immerhin noch auf eine sichere Anzahl von Gönnern und Lesern rechnen, die bereit sind, zu spenden oder für ein Abonnement mehr zu entrichten. Damit hatte „La Croix“ bis Ende Februar 1975 die Verluste des Poststreiks größtenteils überwunden.

Selbst die Giganten des Pariser Zeitungsmarktes „Le Parisien Libere“, „France Soir“ und „Le Figaro“ sehen den kommenden Monaten mit Sorge entgegen. Das Boulevardblatt „Le Parisien Libere“, Auflage eine Million, sowie 22 regionale Ausgaben ficht gegenwärtig einen harten Kampf mit der Druckereigewerkschaft aus. Der Konflikt begann bereits im November 1974, als Gewerkschaftsvertreter anläßlich eines Streiks die Redaktion zwingen wollten, ihre Kommuniques zu druk-ken. Der Verlagsinhaber weigerte sich, diesem Diktat nachzugeben und der „Parisien Libere“ stellte sein Erscheinen , vorübergehend ein.

„France Soir“ fürchtet gleichfalls die Zukunft und ventiliert verschiedenste Pläne, um sich über Wasser zu halten. Die Zeit ist vorbei, da „France Soir“ sich stolz „die französische Tageszeitung mit einer Auflage von über einer Million“ nannte. Mit Beunruhigung werden Gerüchte kolportiert, die von einem Verkauf des „Figaro“ sprechen. Infolge einer schwierig zu durchschauenden rechtlichen Konstruktion können die oder der Besitzer des „Figaro“ nicht auf die redaktionelle Gestaltung des Blattes Einfluß nehmen. Der legendäre Chefredakteur, Pierre Brisson, und seine Freunde erhielten nach Wiedererscheinen 1944 Garantien des Staates, denen zufolge sie allein berechtigt seien, die Linie der Zeitung zu bestimmen. Bezüglich der Interpretierung dieses Textes kam es in den letzten Jahren zu verschiedenen Krisen und zu Streiks der Redakteure. Da der bisherige Besitzer, der uralte Zeitungszar Prouvost auch Einfluß auf die Radiostation „Luxemburg“ hat, steht eine Übernahme des „Figaro“ durch diese Anstalt zur Diskussion. Allerdings besteht ein Gesetz vom August 1944, wonach Ausländer keine Anteile eines französischen Presseunternehmens kaufen dürfen, das eine politische Zeitung herausgibt. Aber die Konzentrierung der Pariser Presse ist kaum mehr aufzuhalten, es sei denn, die Regierung besinnt sich in letzter Minute auf die Wichtigkeit einer pluralistischen Meinungsbildung, subventioniert die Papierpreise, die Zeitungsposttarife und entlastet die verschiedenen Verlage in steuerlicher Hinsicht

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